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Rundschau-Debatte des TagesWie hart werden die Tarifverhandlungen 2024?

Lesezeit 4 Minuten
31.01.2024, Nrw, Köln: Am Personaleingang für Airport-Mitarbeiter des Flughafens Köln Bonn hängen Plakate mit der Aufschrift «Heute Warnstreik».

Streik im ÖPNV, bei der Bahn, am Flughafen, in Unikliniken: Verbraucher müssen sich auf einige Streiks einstellen.

Es geht um mehr Geld, bessere Arbeitsbedingungen und mitunter auch um eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Experten rechnen mit „konfliktreichen Tarifverhandlungen“

Deutschland im Streikmodus: Kaum sind die jüngsten Streiks bei der Bahn beendet, machen die Luftsicherheitskräfte weiter. Am Donnerstag legten sie weite Teile des deutschen Flugverkehrs lahm. Am Freitag treten die Bus- und Straßenbahnfahrer in den Ausstand. Was kommt in diesem Jahr noch auf die Verbraucher zu?

Luftsicherheitskräfte

Verdi hatte die Beschäftigten privater Sicherheitsdienste an elf Flughäfen aufgerufen, am Donnerstag nicht zu arbeiten. Gestreikt wurde an den Flughäfen Hamburg, Bremen, Hannover, Berlin, Köln, Düsseldorf, Leipzig, Dresden, Erfurt, Frankfurt/Main und Stuttgart. Ausnahmen waren der Flughafen München und einige kleinere Flughäfen. Die Luftsicherheitskräfte sind an den Kontrollen für Passagiere, Gepäck und Personal zumeist im Auftrag der Bundespolizei tätig. Verdi verhandelt bundesweit für etwa 25000 Beschäftigte mit dem Bundesverband der Luftsicherheitsunternehmen (BDLS).

ÖPNV

Am Freitag geht es mit einem Warnstreik im öffentlichen Personennahverkehr weiter. Verdi hat die Beschäftigten im kommunalen Nahverkehr von fast allen Bundesländern dazu aufgerufen. Bayern ist ausgenommen, weil dort derzeit nicht verhandelt wird. In Berlin soll der Ausstand zudem auf den Morgen beschränkt sein. Dennoch müssen sich Fahrgäste in vielen Regionen auf weitreichende Einschränkungen im Bus-, Straßen- und U-Bahnverkehr einstellen. Von den parallelen Tarifverhandlungen im ÖPNV sind laut Verdi mehr als 130 kommunale Unternehmen in rund 80 Städten und rund 40 Landkreisen mit insgesamt 90000 Beschäftigten betroffen.

Bahn

Der Tarifstreit zwischen Deutscher Bahn und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) geht in den nächsten Wochen erst mal ohne weitere Streiks weiter. Die Tarifparteien wollen wieder verhandeln. Bis 3. März soll es keine weiteren Arbeitskämpfe der GDL geben.

Uniklinik-Ärzte

Auch Uniklinik-Ärzte haben jüngst einen Tag lang ihre Arbeit niedergelegt. An einem Warnstreik der Gewerkschaft Marburger Bund nahmen am Dienstag mehrere tausend Mediziner teil. Nach Angaben der Gewerkschaft mussten sich Patienten teilweise auf längere Wartezeiten einstellen. Auch wurden nicht dringliche Operationen verschoben. Aufgerufen waren die mehr als 20000 Ärzte an den bundesweit 23 landeseigenen Unikliniken.

Lufthansa

Auch im Lufthansa-Konzern sind Warnstreiks nicht ausgeschlossen. Die Kabinengewerkschaft Ufo hat die Gehaltsverhandlungen für rund 18000 Flugbegleiter der Stammgesellschaft einseitig abgebrochen, wie Ufo am Mittwoch mitteilte. Kaum verhohlen drohte die Gewerkschaft mit Streik, wenngleich eine Entscheidung der Tarifkommission noch nicht gefallen sei.

Handel

Noch offen ist, wie es in den festgefahrenen Tarifkonflikten im Einzelhandel sowie im Groß- und Außenhandel weitergeht. Begleitet von zahlreichen Warnstreiks wird dort schon seit mehreren Monaten verhandelt - in einigen Tarifgebieten schon seit April 2023.

Nächste Tarifverhandlungen

Das Tarifarchiv des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf hat einen umfassenden Überblick über die Tariflandschaft. Demnach laufen zwischen Dezember 2023 und Dezember 2024 für knapp zwölf Millionen Beschäftigte allein von den DGB-Gewerkschaften vereinbarte Vergütungstarifverträge aus.

Im Frühjahr enden etwa die Tarifverträge in der Druckindustrie (109000 Beschäftigte), im Bauhauptgewerbe (731000) und in der Leiharbeitsbranche (700000). Im Juni laufen die aktuellen Tarifverträge der Chemischen Industrie (585000) und der Systemgastronomie (79000) aus. Ab September 2024 starten die Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie, der größten Tarifbranche in Deutschland mit über 3,6 Millionen Beschäftigten. Ende 2024 laufen schließlich die Tarifverträge für den Öffentlichen Dienst bei Bund und Gemeinden (2,4 Millionen Beschäftigte) aus.

Das sagen Tarifexperten

Hagen Lesch vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) rechnet mit „konfliktreichen Tarifverhandlungen“. Die Gewerkschaften würden anstreben, die Reallöhne zu steigern, schreibt Lesch in einer Analyse. „Da die Inflationsausgleichsprämie schon weitgehend ausgeschöpft wurde, kann dieses Instrument die Kompromissfindung nicht weiter erleichtern.“ Zuletzt sei zu beobachten gewesen, dass einige Gewerkschaften hohe Lohnforderungen stellten und die Prämie „on top“ verlangten. „Zu dieser expansiven Ausrichtung der Gewerkschaften kommt hinzu, dass sie Konflikte nutzen, um Mitglieder zu gewinnen.“

Ob das Konfliktniveau 2024 ähnlich hoch sein wird wie 2023, hängt laut Lesch aber auch von der Kompromissbereitschaft der Arbeitgeber ab. Denn: „Einerseits leiden viele Unternehmen unter der derzeitigen Stagnationsphase, andererseits ist der Arbeits- und Fachkräftebedarf vielerorts weiterhin hoch.“

Thorsten Schulten, der Leiter des WSI-Tarifarchivs, sieht es ähnlich: „Die Härte der Verhandlungen wird vor allem davon abhängen, inwieweit die Arbeitgeber bereit sind, das Interesse ihrer Beschäftigten an Reallohnzuwächsen anzuerkennen“, sagte er. Dabei habe sich in vielen Branchen die Verhandlungsposition der Arbeitnehmerseite wegen des Arbeitskräftemangels deutlich verbessert. „Dies führt zu einem neuen Selbstbewusstsein und einer höheren Bereitschaft, für die eigenen Interessen einzustehen. Dies könnte tatsächlich zu mehr Warnstreiks führen.“ (dpa)