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Interview

Entwicklungsministerin Svenja Schulze
„Die Welt ist ungerechter geworden“

Lesezeit 6 Minuten
Berlin: Svenja Schulze (SPD), Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Berlin: Svenja Schulze (SPD), Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Warum Entwicklungsministerin Svenja Schulze für eine globale Steuer für Superreiche kämpft.

In der Pandemie sind die Reichsten der Reichen noch reicher geworden. Zugleich ist die Hälfte der Menschheit heute ärmer als vorher. Brasilien will an der Spitze der G20 die Welt mit der Einführung einer Milliardärssteuer gerechter machen. Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) erklärt im Gespräch mit Tobias Schmidt, wie sie den Widerstand von Christian Lindner dagegen brechen will.

Frau Schulze, Brasilien kämpft als G20-Präsidentschaft für eine Milliardärssteuer: Die Superreichen sollen jedes Jahr zwei Prozent ihres Vermögens abgeben. Eine gute Idee?

Das ist ein sehr wichtiger und richtiger Vorstoß, den ich und auch immer mehr andere voll und ganz unterstützen: Frankreich, Spanien, Südafrika, Belgien, Kolumbien… Es liegt jetzt erstmals ein Konzept für diese Steuer auf dem Tisch. Das kann ein wichtiger Schritt zu einer globalen Einführung werden.

Warum so eine neue Steuer?

Wenn wir gute Entwicklung weltweit ermöglichen und finanzieren wollen, braucht es neben einer globalen Mindestbesteuerung für Unternehmen, die kurz vor der Einführung steht, auch eine Abgabe für Superreiche. In der Corona-Pandemie haben die fünf reichsten Männer der Welt – es waren nur Männer – ihr Vermögen verdoppelt, während die Hälfte der Menschheit ärmer geworden ist. Die Welt ist ungleicher und ungerechter geworden.

Was würde die Steuer daran ändern?

Eine Mindeststeuer für Milliardäre wäre ein gutes Werkzeug, um gegenzusteuern, wenn viele Länder das einführen. Viele Regierungen gerade in Entwicklungsländern haben ja die Sorge, dass die reichsten Bürger auswandern, würden sie daheim fair besteuert. Deswegen ist die brasilianische G20-Initiative so vielversprechend. Und die angepeilte Höhe von zwei Prozent ist wirklich nicht zu viel verlangt. Zum Vergleich: Ein durchschnittlicher Arbeitnehmer in der EU zahlt rund 35 Prozent an Steuern und Abgaben.

Bis zu 250 Milliarden Dollar könnte die Steuer bringen. Aber würde das Geld sinnvoll ausgegeben?

Der finanzielle Bedarf ist jedenfalls gewaltig: Um Hunger zu bekämpfen, Konflikten vorzubeugen, Bildung zu fördern, Pandemien zu vermeiden oder den Klimawandel zu begrenzen. Daher bin ich sicher, dass die Staaten die neuen Einnahmen sehr gewinnbringend einsetzen würden.

Wer schon heute zwei oder mehr Prozent seines Vermögens als Steuern zahlt, bliebe außen vor. Würde das für die 226 Milliardäre in Deutschland gelten?

Genau das würde sich dann zeigen: Wer von den deutschen Milliardären tatsächlich jedes Jahr zwei Prozent seines Vermögenswertes abführt. Die globale Superreichen-Steuer würde ganz neue Möglichkeiten schaffen, für echte Transparenz zu sorgen. Besonders wichtig ist sie für Länder, in denen es noch gar kein progressives Steuersystem gibt, wo der Steuersatz also mit dem Einkommen steigt. Die Milliardärs-Abgabe könnte also eine globale Reform hin zu mehr Steuergerechtigkeit einleiten.

Warum ist FDP-Chef Christian Lindner trotzdem dagegen?

Das kann ich Ihnen nicht erklären. Ich teile meine Position jedenfalls mit vielen Verbündeten weltweit. Es braucht Geld, damit die Staaten die gewaltigen Herausforderungen finanzieren können. Und dass die Superreichen einen Beitrag etwa zu mehr Klimaschutz leisten, wäre doch wohl fair, oder? Zur Erinnerung: Was Milliardäre mit Privatjet und so weiter an CO₂ ausstoßen, ist eine Million Mal mehr als der Ausstoß von Durchschnittsbürgern.

