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Einigung auf EU-GesetzDie Rettung der Natur ist voller Ausnahmen

Lesezeit 3 Minuten
Zehn Prozent der Bienen- und Schmetterlingsarten sind nach EU-Angaben vom Aussterben bedroht. Ihnen soll es künftig wieder besser gehen.

Zehn Prozent der Bienen- und Schmetterlingsarten sind nach EU-Angaben vom Aussterben bedroht. Ihnen soll es künftig wieder besser gehen.

Nach einem großen Protest der Landwirte und der konservativen Politik wimmelt es im Gesetztext nun von Abschwächungen und Notbremsen.

Lange Zeit sah es danach aus, als ob das Ringen um den Naturschutz in Europa weder Sieger noch Verlierer hervorbringen würde. Zu erbittert wurde im Europäischen Parlament über das sogenannte Renaturierungsgesetz gestritten, das nichts weniger als die Natur retten soll. Der offizielle Titel klingt nach EU-Behördensprache, aber die ausgelobten Ziele sorgten fast schon für Hysterie im sonst so unaufgeregten Brüssel.

Es geht darum, trockengelegte Moore wieder zu vernässen, Seegras auf dem Meeresboden anzupflanzen, Wälder aufzuforsten und mehr Grün in Städte zu bringen. Kurzum: Brüssel wollte die Mitgliedstaaten dazu verpflichten, einen Teil der Ökosysteme auf dem Land wie im Wasser bis 2030 in einen möglichst natürlichen Zustand zurückzuführen. Es handelt sich um einen zentralen Pfeiler der Biodiversitätsstrategie.

Nach einem monatelangen Drama gab es nun endlich eine Einigung, die die Grünen-Europaabgeordnete Jutta Paulus als „gute Grundlage“ bezeichnete, „um dem Artensterben in Europa endlich entgegenzuwirken“. Begeisterung sieht anders aus. Man hätte schmerzhafte Kompromisse gemacht. Umso mehr zeigte sie sich „vorsichtig optimistisch“, dass die in der Nacht zu Freitag geschlossene Vereinbarung auch eine ausreichende Mehrheit im EU-Parlament erhält. Es wird vor allem von den Christdemokraten abhängen.

Naturschutz, der die Wirtschaft nicht gefährden darf

Aufgeschreckt von den Erfolgen einiger Rechtspopulisten in Europa, unter anderem der Bauer-Bürger-Bewegung BBB in den Niederlanden, die von der Wut der Landwirte profitierte, und mit Blick auf die Kernkundschaft der Konservativen bliesen die Christdemokraten ab Frühjahr zum Aufstand. Im Fokus der Fundamentalopposition stand das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur. Manfred Weber, Chef der Europäischen Volkspartei (EVP), verfolgte das Credo, nach dem der Grüne Deal weder die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft gefährden noch die Bauern überbelasten dürfe. Der CSU-Politiker hatte deshalb versucht, das Naturschutzvorhaben zu versenken, scheiterte aber letzten Endes mit der Blockadepolitik.

Aber bis heute wirkt in Brüssel die Polarisierung zwischen rechts und links in Sachen Klima- und Umweltschutz nach. Und so blieb auch am Tag danach offen, ob sich eine ausreichende Mehrheit im Abgeordnetenhaus finden wird. Man habe „eine tickende Zeitbombe für Landwirte und ländliche Gebiete entschärft“, sagte ein EVP-Insider. Das bedeute aber nicht, dass die Konservativen das Gesetz auch wollten. „Die EVP-Fraktion wird die heutigen Ergebnisse vor den anstehenden Entscheidungen im Umweltausschuss und im Plenum ernsthaft prüfen und sorgsam abwägen“, kündigte die zuständige CDU-Europaparlamentarierin Christine Schneider an.

Am Freitag versuchten alle Seiten, sich als Gewinner zu verkaufen. Entscheidend sei laut Schneider, dass die Wiederherstellung der Natur und die Verwirklichung der Klimaziele Hand in Hand mit Land- und Forstwirtschaft gingen. „Nur dann können wir die Ernährungssicherheit Europas sichern.“ Die Grünen-Politikerin Paulus lobte derweil, dass Moore „als natürliche Verbündete gegen die Klimakrise“ wiedervernässt und geschützt werden sollen. Trotz Ausnahmen blieben „die übergeordneten Ziele und alle als schützenswert festgelegten Ökosysteme Teil des neuen Gesetzes“.

Im Gesetz wimmelt es von Ausnahmen und Abschwächungen

Zur Wahrheit gehört, dass es in dem Gesetzestext nur so wimmelt von flexiblen Formulierungen, Abschwächungen, Ausnahmen und Notbremsen. Dementsprechend dürften die Grünen, Linken und Sozialdemokraten nicht in Feierstimmung verfallen. Denn mit der Verordnung werden Bauern künftig – anders als ursprünglich geplant – nicht verpflichtet sein, einen bestimmten Prozentsatz ihres Landes für umweltfreundliche Maßnahmen zur Verfügung zu stellen. Die Zielmarke besteht derweil weiter: Die Mitgliedstaaten sind angehalten, bis 2030 auf mindestens 20 Prozent der Landflächen und 20 Prozent der Meeresgebiete Wiederherstellungsmaßnahmen durchzuführen.

Dass es zu dieser fast schon friedlichen Lösung kommen konnte, liegt vor allem am Weggang des EU-Klimakommissars Frans Timmermans. Der Niederländer galt nicht nur als Chef-Buhmann der Agrarlobby, sondern war auch erklärter Hauptgegner der EVP. Er hatte sich Anfang Oktober aus Brüssel verabschiedet, um Ministerpräsident in der Heimat zu werden.