Gibt es ein Sommermärchen 2.0? Die Antwort ist einfach: Vermutlich nicht. Aber das macht auch nichts.
Kommentar zur EM 2024Bitte bleibt entspannt!
Sommer 2006 – die Welt war zu Gast bei Freunden. Die Fußball-WM sorgte dafür, dass die Deutschen plötzlich ein neues Gesicht bekamen. Freundlich, entspannt und sympathisch sah es aus. Sie überraschten damit die Welt und noch mehr sich selbst. So können wir also sein? Toll!
Die meisten wedelten sogar ganz unverkrampft mit schwarz-rot-goldenen Fähnchen. Die deutsche Flagge stand nicht mehr für Ausgrenzung, sondern für ein Gemeinschaftsgefühl. Für die Feierlaune bei Public Viewings. Und plötzlich auch für einen gewissen Stolz über die Leistung der eigenen Mannschaft. Der Begriff vom Sommermärchen war geboren.
18 Jahre später ist die Sehnsucht nach einem ähnlichen Erweckungserlebnis offenbar so groß, dass eine Frage vor dem Start der Fußball-EM noch häufiger diskutiert wird als die nach dem möglichen neuen Titelträger: Gibt es ein Sommermärchen 2.0? Die Antwort ist einfach: Vermutlich nicht. Aber das macht auch nichts.
Die Voraussetzungen, unter denen diese EM stattfindet, sind ganz andere – und das liegt nicht nur am Wetter und am sportlichen Erfolg. Denn wie schön hätte es die Welt 2006 wohl gefunden, bei zwölf Grad und Regen zu Gast zu sein, bei Freunden, die in der Vorrunde schon gescheitert wären?
Corona, der Krieg in der Ukraine, die Krise im Nahen Osten, die Spaltung der Gesellschaft, die Angst vor Attentaten – die Sorgen und Probleme sind ganz andere. Sie sind zu groß und zu viele, als dass ein Fußball-Turnier sie mit einem Handstreich vertreiben könnte.
Auch deshalb sollten diese ständigen Vergleiche aufhören. Nach den letzten Turnieren in autoritären Regimen kann diese EM zeigen, wie eine Demokratie ein freies, nachhaltiges sportliches Großereignis bewältigt. Dazu muss sie ihren eigenen Weg gehen. Das geht aber nur ohne verkrampfte Erwartungen. Also bitte, liebe Leute, bleibt entspannt. Bürden wir diesem Turnier nicht zu viel auf.