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Persönlicher ErfahrungsberichtWie ich lernte, mein E-Bike zu lieben

Lesezeit 6 Minuten
Moderne E-Bikes zeigen auf Displays Funktionen an, manche verfügen beispielsweise auch über ein Navigationsgerät.

Moderne E-Bikes zeigen auf Displays Funktionen an, manche verfügen beispielsweise auch über ein Navigationsgerät.

Der Umstieg aufs Elektrofahrrad hat den Spaß am Radeln neu entfacht – unser Redakteur zieht seine Bilanz nach 7777 Kilometern auf dem E-Bike.

Bis vor einem Jahr habe ich mich noch gern über sie lustig gemacht, über die älteren Herrschaften mit ein paar Kilo zu viel am Körper, die am Anstieg an mir vorbeigezogen sind, gleichsam ohne auch nur einmal richtig in die Pedale treten zu müssen – typisch E-Bike eben. Gesteuert von Couchpotatoes, denen ein bisschen Schwitzen durchaus guttäte, dachte ich – und schimpfte still in mich hinein.

Im selben Atemzug mahnte mich der Gedanke an einen Werbespruch: Sind sie zu stark, bist du zu schwach. Umso heftiger trat ich in die Pedale meines herkömmlichen Drahtesels. Und war bei der Ankunft im Büro klatschnass geschwitzt.

Heute, ein paar Pedalumdrehungen später, ist die Welt eine andere. Soeben ist der Bordcomputer – altmodisch Tacho genannt – auf 7777 Kilometer umgesprungen. Was für eine magische Zahl, denke ich. Zeit für ein Foto.

Alles andere als Liebe auf den ersten Blick

Menschen neigen dazu, sich gern zu feiern und ihre Erfolge auch jenen unter die Nase zu reiben, die es vielleicht gar nicht hören wollen. Als inzwischen stolzer Besitzer eines E-Bikes kann auch ich mich dem nicht länger entziehen. Also: 7777 Kilometer in knapp einem Jahr, ohne auch nur einen einzigen Liter Benzin verbraucht zu haben. Ein Dutzend Tankfüllungen gespart. Was für eine CO2-Bilanz! So geht Mobilitätswende! So klappt’s mit dem guten Gewissen!

Dabei war es alles andere als Liebe auf den ersten Blick, als ich mich dafür entschied, über den Arbeitgeber ein Dienstrad zu leasen. Bereits mit vier Jahren konnte ich Radfahren, bis zu meinem 57. Lebensjahr hatte ich aber noch nie auf einem Fahrrad mit elektrischer Unterstützung gesessen. Mein Sportlerherz und die Ehre als Rennradler verboten es mir jahrelang, derlei überhaupt nur in Erwägung zu ziehen, bevor ich das Rentenalter erreicht hätte. Frühestens.

Manchmal aber muss man über den eigenen Schatten springen – zumal, wenn der jugendliche Nachwuchs schon vorausdenkt und quengelt: „Dann kann ich ja mit dem Rad zur Schule fahren, wenn Du im Homeoffice arbeitest!“ Oder abends, zum Fußballtraining, Elterntaxi ade. Oder am Wochenende, wenn es ans Feiern zu Freunden in den Nachbarort geht. Oder, oder, oder...

Beim Probefahren der Faszination erlegen

Bei einer Probefahrt im Fahrradladen war es dann schnell um mich geschehen: Wer einmal die Beschleunigung fühlt, mit der ein E-Bike ohne jede Kraftanstrengung abgeht, wer die Leichtigkeit spürt, mit der sich Steigungen nehmen lassen und lästiger Gegenwind in ein Lüftchen verwandelt – der wird sich der Faszination kaum entziehen können.

Seit Anfang der 2010er-Jahre steigen die Verkaufszahlen von mit Elektromotoren getriebenen Fahrrädern kontinuierlich, zwischenzeitlich eilten sie von Absatzrekord zu Absatzrekord. 2023 wurden in Deutschland erstmals mehr E-Bikes als klassische Fahrräder verkauft, nämlich 2,1 zu 1,9 Millionen.

Inzwischen hat sich die Nachfrage etwas beruhigt. Aber: „Der Absatz beim E-Bike bleibt auf hohem Niveau, die Marktlage insgesamt ist durch gesunde Nachfrage bei hohen Lagerbeständen geprägt“, verkündete der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) anlässlich der Weltleitmesse Eurobike im Juli. Ab 2025 geht der Verband für den gesamten Fahrradmarkt von neuem Schwung aus. Im Übrigen lägen die Absätze nach wie vor über dem Vor-Corona-Niveau.

