Mit seiner Bestätigung des Verdachtsfalls hat das Oberverwaltungsgericht Münster die Luke zur Dachkammer aufgehalten.
Kommentar zur AfDDeutschland erlebt gerade seine Biedermann-Bewährungsprobe
Das Theaterstück „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch kennen viele noch aus dem Deutschunterricht. Es erzählt von einem Fabrikanten namens Biedermann, der sich vor nichts so sehr fürchtet wie vor Brandstiftern. Trotzdem lässt er es zu, dass sich zwei merkwürdige Männer auf seinem Dachboden einquartieren: Sie lagern dort oben Fässer, die nach Benzin riechen. Sie fachsimpeln über leicht brennbare Holzwolle. Sie bitten sogar um Hilfe beim Abmessen einer Zündschnur. Einmal sagt einer von ihnen dem verwirrten Fabrikanten Biedermann auf den Kopf zu: Die beste Tarnung sei „die blanke und nackte Wahrheit. Komischerweise. Die glaubt niemand“.
Deutschland erlebt gerade seine Biedermann-Bewährungsprobe. Der Aufstieg der AfD, einer Partei, deren Vertreter offen gegen Minderheiten hetzen, das Gedenken des Holocaust infrage stellen und sich teilweise sogar dem Verdacht der geheimdienstlichen Agententätigkeit ausgesetzt sehen, dieser Aufstieg wurde von Anfang an begleitet von Stimmen, die trotz allem zur Besonnenheit mahnen.
Es sind Stimmen, die sagen: Die Partei wird schon noch die Kurve kriegen, wenn sie nur erstmal mehr politische Verantwortung übernimmt. Die AfD selbst stößt dankbar in dasselbe Horn und verharmlost sich gern zum „gärigen Haufen“ (AfD-Ehrenvorsitzender Alexander Gauland). Deshalb hat sie sich auch so heftig gegen die Einstufung als „rechtsextremer Verdachtsfall“ des Bundesamtes für Verfassungsschutz gewehrt. Sie will weiter ungestört auf dem Dachboden werkeln können.
Mit seiner Bestätigung des Verdachtsfalls hat das Oberverwaltungsgericht Münster die Luke zur Dachkammer aufgehalten. Das macht Hoffnung, dass die „blanke und nackte Wahrheit“ nicht mehr zieht als Tarnung, sondern schlicht Handlungsbedarf signalisiert: Solche Kräfte gehören beobachtet – was denn sonst?
Die Deutschen sind keine neuen Biedermänner und dürfen es auch nicht werden. Im Theaterstück von Max Frisch geht am Ende das Haus des Fabrikanten in Flammen auf, und die ganze Stadt gleich mit.