Das deutsche Rentensystem steht vor einem Dilemma: Die Menschen werden immer älter, die Geburtenrate sinkt. Wie kann eine Lösung aussehen? Der Sozialverband fordert mehr Einsatz von Besserverdienern.
Sozialverband-ChefinSollten Reiche höhere Steuern zahlen, Frau Bentele?
Ist das Generationenkapital von Christian Lindner die Rettung für die Rente? Verena Bentele, die Chefin des größten deutschen Sozialverbandes VdK, hat ihre Zweifel. Statt in Aktien zu investieren, möchte sie, dass Reiche zur Rettung des Rentensystems zur Kasse gebeten werden. Im Interview mit Sören Becker erklärt sie, wie sie das Rentensystem reformieren würde, um Altersarmut zu verhindern.
Frau Bentele, viele Ökonomen und Politiker fordern, dass die Menschen länger arbeiten sollen. So sollen etwa Vergünstigungen wie die sogenannte „Rente mit 63“ abgebaut werden.
Auf die dafür nötigen 45 Berufsjahre kommen die Menschen immer seltener. Wer studiert hat, muss sich dafür schon ziemlich ranhalten. Wenn man bedenkt, wie früh Menschen mit 45 Beitragsjahren angefangen haben zu arbeiten und was sie alles im Leben geleistet haben, sollten wir dafür Respekt haben. Und wir als VdK finden, dann sollten diese Leute auch was von ihrem Ruhestand haben und früher in Rente gehen dürfen.
Was aber natürlich dafür sorgt, dass über mehr Jahre Rente bezogen wird.
Zu Menschen, die keine riesigen Renten haben, die ärmer sind, vielleicht keinen hohen Bildungsabschluss und dann auch noch eine niedrigere Lebenserwartung haben, kann man nicht auch noch „Arbeite mal länger“ sagen. Das würde bedeuten, dass sie von ihrem Ruhestand noch weniger haben als sowieso schon. Das ist schlicht ungerecht.
Die CDU fordert in ihrem Grundsatzprogramm, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln. Dann wären die Jahre, in denen der Ruhestand genossen werden kann, zumindest konstant.
Die CDU verschweigt dabei aber, dass es dann ein unterschiedliches Renteneintrittsalter geben müsste, denn die Lebenserwartung ist sehr unterschiedlich. Wir wissen, dass Beamte im Schnitt vier Jahre länger leben als Angestellte. Arme Menschen sterben früher als Reichere. Gebildete Menschen später als Menschen ohne Abschluss. Müsste man das Renteneintrittsalter dann auch daran koppeln?
Gleichzeitig ist die Rente aber so ziemlich das Teuerste, was der Staat sich leistet. Allein im kommenden Haushalt sind 127 Milliarden Euro dafür veranschlagt.
Ich würde nicht sagen, dass die Rente eine Belastung für den Staat ist. Die Rentner haben sich die Versorgung im Alter durch ihre Beiträge erarbeitet, in dem sie lange gearbeitet oder Kinder erzogen haben. Leistungen wie die Mütterrente sind gesellschaftlich wichtig und die Unterstützung durch den Steuerzahler wert. Wer die Rente sichern will, muss vor allem auf den Arbeitsmarkt schauen. Es braucht zum einen höhere Löhne, damit die Leute mehr in die Rentenkasse einzahlen. Zum anderen brauchen wir eine höhere Erwerbsquote von Frauen. Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit, weil sie häufiger Kinder erziehen und kranke Verwandte pflegen. Diese Arbeit wird nicht bezahlt, muss aber trotzdem getan werden. Um Frauen die Berufstätigkeit zu ermöglichen, brauchen wir eine höhere Anzahl von Tages- und Kurzzeitpflegeplätzen, Bildungseinrichtungen und Kitas. Wir müssen dafür in Betreuung, Bildung und Pflege investieren, damit alle Menschen selbst entscheiden können, wie viel sie arbeiten wollen. Und wir müssen das Ehegattensplitting abschaffen, weil es dazu verleitet, dass Frauen weniger arbeiten, damit die Steuerersparnis höher ist.
Sie und Ihr Verband finden das Rentenniveau zu niedrig. Wie kann man es erhöhen, ohne aktuell Arbeitende deutlich stärker zu belasten?
Wenn wir mehr Menschen in den Arbeitsmarkt integrieren: Frauen, Menschen mit Behinderungen, Migranten. Wir brauchen einfach eine möglichst breite Basis von Einzahlern. Das könnte das System stabilisieren. Selbstständige, Beamte und Abgeordnete zahlen gerade zum Beispiel nicht automatisch in die Rentenkasse ein und verdienen relativ gut. Gleichzeitig finden wir steuerliche Zuschüsse für die Rentenkasse sinnvoll. Der Staat muss alle Möglichkeiten nutzen, um die Einnahmenseite zu erhöhen. Ein höherer Spitzensteuersatz, eine Vermögenssteuer, höhere Steuern auf große Erbschaften und Kapitalerträge. Der Staat muss seine Einnahmenseite erhöhen, dann hat er auch die finanziellen Möglichkeiten, um die Sozialversicherungen zu stützen.
Zumindest die Beiträge für die Rentenversicherung steigen 2028 auf 20 Prozent und bis 2035 auf 22,3 Prozent.
Wir werden in Zukunft immer wieder abwägen müssen, ob wir lieber die Beiträge für die Sozialversicherung erhöhen, oder mehr Steuermittel in die Sozialversicherung geben. Über Steuern kann man natürlich viel besser regeln, dass Menschen mit mehr Geld sich mehr beteiligen müssen. Steigende Sozialversicherungsbeiträge sind gerade bei kleinem Einkommen eine ziemliche Belastung. Daher bevorzugt der VdK höhere Steuern für Reiche statt höherer Beiträge für alle.
Dass ein Viertel des Bundeshaushalts für die Rente ausgegeben wird, finden Sie also nicht schlimm.
Ich sehe das als Tatsache. Die gesetzliche Rentenversicherung ist das beste System, das wir haben. Daraus werden viele sinnvolle Leistungen, wie die Witwenrente und die Angleichung der Ost-Renten oder Leistungen zur Rehabilitation, bezahlt. Das kommt alles aus der Rentenkasse, aber beruht auf einer gesellschaftlichen Entscheidung, die wir richtig und wichtig finden. Man kann sich natürlich wünschen, dass die Rente billiger wird. Dann muss man aber auch sagen, was die Leute stattdessen tun sollen.
Der Staat soll nun die Vorsorge übernehmen und in Aktien investieren.
Herr Heil und Herr Lindner wollen jedes Jahr 12 Milliarden plus drei Prozent in das Generationenkapital einzahlen. 2036 wären das also 17 Milliarden pro Jahr und im Topf wären bis dahin dann über 200 Milliarden Euro, die man auf dem Kapitalmarkt anlegt. Ab dann sollen jedes Jahr, wenn alles so läuft, wie Herr Lindner sich das vorstellt, zehn Milliarden pro Jahr an die gesetzliche Rente überwiesen werden. 2036 stünden also einer jährlichen Einzahlung von 17 Milliarden zehn Milliarden Ertrag gegenüber. Das ist also ein Zuschussgeschäft. Wir wissen ja auch nicht, wie sich die Aktienkurse und die Zinsen entwickeln. Denn wir müssen das Geld ja als Schulden aufnehmen und Zinsen dafür zahlen. Das sind mir einfach zu viele Fragezeichen und zu viel Spekulation. Stattdessen könnte man das Geld auch gleich nehmen und in die Rentenkasse stecken.