Die Angst geht umKommt jetzt der große Kahlschlag in der Autoindustrie?

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Schwere Zeiten: Die deutsche Automobilindustrie steht im Moment vor einer Reihe an Herausforderungen.

Schwere Zeiten: Die deutsche Automobilindustrie steht im Moment vor einer Reihe an Herausforderungen.

Traditionsfirmen wollen Tausende Arbeitsplätze streichen – was kommt da auf die Branche zu?  Viele Meldungen geben Anlass zur Sorge.

Bei VW gibt es Spekulationen über den Abbau von 20000 Stellen. Continental schließt sechs Standorte mit knapp 1000 Arbeitsplätzen. Bei Tesla soll jeder Zehnte das Unternehmen verlassen.

Wie viele Menschen sind in der Autobranche beschäftigt?

Im Januar 2020 – kurz vor dem ersten Corona-Fall in Deutschland – waren 827.338 Menschen bei Autobauern und Zulieferern angestellt. Das geht aus Zahlen des Statistischen Bundesamts hervor, die unsere Redaktion abgefragt hat. Im April dieses Jahres waren es demnach noch 778.680 Menschen, ein Minus von fast 50.000.

Zeitweise war die Anzahl der Beschäftigten noch niedriger. Tiefpunkt war der Mai 2022 mit 771.313 Angestellten. Die gute Nachricht: Seit September 2022 sind in Deutschlands Schlüsselbranche unter dem Strich keine Stellen im nennenswerten Umfang mehr weggefallen. Die schlechte Nachricht: Das wird sich bald ändern.

Wie geht es weiter mit den Jobs?

VW kündigte 2018 an, 5000 Jobs in seinem Nutzfahrzeuge-Werk in Hannover zu streichen. Jetzt wird es ernst: Ende dieses Monats bekommen 900 Leiharbeiter keine Verlängerung. Im Konzern gibt es laut Medienberichten Rufe nach einem „sozialverträglichen“ Kahlschlag von bis zu 20.000 Stellen. Laut „Business Insider“ wollen die Wolfsburger bis 2026 zehn Milliarden Euro einsparen. Immerhin: Zu direkten Entlassungen soll es nicht kommen, man setzt auf Altersteilzeit und Abfindungen im Bereich der Verwaltung.

Mercedes-Benz will laut Medienberichten etwa zehn Prozent der Managementpositionen abbauen. Der Konzern mit dem Stern will das ohne nennenswerte Abfindungen für seine Mitarbeiter schaffen.

Laut Verein Deutscher Ingenieure (VDI) soll der Reifenhersteller Continental weltweit 7150 Stellen abbauen, und einen beachtlichen Teil davon in Deutschland. Der Betriebsrat der Zahnradfabrik Friedrichshafen (ZF), ein weiterer prominenter Autozulieferer, hat bereits bekannt gegeben, dass bis 2030 etwa 12.000 Stellen wegfallen werden. Das ist bei ZF in etwa jeder vierte Job. Unter anderem werden zwei Werke in Gelsenkirchen und Eitorf dicht gemacht.

E-Auto-Pionier Tesla will weltweit sogar jeden zehnten Arbeitsplatz streichen. Davon sind auch bis zu 400 Arbeiter in der 2022 geöffneten Gigafactory in Grünheide (Brandenburg) betroffen.

Die IG Metall kritisierte die angekündigten Stellenkürzungen scharf: Statt den tiefgreifenden Umbruch zu gestalten, „verfallen viele Arbeitgeber wieder in alte Muster: abbauen, verlagern, schließen“, sagte Gewerkschaftschefin Christiane Benner im Gespräch mit unserer Redaktion. „Das ist kein Zukunftskonzept, sondern schwächt die Wertschöpfung, die wir brauchen. Es geht um Unabhängigkeit und Resilienz.“

Was steckt denn hinter dem angekündigten Aderlass?

Brachen in den vergangenen Jahren vor allem wegen Corona Arbeitsplätze weg, schlägt sich im künftigen Stellenabbau die Wucht der Transformation nieder. Für den Bau von E-Autos wird weniger Personal gebraucht als für Diesel und Verbrenner. Und es wollen viel weniger Menschen E-Autos kaufen als erhofft. Die Produktion wird nach Süd- und Osteuropa, China und in die USA verlagert, weil Energie und Personal dort billiger sind oder hohe Subventionen winken.

Laut einer Umfrage des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) wollen acht von zehn (82 Prozent) der Unternehmen geplante Investitionen in Deutschland verschieben, verlagern oder streichen. 37 Prozent planen Verlagerungen ins Ausland: in andere EU-Staaten, nach Asien und Nordamerika. Weitere 13 Prozent planen eine Streichung von Investitionen. Lediglich 1 Prozent der Unternehmen gaben an, Investitionen in Deutschland angesichts der aktuellen Lage erhöhen zu wollen.

Wir stehen mitten in einem tiefgreifenden Umbruch. Ich möchte, dass aus diesem Umbruch ein Aufbruch wird.
Christiane Benner, IG Metall

Der VDA ist alarmiert. „Der Standort Deutschland muss international wieder wettbewerbsfähig aufgestellt werden: günstige und ausreichende Energie, ein wettbewerbsfähiges Steuersystem, mehr Handels- und Rohstoffabkommen und Energiepartnerschaften, weniger Bürokratie – die Liste ist lang“, sagte ein Sprecher auf Nachfrage. In Berlin und in Brüssel seien „mehr Weitsicht, Tempo und Entschlossenheit“ notwendig. Besonders hart zu kämpfen hat die Zulieferer-Industrie, etwa, weil für E-Autos keine Getriebe mehr gebraucht werden. „Die aktuellen Meldungen über Stellenabbau geben natürlich Anlass für Sorge“, so der VDA-Sprecher. Es gehe aktuell auch um Auswirkungen der Transformation, die eine Änderung der Jobprofile mit sich bringe. „Gefragt sind nun zum Beispiel Software- und Batterie-Kompetenzen.“

Ist der Abwärtstrend noch zu stoppen?

„Wir stehen mitten in einem tiefgreifenden Umbruch. Ich möchte, dass aus diesem Umbruch ein Aufbruch wird“, sagt die Erste Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner. Aber wie? Sie nimmt Berlin und Brüssel ins Visier. Die Politik müsse den Wandel in der Automobilindustrie flankieren. „Immer neue Diskussionen über Grenzwerte, Ausstiegsdaten und kurzatmige Regulierungsänderungen sind schädlich.“ Auch das plötzliche Aus der E-Auto-Förderung sei ein Fehler gewesen. Was die Automobilindustrie brauche, sei „ein verlässlicher regulatorischer Rahmen, an dem sie ihre langfristigen Investitionen orientieren kann“.

Genau das fehlt freilich. Nach der Sommerpause will die alte und neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihren Vorschlag für den Umgang mit den geplanten Einschränkungen für Verbrenner ab 2035 präsentieren. Bleiben neue Diesel und Benziner erlaubt, wird das die E-Mobilität abwürgen, da sind sich Brancheninsider sicher.

Mercedes hat bereits eine Kehrtwende vollzogen und seine „Electric Only“-Strategie eingedampft, hält Diesel und Benziner wieder für zukunftstauglich. VW hält am Vorrang für E-Autos fest – zumindest bis auf Weiteres. Dahinter steckt auch die Furcht, von Stromern aus China überrollt zu werden. Noch ist es dazu nicht gekommen. Aber auch die mehrfach angekündigte große Aufholjagd der deutschen Autobauer in Sachen E-Mobilität ist noch nicht wirklich in der Spur.

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