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Kommentar zu den StreiksWarum die neue Macht der Gewerkschaften trügerisch ist

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Fahnen von Verdi (Symbolbild)

Fahnen von Verdi (Symbolbild)

Die Freude vieler Arbeitnehmer am Ausstand scheint ungebrochen. Spiegelt sich hierin ein neues Selbstbewusstsein der Gewerkschaften wider?

Handelsmitarbeiter, Klinikpersonal, Angestellte im Öffentlichen Dienst, Lokführer, Busfahrer im Nahverkehr, Sicherheitskräfte an Flughäfen und nun auch noch das Bodenpersonal der Lufthansa – gefühlt herrscht seit Monaten allerorten Streik. Die Freude vieler Arbeitnehmer am Ausstand scheint ungebrochen. Spiegelt sich hierin ein neues Selbstbewusstsein der Gewerkschaften wider, das auf der Entwicklung der Mitgliederzahlen gründet?

Tatsächlich sind Streikzeiten gute Zeiten zur Mitgliederwerbung. Reallohn-Verluste infolge hoher Inflation und ein wachsender Fach- und Arbeitskräftemangel haben bei vielen Beschäftigten eine neue Sensibilität für auskömmliche Löhne und faire Arbeitsbedingungen geschaffen. Das befeuert tarifliche Auseinandersetzungen und macht es für die Gewerkschaften leichter, für Unterstützung zu werben; so haben Verdi und die IG Metall 2023 viele Neumitglieder verzeichnet.

Aderlass bei Mitgliedszahlen

Eine Trendumkehr hin zu stabilen oder gar langfristig steigenden Mitgliederzahlen ist dies aber noch lange nicht. Denn den Neuzugängen stehen in den meisten Einzelgewerkschaften immer noch reichlich Austritte gegenüber – und der bevorstehende Abgang der Babyboomer-Jahrgänge in den Ruhestand wird für weiteren erheblichen Aderlass sorgen.

Das anhaltend selbstbewusste Auftreten vieler Gewerkschaften bedeutet also nicht, dass die Machtverhältnisse in der Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf den Kopf gestellt würden. Zwar müssen sich Arbeitgeber neue Strategien einfallen lassen, um qualifizierte Mitarbeiter zu finden und auch zu halten. Gleichzeitig aber kehren mehr und mehr Unternehmen der Sozialpartnerschaft den Rücken. Die Tarifbindung von Beschäftigten sinkt seit Jahren; nur noch jeder zweite ist heute durch Tarifverträge geschützt. Und es deutet wenig darauf hin, dass sich das in absehbarer Zeit ändern wird; um entsprechende von der Ampel-Koalition zu Regierungsbeginn in Aussicht gestellte Gesetzesinitiativen ist es still geworden.

Für die gesellschaftliche Entwicklung ist das nicht ohne Risiko. Denn letztlich geht es immer um die gerechte Verteilung eines gemeinsam von Arbeitgebern und Arbeitnehmern erwirtschafteten Wohlstands als Garant eines sozialen Friedens.