Weltweit liegt das Volumen des E-Bike-Marktes laut dem internationalen Marktforschungsunternehmen Mordor Intelligence in diesem Jahr bei veritablen 32 Milliarden Euro; bis 2029 soll er laut der Prognosen knapp 48 Milliarden Euro erreichen.

Tatsächlich gelten E-Bikes nicht mehr nur als Freizeitgerät, sondern längst auch als alternatives Verkehrsmittel. Während anfangs vor allem ältere Menschen Räder mit elektrischer Unterstützung nutzten, hat sich die Zielgruppe stetig erweitert.

Heute nutzen auch jüngere Menschen, Schul- und Berufspendler vermehrt E-Bikes. Verbesserungen in der Batterietechnologie und der Gesamteffizienz der Räder haben sowohl die Leistung als auch die Reichweite der E-Bikes erheblich verbessert.

25 Minuten benötige ich für die elf Kilometer von daheim am Stadtrand ins innenstädtische Büro. Das ist unwesentlich langsamer als mit dem Auto. Aber deutlich schneller als mit Bus oder Bahn; denn die fahren im ländlichen Raum ja nicht nur im unmöglichen Takt, sondern oftmals auch nicht direkt vor der Haustür los. Schöner ist es sowieso. Großteils geht es auf kleinen asphaltierten Wegen zwischen Feldern und Wiesen hindurch.

Jobräder als Mitarbeiterbenefit

So erfreut sich auch das Jobradleasing wachsender Beliebtheit. Weit über 100000 Unternehmen in Deutschland bieten es inzwischen an, darunter 70 Prozent der Dax-Konzerne. Diensträder seien ein beliebter Mitarbeiter-Benefit, heißt es beim Bundesverband deutscher Leasingunternehmen.

So verzeichnet das Leasinggeschäft mit Fahrrädern im ersten Halbjahr 2024 ein Wachstum von fünf Prozent; dabei war der Vergleichszeitraum 2023 schon von einer starken Nachfrage geprägt.

Und was mindestens so erfreulich ist wie der Dienst an Klima und Umwelt, für mich vielleicht sogar das ausschlaggebende Argument für die Anschaffung eines E-Bikes: Es macht einfach Spaß! Es ist wie Mopedfahren, nur in leise. Ob ins Büro oder mal eben zum nahegelegenen Bäcker, alles in bis zu einem Dutzend Kilometer Entfernung ist wie für E-Bikes im Alltag gemacht. Oder einfach cruisen, auf kleinen asphaltierten Wegen die Landschaft genießen, in Schlangenlinie fahrend oder freihändig, mit ein bisschen Musik auf den Ohren und frischem Wind um die Nase.

Die Anstrengung, mithin den Kalorienverbrauch, bestimmt der Radler selbst; wer den Kreislauf mehr fordern möchte, wählt am Bordcomputer Eco. Wer jede Anstrengung scheut, schaltet auf Turbo, muss sich dann aber auch mit weniger Akku-Reichweite zufriedengeben. Ich persönlich? Entscheide mich für die automatische Tretunterstützung, sie berücksichtigt, ob es bergauf geht, flach oder bergab. Ich möchte es schon bequem haben. Raufereien in der

Familie ums RadNatürlich, das muss ich gestehen, bin ich die 7777 Kilometer bis zum 4. August dieses Jahres nicht alle selbst gefahren. Tatsächlich ist das Rad nahezu rund um die Uhr, sieben Tage die Woche im Einsatz. Es ist so beliebt, dass es inzwischen regelrechte Raufereien zwischen Bruder und Schwester gibt. Denn auch die Tochter radelt elektromotorgetrieben gern ins Gym oder zum Chillen mit der Clique.

Mich selbst packt bisweilen immer noch ein schlechtes Gewissen, wenn ich am Berg einen Radler auf einem normalen Drahtesel überhole. Ich denke dann an die Kollegen der Radsportgruppe, an deren gestählte und rasierte Waden. Fast schäme ich mich ein bisschen. Aber nur kurz.

Dann überwiegt schnell wieder das wonnige Fahrgefühl. Und der Stolz auf die gefahrenen Kilometer – 7777 war gestern, inzwischen rollen wir auf die 8888er-Marke zu. Ich fürchte, unsere Familie kommt um ein zweites E-Bike nicht herum.