Kann Deutschland den Vorstoß der Brasilianer ohne Zustimmung des Bundesfinanzministers unterstützen?

Wir werden in der Bundesregierung darüber diskutieren müssen. Man darf nicht vergessen: Deutschland ist ein Land, das mehr als andere auf eine gute, konstruktive Zusammenarbeit mit Partnern weltweit angewiesen ist. Wenn sich wichtige Schwellenländer um die Bewältigung globaler Probleme kümmern, sollten wir Teil der Lösung sein.

Diskussionsbedarf gibt es mit Herrn Lindner auch immer noch über den Bundeshaushalt für das kommende Jahr. Warum der ewige Ampel-Streit?

Der Staat hat nach Corona und in Zeiten des russischen Krieges gegen die Ukraine weniger Steuereinnahmen, die Probleme in Deutschland und weltweit sind aber gewachsen. Daher ist die Haushaltsaufstellung wirklich schwierig. Aber ich bin überzeugt: Im Juli wird es eine Einigung auf den Haushaltsentwurf geben!

SPD-Kanzler Olaf Scholz sagt: Wir können nur ausgeben, was da ist. SPD-Chefin Saskia Esken dagegen sagt: Die Schuldenbremse muss weg. Wer hat eigentlich das Sagen in Ihrer Partei?

Frau Esken vertritt, was die Partei beschlossen hat. Und das ist eine Reform der Schuldenbremse. Der Kanzler spricht für die ganze Regierung und kann keine SPD-pur-Politik machen.

Würde Svenja Schulze lieber ohne Schuldenbremse oder mit FDP weiterregieren?

Ohne eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag kann die Schuldenbremse im Grundgesetz nicht reformiert werden. Die ist momentan auch wegen der Haltung von CDU und CSU nicht in Sicht.

Dann ist der öffentliche Streit überflüssig?

Nach Stand der Dinge müssen wir uns auf einen Haushalt einigen, ohne dabei das Grundgesetz zu ändern. Ich gehe fest davon aus, dass das auch klappt, trotz aller Schwierigkeiten. Es gibt ja auch Spielräume im Rahmen der geltenden Schuldenbremse, die man nutzen könnte.

Sind Sie dafür bereit, auf weitere 1,6 Milliarden Euro zu verzichten, wie es Lindner verlangt?

Der Finanzminister hat vorgeschlagen, das Entwicklungsbudget auf knapp 9,9 Milliarden Euro zusammenzustreichen. Meine Antwort darauf ist, dass Deutschland in der aktuellen Weltlage eigentlich mehr und nicht weniger internationale Zusammenarbeit braucht. Wir leben in einer Zeit, in der wieder mehr Menschen hungern und vor Krieg und Gewalt flüchten. Wenn Deutschland sich nicht mehr in der Ukraine, im Nahen Osten, in der Sahelzone und anderen Krisenregionen engagieren würde, dann kämen die Probleme von dort zu uns. Sei es durch mehr Flüchtlinge, mehr Hunger und Konflikte, Terrorismus oder einen Verlust an Einfluss, weil Russland und China dahin gehen, wo wir uns zurückziehen.

Mehr Geld für Radwege in Peru statt für die Unterbringung Geflüchteter in NRW?

Ja klar, der Radweg in Lima! Ich weiß, dass sich viele Deutsche darüber aufregen. Auch weil viele der verbreiteten Informationen falsch sind: Es geht um eine umfassende Förderung eines klimaverträglichen Verkehrssystems in Lima, übrigens ganz überwiegend mit Krediten, die zurückgezahlt werden. Das ist kein Gedöns, sondern Teil einer sinnvollen Wirtschafts- und Klimapolitik einer Exportnation, die jeden zweiten Euro im Ausland verdient. Dieser Radweg ist als Zubringer zur U-Bahn nur ein winziger Baustein für einen klimaverträglichen Verkehr in der peruanischen Millionenstadt. Die Diskussion in Deutschland hat übrigens für enorme Unruhe in Lima gesorgt. Und das kann deutschen Wirtschaftsinteressen schaden. Der U-Bahn-Bau ist ein Fünf-Milliarden-Dollar-Projekt und bislang waren deutsche Unternehmen bei den Aufträgen ganz vorne dabei. Wenn es jetzt Zweifel an der deutschen Zuverlässigkeit gibt, kann das für die nächsten Bauphasen zum Problem werden.