Alexander Jorde platzierte eins medienwirksam das Thema Pflege im Wahlkampf. Im Interview mit Tim Prahle erzählt Jorde, welche Hoffnung er in „seine“ SPD setzt und warum er der Pflege bald den Rücken kehrt.
Krankenpfleger Jorde„Das Ausmaß der Pflegenot wird viele Menschen sehr überraschen“
Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war dafür bekannt, immer eine Antwort zu haben. Nur eine konkrete Lösung beinhaltete das nicht immer. In der „ARD-Wahlarena“ vor der Bundestagswahl 2017 wollte sich ein 21-jähriger Krankenpfleger keine Ausflüchte gefallen lassen. Alexander Jorde hakte wiederholt nach, wie die Kanzlerkandidatin der Union den drohenden Pflegenotstand denn aufhalten wolle. Mit seinem Auftritt schaffte der damalige Pflege-Azubi aus Niedersachsen etwas, was aus Sicht der Branche nur selten gelingt: Pflege war plötzlich ein Thema, die Parteien mussten sich etwas dazu einfallen lassen. Jorde selbst wurde kurzzeitig zum „Gesicht der Pflege“, war regelmäßig in Talkshows zu sehen.
Sieben Jahre später ist wieder Wahlkampf. Jorde arbeitet mit 28 Jahren noch immer als Krankenpfleger, studiert nebenbei Gesundheitswissenschaften und Pflege auf Lehramt in Münster, ist Mitglied der SPD. Bald wird er die Intensivstation gegen das Klassenzimmer eines Berufskollegs tauschen.
Herr Jorde, Sie haben es geschafft, Angela Merkel, damals amtierende Kanzlerin, mit ihren Fragen in Verlegenheit zu bringen und das Thema Pflege populär zu machen. Hat sich seitdem etwas verbessert?
Was die Aufmerksamkeit angeht, kaum. Politisch muss man differenzieren. 2017 gab es keinerlei Standards, wie viel Personal mindestens auf einer Station sein muss. Das ist im Krankenhaus mittlerweile etwas besser geworden, auch wenn noch nicht in ausreichendem Maße. Aus meiner Sicht ist auch die Krankenhausreform ein Schritt in die richtige Richtung, weil das Krankenhaussystem sehr ineffizient arbeitet. Aber insgesamt habe ich nicht das Gefühl, dass die Verbesserungen im Bereich der Pflege ausreichen.
Sie studieren derzeit parallel in Münster auf Lehramt, wollen ins Berufskolleg wechseln. Damit fehlen Sie künftig auf den Intensivstationen.
Auf Dauer werde ich nicht mehr in der praktischen Pflege arbeiten, das stimmt. Aber inklusive Ausbildung waren es dann auch circa zehn Jahre. Und am Berufskolleg habe ich zumindest die Möglichkeit, junge Menschen für den Beruf zu begeistern.
Hatten Sie vielleicht auch einfach die Schnauze voll?
Ich hatte in erster Linie Lust, etwas Neues zu machen und mich weiterzubilden. Aber ja: Ich hätte mir unter den derzeitigen Umständen nicht vorstellen können, 40 Jahre in dem Beruf zu arbeiten.
Was werden sie vermissen?
Pflege ist ein sehr abwechslungsreiches, interessantes Berufsfeld. Man hat sehr früh ein hohes Maß an Verantwortung. Ich habe mehrere Jahre auf Intensivstationen gearbeitet und Patienten betreut, deren Leben am seidenen Faden hing. Aber Pflege ist eben auch belastend, gerade weil es trotz der Verantwortung so wenig Zeit und Personal gibt. Ich glaube, dass das ein Kernproblem der Pflege ist. Und es gibt Jobs, bei denen man wesentlich weniger Verantwortung trägt und dennoch besser verdient.
In den vergangenen Jahren haben die Gehälter doch aufgeholt. So sehr, dass Arbeitgeber bereits beklagen, dass Fachkräfte in Teilzeit gehen.
Die Vergütung ist ein Faktor. Und ich wäre vorsichtig mit der Gleichung mehr Geld = Teilzeit. Es ist eher die Belastung. Eine 39-Stunden-Woche mit wechselnden Schichten ist etwas anderes als ein Job mit normalen Bürozeiten. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass selbst die meisten Kollegen in meinem Alter nicht in Vollzeit arbeiten, und ich habe kaum jemanden getroffen, der es geschafft hat, sein ganzes Berufsleben Vollzeit zu arbeiten.
