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Reportage aus HeiligenstadtZu Besuch beim AfD-Sommerfest mit Björn Höcke

Lesezeit 5 Minuten
Heiligenstadt: Afd-Spitzenkandidat Björn Höcke spricht während einer Wahlkampfveranstaltung auf einem Marktplatz.

Heiligenstadt: Afd-Spitzenkandidat Björn Höcke spricht während einer Wahlkampfveranstaltung auf einem Marktplatz.

Die AfD bereitete heimlich ein Sommerfest in Heiligenstadt vor, bei dem Björn Höcke sprach. Höcke verurteilte die „Kartell-Parteien“ und spielte mit der Angst der Bürger.

Nach Heiligenstadt kommen eigentlich Menschen mit Verletzungen. „Haben Sie auch Knie?“, fragt eine Frau mit Krücken einen älteren Mann. „Nee, Rücken.“ Die beiden stehen unschlüssig vor dem Kurpark-Bistro. Sie bekommen nicht mit, dass etwa 500 Meter entfernt, auf dem Marktplatz, Männer mit dunklen Schiebermützen, in schwarzen Hosen und T-Shirts gerade dabei sind, eine Bühne aufzubauen. „Der Osten machts!“, steht in großen Lettern auf dem Bühnenhintergrund. Daneben stellen die Männer eine Fahne auf: „AfD Kreisverband Eichsfeld“.

Sommerfest war kaum angekündigt

„Ich habe erst gestern Abend durch die sozialen Medien erfahren, dass die AfD ein Sommerfest auf dem Markt geplant hat“, sagt eine Anwohnerin. Im ganzen Ort sind keine Aushänge zu finden, die für die Veranstaltung an diesem Tag Ende August werben. Dafür hat die vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestufte AfD Thüringen das „Sommerfest mit Björn Höcke“ auf ihrer Website angekündigt. Auf dem Online-Banner zeigt sich der thüringische AfD-Spitzenkandidat siegesgewiss. Verspiegelte Fliegerbrille, ironisches Lächeln. Dass er nur wenige Tage später, wohl aus gesundheitlichen Gründen, eine TV-Debatte im Wahlkampf wird absagen müssen, zeichnet sich noch nirgends ab.

Höckes Wahlkreisbüro liegt ganz in der Nähe, in der Fußgängerzone von Heiligenstadt. Vom Büro zum Markt sind es nur fünf Minuten. Immer mehr Menschen flanieren an diesem Nachmittag in Richtung AfD-Fest. Frauen mittleren Alters, in gepunkteten Sommerkleidern. Männer im hellblauen Shirt oder Hemd. Auf dem Umhang einer vornehm gekleideten Frau im blauen Kleid mit exaltiertem Hut steht „AfD Nürnberg“.

Es kommen Großeltern mit ihren Enkeln, Eltern mit ihren Kindern, ein Mädchen trägt einen hellblauen „Frozen“-Rucksack. Sie laufen zu einem Stand: „Kinderschminken“ steht auf einem selbstgemalten Schild. Man kennt sich, herzliche Umarmungen. Nur vereinzelt versteinerte, harte Gesichter, muskulöse Männer, die das Treiben mit zusammengekniffenen Augen beobachten. „Viele von denen, die hier stehen, habe ich in Heiligenstadt noch nie gesehen“, sagt ein Anwohner.

AfD-Song dröhnt: Deutschland ist mein Zuhause

Allmählich nimmt auch die Fahnen-Dichte zu. Schwarz-Rot-Gold und andere. Ein Trommler bringt sich in Stellung. Ein Mann mit Ordnerbinde steht mit verschränkten Armen am Rand. Es gibt Bratwurst, Bier für drei Euro, Cola, Fanta, Sprite.

Drei Rentnerinnen sitzen auf einer Bank, sie könnten Touristinnen sein. Plötzlich ruft eine: „Die Omas gegen rechts bekommen 60 Euro pro Auftritt! Schämen die sich gar nicht?“ Woanders macht ein Pressefotograf seine Bilder. „Der ist doch vom Wohnzimmerzirkus“, schreit einer. „Such dir doch eine ordentliche Arbeit, damit es vorwärtsgeht mit den Leuten. Verpiss dich.“

Mittlerweile dröhnt der AfD-Song aus den Lautsprechern: „Deutschland ist mein Zuhause. Gemeinsam stark für unser Land, für Freiheit und für Ordnung.“ Die Sonne brennt auf den Marktplatz, gleich soll Höcke kommen. Es ist 16 Uhr.

