Wer in Rente geht, hat oft falsche Vorstellungen vom Ruhestand. Experte Sebastian Kernbach weiß, worauf es ankommt, um nicht in ein tiefes Loch zu fallen.
Experte coacht Rentner„Viele stehen beim Renteneintritt erst einmal alleine da“
Sebastian Kernbach forscht an der Universität St. Gallen zum Übergang vom Arbeitsleben in den Ruhestand und bereitet Menschen in Kursen auf die Rente vor. Im Interview mit Ankea Janßen erklärt er, warum das Ende des Berufslebens für viele eine Herausforderung sein kann und welche Fehler sich beim Renteneintritt vermeiden lassen.
Herr Kernbach, Sie bereiten Menschen in Kursen auf das Rentenleben vor. Ist das wirklich notwendig?
Ja, ich würde sagen, dass jeder eine Form von Vorbereitung auf die Rente braucht. Wenn auch zu einem unterschiedlichen Grad. Es ist wichtig, sich ein Bewusstsein für diese Zeit zu schaffen und darüber zu sprechen. Mit absoluter Freiheit kommt der Mensch nämlich nicht klar. Auch einen Kurs würde ich jedem empfehlen, weil ich viele Leute gesehen habe, bei denen der Renteneintritt zu Enttäuschung geführt hat.
Endlich nicht mehr arbeiten müssen – wieso kann das zu Enttäuschung führen?
Menschen, die sehr lange sehr viel gearbeitet haben, haben oft keine Vorstellung vom Ruhestand oder aber eine sehr romantische. Viele sagen auch, dass sie erstmal nichts machen oder verreisen wollen. Damit sind sie vielleicht auch erstmal glücklich, aber nach einem Jahr stellen sie sich dann meist die Frage: Was kommt denn jetzt noch? Aus einer Umfrage wissen wir, dass mit dem Nichtstun gemeint ist, dass die Leute nicht mehr fremd- sondern selbstbestimmt sein wollen. Die meisten haben aber den Wunsch aktiv zu bleiben, sich zu engagieren und in Themen involviert zu sein.
Was ist also wichtig, um das Leben als Rentner genießen zu können?
Der Mensch braucht eine Struktur, an der er sich festhalten kann. Jeder möchte außerdem gesehen werden, braucht also soziale Verbindungen. Eine Harvard Studie hat gezeigt, dass die Qualität der Beziehungen eine der wichtigsten Stellschrauben ist, wenn es um das Thema Lebenszufriedenheit im hohen Alter geht. Viele Leute haben ihre sozialen Verbindungen über den Job gehabt. Vor allem jene, die sehr erfolgreich waren und viel Zeit und Energie in den Job investiert haben. Mit dem Renteneintritt stehen sie dann auf einmal alleine da.
Fällt es Menschen in Führungspositionen also besonders schwer, in Rente zu gehen?
Es fällt jenen schwer, bei denen die Fallhöhe beim Eintritt ins Rentenleben relativ hoch ist. Und eben jenen, die sich sehr über ihre Arbeit definieren und sonst kaum soziale Kontakte und Hobbys haben. Es gibt Menschen, die sind Freitag noch CEO und Montag Pensionär und überschätzen, wie viele Leute dann noch an ihnen interessiert sein werden. Denn das sind meist wenige. Wer sich aber von der Rolle, die er im Job hat, gut distanzieren kann, dem fällt der Renteneintritt leichter.
Was sollten Menschen unbedingt vermeiden, wenn es um den Renteneintritt geht?
Limitierende Glaubenssätze wie „Schuster bleib bei deinen Leisten“, „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“, „In meinem Alter darf ich doch nicht mehr…“ sollte man aus dem Kopf streichen. Man muss im Ruhestand auch nicht die eine große Passion finden und sich damit unter Druck setzen. Viele glauben außerdem, dass sie durch Sitzen und Denken neue Erkenntnisse bekommen.
Wie findet man stattdessen heraus, welche Hobbys zu einem passen und wie man die neu gewonnene Freizeit am besten gestaltet?
Da gibt es viele Möglichkeiten. Eine meiner Lieblingsmethoden ist eine Übung, die heißt „Drei gute Dinge“ und kommt aus der positiven Psychologie. Eine Woche lang schreibt man drei Dinge auf, die am jeweiligen Tag gut gelaufen sind und beantwortet dabei folgende Fragen: Was ist passiert? Wie hat sich das angefühlt? Warum hat sich das so angefühlt? Am Ende gibt man diesem Erlebnis dann noch einen Titel. Nach einer Woche hat man also 21 gute Dinge, auf die man zurückblicken kann. Diese Methode steigert bei nur einer Woche Aufwand für mindestens sechs Monate signifikant das Wohlbefinden und reduziert depressive Symptome. Außerdem lässt sich an den Dingen erkennen, was einem Spaß macht und was dahinter steckt. So stellt zum Beispiel jemand fest, dass er gerne mit anderen Leuten kommuniziert und beschäftigt sich damit, wo er sich sozial engagieren könnte und sucht sich ein Ehrenamt.
Welche Möglichkeiten gibt es noch?
Oftmals ist es sinnvoll, sich daran zu erinnern, was einen in der Kindheit interessiert hat. So hat zum Beispiel eine Person aus meinem Kurs kürzlich das Hobby Vespa wieder entdeckt und trifft sich nun einmal im Monat mit anderen Vespa-Enthusiasten. Ebenfalls empfehlen kann ich, einer anderen Person einen sogenannten Dankbarkeitsbrief zu schreiben. Es schärft das eigene Bewusstsein, warum und wofür man dankbar war. Auch daraus lassen sich neue Erkenntnisse ziehen.
Und kann das persönliche Umfeld auch etwas tun, um Menschen im Hinblick auf den baldigen Ruhestand zu unterstützen?
Die soziale Umgebung beeinflusst unser Verhalten stark. Habe ich einen Partner, der mich ermutigt, Dinge zu tun oder sagt er: Spinnst du? Ermutigung ist eigentlich das Schönste, was man machen kann. Man kann der Person auch gute Fragen stellen, etwa, worauf sie sich jetzt freut. Vermeiden sollte man hingegen Standardfragen wie „Wohin reist du jetzt?“ oder „Was machst du denn jetzt mit so viel Zeit?“, „Fällst du da nicht in ein Loch?“ Man kann sicher Geburtshelfer für neue Aktivitäten sein oder dabei unterstützen, alte Kontakte wieder aufleben zu lassen.
Interview: Ankea Janßen