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Interview

Kirchhoff und Giesler
Einig in einer Sache: „Die AfD ist nicht wählbar“

Lesezeit 5 Minuten
Aufsteller mit dem Schriftzug «Alternative für Deutschland» und dem Logo der AfD.

Ein Aufsteller mit dem Schriftzug „Alternative für Deutschland“ und dem Logo der AfD. (Symbolbild)

Der NRW-Unternehmerpräsident und der IG-Metall-Landeschef nehmen Stellung zur Europawahl – Was die beiden eint und was sie trennt, verraten sie im Interview.

Vor jeder großen Wahl positionieren sich Arbeitgeber und Gewerkschaften zu den wichtigen Themen, aber üblicherweise nicht zu Parteien oder Personen. Doch Arndt Kirchhoff, Präsident der Unternehmensverbände in Nordrhein-Westfalen, und Knut Giesler, NRW-Vorsitzender der IG Metall, verlassen diesmal im Gespräch mit Stefan Schulte die ausgetretenen Pfade.

Unternehmerverbände und Gewerkschaften haben bisher noch nie Wahlempfehlungen für oder gegen eine Partei gegeben. Diesmal auch nicht?

Kirchhoff: Diesmal ist es anders, diesmal gilt es, unser System zu verteidigen, unsere Freiheit, unsere Vielfalt, unsere Rechtsstaatlichkeit und unsere soziale Marktwirtschaft. Unsere Werte sind in Gefahr. Deshalb rufen wir zum ersten Mal explizit dazu auf, demokratische Parteien zu wählen und keine Extremisten. Die AfD ist aus meiner Unternehmersicht nicht wählbar.

Giesler: Auch für Gewerkschafter ist die AfD nicht wählbar. NRW ist schon für sich eines der größten Exportländer Europas. Wenn wir wieder Wirtschaftsgrenzen hätten, würde das Hunderttausende Jobs in NRW kosten. Die Europafeindlichkeit der AfD gefährdet jeden einzelnen Arbeitsplatz. Noch schwerer wiegt das Gedankengut der AfD, das mit unserer solidarischen Grundeinstellung nicht vereinbar ist. Wenn die AfD selbst den Rechtspopulisten im EU-Parlament zu radikal ist, muss jedem klar sein, dass sie den demokratischen Boden verlassen hat.

Arndt G. Kirchhoff, Präsident der Landesvereinigung der Unternehmensverbände Nordrhein-Westfalen

Arndt G. Kirchhoff, Präsident der Landesvereinigung der Unternehmensverbände Nordrhein-Westfalen

Herr Kirchhoff, bemerken Sie auch in Ihrem eigenen Automobilzulieferer-Unternehmen in Iserlohn einen Rechtsruck?

Kirchhoff: In Südwestfalen sind Vorbehalte etwa gegen Flüchtlinge nicht so ausgeprägt wie in den großen Städten. Aber je größer die Unternehmen, desto mehr versucht die AfD, diese Betriebe zu unterwandern. Das ist gefährlich. Das müssen wir verhindern, so hat es früher auch angefangen.

Herr Giesler, einer Umfrage zufolge hat sich der Zuspruch junger Beschäftigter zur AfD binnen zwei Jahren verdoppelt. Dringen Sie als IG Metall nicht mehr durch?

Giesler: Wir müssen feststellen, dass Gewerkschaftsmitglieder überproportional AfD wählen. Die wenigsten sind aber Nazis, sondern meist Menschen, die Angst haben vor Job- und Wohlstandsverlust. Deshalb geht es uns in der Tarifpolitik zunehmend darum, Sicherheiten in der Transformation zu schaffen. Wir müssen uns auch im Klaren sein, dass die AfD in sozialen Medien wie Tiktok hochprofessionell ist und junge Menschen anspricht. Deshalb verstärken wir als IG Metall unsere Projekte, um in den sozialen Medien und den Betrieben für die Demokratie zu werben.

Viele Menschen in Deutschland, und zwar Sympathisanten aller Parteien, sehen die gestiegene Zuwanderung skeptisch. Was sagen Sie denen?

Giesler: Wir brauchen Zuwanderung, um unseren wirtschaftlichen Wohlstand zu sichern. Wo wir Fehler machen, ist das Thema Integration. Wir müssen die Leute schneller in Arbeit und auch in unsere Kultur integrieren. Wir können es uns gar nicht leisten, diese Menschen zu parken, sonst werden wir den Arbeitskräftemangel nicht bewältigen können.

Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall Nordrhein-Westfalen

Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall Nordrhein-Westfalen

Kirchhoff: Wir haben zwei große Fehler gemacht. Wir dürfen Zuwanderer nicht so lange außerhalb des Arbeitsmarktes lassen. Es hapert etwa an der Berufsanerkennung. Ein Handwerksmeister sieht sofort, was jemand kann, auch wenn er nicht nach unseren Kammer-Standards ausgebildet wurde. Zugleich muss der Staat aufpassen, dass er die Nichtarbeit nicht zu hoch vergütet. Es darf keinen Anreiz geben, nach Deutschland zu kommen und statt zu arbeiten Sozialleistungen zu beziehen.

Die EU hat derzeit ein allgemeines Glaubwürdigkeits- und Akzeptanzproblem bei vielen Menschen. Warum brauchen die Deutschen Europa?

Kirchhoff: Für uns ist die EU der mit Abstand größte Markt, in NRW gehen 60 Prozent aller Exporte in EU-Länder. Die EU sichert unseren Wohlstand. Wir brauchen deshalb den europäischen Binnenmarkt. Die Menschen haben lange abgehakt, dass sie frei reisen können, fast überall mit dem Euro bezahlen können und das Telefonieren über Grenzen hinweg in Europa fast nichts mehr kostet. Aber der Binnenmarkt ist noch nicht vollendet und seine Entwicklung geht viel zu langsam voran. Im Wettbewerb der Weltregionen mit China und den USA ist Europa noch nicht gut aufgestellt.

Was fehlt denn?

Kirchhoff: Was fehlt, ist vor allem eine funktionierende Infrastruktur, etwa für Energie und Verkehr. Bei der E-Mobilität ist es so, dass 60 Prozent aller Ladepunkte der EU in Frankreich, Deutschland und den Beneluxländern stehen. Sie können aber nicht elektrisch nach Polen fahren. Wir brauchen auch viele neue Stromleitungen, denn die machen nicht an den Grenzen halt. Das zu koordinieren, ist die Hauptaufgabe für die EU. Da muss Brüssel mehr Tempo machen.

Giesler: Deutschland ist viel zu klein, um mit Ländern wie China und den USA konkurrieren zu können. Um auf Augenhöhe zu kommen, brauchen wir Europa. Die EU ist zudem das größte Friedensprojekt: Dass wir seit 80 Jahren in Frieden leben, ist ein Luxus, den wir in Europa vorher nicht kannten. Und die EU sichert unseren Wohlstand als Industrieland.

Aber?

Giesler: Aber wir brauchen auch innerhalb Europas vergleichbare Bedingungen. Ein Beschäftigter versteht es nicht, wenn durch EU-Subventionen Arbeitsplätze in Osteuropa aufgebaut und gleichzeitig dadurch bei uns abgebaut werden. Da verstehe ich jeden, der sagt, so kann Europa nicht funktionieren. Und wir brauchen auch vergleichbare Energiepreise und Standards für Subventionen. Solange das nicht gegeben ist, macht die EU den Leuten Angst und stößt auf Ablehnung.

Kirchhoff: Europa braucht mehr Handelsabkommen. Da sind wir zuletzt nicht vorwärtsgekommen. Vielleicht, weil wir zu hohe moralische Standards ansetzen. Stattdessen müssen wir uns mit überzogenen Lieferkettenregelungen für Zulieferländer beschäftigen. Wir als Kirchhoff-Gruppe setzen das zwar um. Aber wissen Sie, was uns taiwanesische und kanadische Unternehmen sagen? „Das unterschreiben wir nicht, das geht uns zu weit.“ Die EU hat also Regeln gemacht, die unseren Handel erschweren statt vereinfachen.

Giesler: Für uns ist klar, dass wir ein Lieferkettengesetz brauchen. Das führt am Ende zu vergleichbaren Konkurrenzbedingungen. Wir wollen nachhaltige Wertschöpfungsketten, insbesondere was Arbeitsbedingungen und Sicherheitsstandards in den Herkunftsländern angeht. Da sollten wir als Europa schon eine Vorreiterrolle spielen, und dann halt nicht beim Taiwanesen bestellen, der das nicht unterschreiben will.