Marcel Drößler, Versammlungsleiter und AfD-Mitglied, ruft den Zuschauern von der Bühne aus zu: „Die AfD ist jung, vital, die AfD ist spannend, die AfD ist innovativ und auch ziemlich cool.“ Ihm schließt sich eine blonde, etwas ältere, stark geschminkte Frau mit rauchiger Stimme an. Die Regierung gehöre abgesetzt, weil sie gegen das Volk regiere, ereifert sie sich, bevor sie Höcke ankündigt.

Björn Höcke: Über ihn redet ganz Deutschland

Dann betritt der Kandidat die Bühne, der Mann, über den ganz Deutschland redet in diesen Wochen. Björn Höcke trägt ein weißes Hemd zur Jeans, optisch immer noch der Geschichtslehrer. Seit 2014 ist der einstige Oberstudienrat Beamter außer Dienst. Ein Leben für die AfD.

„2024 holen wir uns unser Land zurück“, setzt Höcke zu seiner Rede an. Bevor er richtig loslegt, warnt er seine Fans, er könne heute keine Autogramme geben. Er habe im Anschluss noch eine „Talkrunde“, und bei dem Wort malt er mit seinen Fingern Anführungsstriche in die Luft. Offenbar sind öffentliche Diskussionen mit anderen Politikern für ihn kein wirkliches Gespräch.

Mit Candy-Crush-Bodo und mit Mett-Mario“, sagt Höcke. Gemeint sind der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), der einmal gesagt hat, er spiele in langweiligen Konferenzen Handyspiele, und Mario Voigt (CDU), mit dem sich Höcke während eines TV-Duells in eine absurde Diskussion über Mett und Gehacktes verirrte.

Die Abwertung von Kritikern hat System bei AfD-Mann Höcke. Andere Parteien nennt er nur „Kartell-Parteien“. Die Zivilgesellschaft, gemeint sind auch die etwa 30 Gegendemonstranten, sei vom Staat finanziert. Die bunte Vielfalt, so Höcke, sei Einfalt. „Heute bist du tolerant und morgen fremd im eigenen Land“, sagt er. Eine Parole, die laut bayerischem Verfassungsschutz bereits die NPD nutzte. Auch Ex-AfD-Chef Alexander Gauland hatte sie im Repertoire.

Würden die demokratischen Parteien, die er „Kartellparteien“ nennt, wiedergewählt, drohten laut Höcke: Bauernsterben, Inflation, sinkende Renten, zerstörte Natur, Krieg. Er beherrscht die Klaviatur der Angst. Und er droht Politikern, die dem Rechtsstaat „schweren Schaden zugefügt“ hätten, unverhohlen: „Wir vergessen das nicht.“

Björn Höcke: Leicht gebückt, mit Schweiß im Gesicht

Höcke steht etwas gekrümmt da, der Schweiß tropft ihm jetzt von der Stirn, rinnt in seine Augen, er reibt sie sich und macht weiter: Journalisten, angeblich „gleichgeschaltete Kartellmedien“, wollten ihm eine „Deportationslüge“ andichten. Überhaupt sieht er sich als Opfer: „Wenn du als Oppositionspolitiker von deinen Mitbürgern forderst, alles für dieses Land zu geben, dann wirst du vor Gericht gestellt und darfst 30000 Euro bezahlen.“ Höcke spielt auf die Geldstrafen an, zu denen ihn das Landgericht Halle vor Kurzem wegen der Verwendung der SA-Parole „Alles für Deutschland“ verurteilt hatte.

Als er schließlich von der Bühne tritt, wird er umringt von Sympathisanten. Ein Junge im Teenageralter ringt ihm doch ein gemeinsames Foto ab. „Ja! Ich habe das Foto“, schreit er seinen Freunden zu. Dann steigt Höcke in einen schwarzen Audi, flankiert von seinen Leibwächtern, und fährt zum nächsten Termin.

Ein Junge verlässt mit seiner Oma das Sommerfest, an der Hand hält er einen Flugzeug-Luftballon. Die AfD nennt sie Abschiebeflieger. Durch die Lautsprecher tönt es: „Es gibt noch Luftballons am Stand der Jungen Alternative.“