Die Gehälter sind dennoch gestiegen.
Aber insgesamt hatten wir in der Pflege, wie auch andere Berufsgruppen, Reallohnverluste. Und die Pflege ist immer noch ein Ausbildungsberuf und wird deswegen – auch von der Politik unterschätzt. Ich habe jetzt gerade den Vergleich. Die Ausbildung in einem Pflegeberuf kann ähnlich aufwendig wie ein Studium sein. Das Niveau der Tätigkeiten von Pflegekräften ist durchaus auf einer Höhe mit Lehrern und Ingenieuren. Das ist in Deutschland noch nicht angekommen. Eine Ausbildung ist nichts Schlechtes, aber die Menschen denken oft, dass der Beruf dann automatisch weniger wert ist. In anderen Ländern ist die Pflege oft akademischer – und das schlägt sich beim Gehalt nieder. Was in der öffentlichen Debatte oft zu kurz kommt, ist die Verantwortung des Staates für die Gehälter im Gesundheitswesen. Ungefähr ein Drittel der Kliniken sind in öffentlicher Trägerschaft. Dort sitzen die Finanzminister von Bund und Ländern als Arbeitgeber am Verhandlungstisch und könnten somit ihre Wahlversprechen einlösen, sagen uns dann trotz Inflation aber: ,Wir müssen eigentlich eine Nullrunde machen.“ Das ist deswegen von Bedeutung, da sich kirchliche und private Arbeitgeber oft an den öffentlichen Tarifentwicklungen orientieren.
Sie sind vor einigen Jahren in die SPD eingetreten. Wie glücklich sind sie denn mit der Pflegepolitik ihrer Partei und ihrem Kanzlerkandidaten Olaf SCholz im aktuellen Wahlkampf?
Es ist schwierig, er positioniert sich aktuell nicht wirklich dazu, und es ist derzeit auch kein Thema.
Na ja, er ist Kanzlerkandidat, er kann Themen ja setzen.
Ich würde mich natürlich freuen, wenn die SPD das und generell mehr klassisch sozialdemokratische Themen in den Fokus setzen würde. Vor allem auch nach einer Wahl. Etwa Wohnen, Inflation und Bildung. Da sehe ich überall noch sehr viel Potenzial nach oben. Aber Pflege und Gesundheit hat wirklich kaum eine Partei so richtig prominent auf dem Zettel. Auch die SPD nicht.
Und was fehlt Ihnen bei der Gesundheitsversorgung?
Es wäre wünschenswert, wenn wir im Gesundheitssystem von der Ärztezentriertheit wegkommen. Aber dann müssen wir das System auch mal auf Prävention umstellen, da können die Pflegekräfte viel mehr. Zu uns kommen die Patienten immer dann, wenn sie den Herzinfarkt schon haben. Die Behandlung wäre oftmals einfacher und billiger, wenn man sie beginnen würde, bevor es zu ernsten Problemen kommt. Aber ich finde auch, dass in den vergangenen drei Jahren viel mehr angegangen wurde als in 16 Jahren unter Angela Merkel davor. Das sollte man nicht vergessen.
Haben sie denn überhaupt noch Hoffnung, dass die gute Pflege noch zu retten ist?
Ich glaube, dass Gesundheit und Pflege eher hinten herunterfallen und der Zufall entscheidet, wer Gesundheitsminister wird und welche Themen da gesetzt werden. Ich wäre gerne optimistisch, aber in Wirklichkeit geht es nur darum, dass es nicht noch schlimmer wird. Das Ausmaß der Pflegenot wird wahrscheinlich viele Menschen sehr überraschen. Auch in der Politik.
Werden Sie sich denn nochmal in eine Wahlarena setzen?
Ich habe mich jetzt nicht für eine Wahlarena beworben, die Wahrscheinlichkeit, nochmal dranzukommen, ist dann doch nicht so hoch. Aber eine Frage ändert auch nicht so viel. Es wäre wünschenswert, wenn Themen, die viele Menschen aus meiner Sicht beschäftigen – und da gehören Pflege und Gesundheitsversorgung natürlich zu – mehr in den Medien diskutiert werden würden. Da gibt es große Talkshows, in denen diese Fragen auch mal gestellt werden könnten.