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Rundschau-Debatte des TagesWas bekommt Erdogan für das Ja zu Schweden?

Lesezeit 5 Minuten
Nicht alle sind dafür: Linke Abgeordnete halten in der Debatte im türkischen Parlament Plakate mit der Aufschrift „Keine Besatzung, kein Krieg für die Nato“ hoch.

Nicht alle sind dafür: Linke Abgeordnete halten in der Debatte im türkischen Parlament Plakate mit der Aufschrift „Keine Besatzung, kein Krieg für die Nato“ hoch.

Es war ein zähes politisches Tauziehen, doch nun hat das türkische Parlament den Beitritt des 32. Landes zur Nato abgesegnet. Wieso es gerade jetzt dazu kommt, bleibt Gegenstand von Spekulationen. Nun richten sich alle Augen auf Ungarn.

Lob aus dem Westen für eine außenpolitische Weichenstellung in Ankara ist selten geworden in den vergangenen Jahren, doch nach der Zustimmung des türkischen Parlaments zum Nato-Beitritt Schwedens lassen europäische und amerikanische Politiker die Türkei hochleben. Das Votum mache die Nato stärker und den Westen sicherer, erklärten Generalsekretär Jens Stoltenberg und US-Außenminister Antony Blinken. Ähnlich äußerte sich die Bundesregierung. Nun richten sich alle Blicke auf Präsident Recep Tayyip Erdogan. Denn es liegt an ihm, die türkische Ratifizierung des sogenannten Beitrittsprotokolls mit seiner Unterschrift abzuschließen. Von der zweiten großen Unbekannten auf Schwedens steinigem Weg in die Nato – dem ungarischen Regierungschef Viktor Orban – kamen am Mittwoch überraschend positive Signale.

Was war bislang geschehen?

Schweden ringt seit 20 Monaten darum, die Ratifizierungen aller Nato-Staaten zusammenzubekommen, um wie sein Nachbar Finnland ins Bündnis aufgenommen zu werden. Längst haben 29 der 31 Alliierten ihre Zustimmung gegeben, nur die Türkei und Ungarn nicht. Ankara hatte das damit begründet, dass Schweden unzureichend gegen „Terrororganisationen“ – sprich: kurdische Aktivisten und Islam-Gegner – vorgehe. Budapest hatte Anstoß an schwedischen Aussagen zu Rechtsstaatlichkeit und Korruption unter Orban genommen.

Als Erdogan im Mai 2022 den Beitritt von Finnland und Schweden ablehnte, schimpften westliche Politiker, er stelle sich kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine in einem weltpolitisch entscheidenden Moment quer. Es folgten Krisensitzungen und Zusagen der Regierungen in Helsinki und Stockholm, den türkischen Forderungen entgegenzukommen. Im vorigen Frühjahr ließ Ankara den finnischen Aufnahmeantrag passieren, blieb bei Schweden aber hart. Daran änderte selbst eine Zusage Erdogans beim Nato-Gipfel im Sommer nichts.

Was steckt hinter dem Ja der Türkei?

Warum die Abstimmung gerade jetzt auf die Tagesordnung des Parlaments gesetzt wurde, ist unklar. Öffentlich verkündet wurde in dieser Hinsicht bislang nichts. Im Laufe der Zeit hatte der türkische Präsident aber erkennen lassen, dass es ihm weniger um PKK-Aktivisten und Koran-Verbrenner in Schweden ging als um einen Streit mit der Nato-Führungsmacht USA. Die Türkei wartet seit drei Jahren auf die Lieferung von Kampfflugzeugen des Typs F-16, mit denen die Luftwaffe modernisiert werden soll. Der US-Kongress hat dem Geschäft bis heute nicht zugestimmt. Erdogan setzte den Nato-Antrag als Hebel ein, um den Druck auf Washington zu erhöhen. Noch vor Wochen erklärte er, erst müsse es bei den F-16 Bewegung geben, bevor es mit Schweden weitergehen könne.

Nun ließ Erdogan diese Bedingung offenbar fallen. Das türkische Parlament stimmte mit einer Mehrheit aus Erdogans Partei AKP, ihrer rechtsnationalen Partnerin MHP und der linksnationalen Oppositionspartei CHP für den schwedischen Antrag. Fuat Oktay, Chef des Auswärtigen Ausschusses und hochrangiger AKP-Politiker, lobte die Zusagen aus Finnland und Schweden im Kampf gegen anti-türkische Gruppen als vorbildlich – noch vor kurzem hatte Oktay gesagt, er sei von den Zugeständnissen der Nordländer nicht überzeugt.

Wie reagiert Schweden?

Dennoch ließ mancher Politiker erkennen, dass er dem Ja zur Nato-Norderweiterung nicht so recht traut. Trotz der anderthalb Jahre dauernden Querelen fiel der Jubel in Stockholm verhalten aus. Schweden sei der Nato-Mitgliedschaft „einen Schritt näher“ gekommen, erklärte Ministerpräsident Ulf Kristersson. Außenminister Tobias Billström mahnte, dass es für Erdogan nun keinen Grund mehr zum Warten gebe. Eine erneute Blockade der Türken erwartet aber niemand – schließlich hatte Erdogans eigene Partei die Ratifizierung durch die Ausschuss- und Plenumsberatungen gesteuert.

Wann unterschreibt Erdogan?

Der Zwist um den Beitritt der Skandinavier hat den politischen Charakter von Erdogan klar zur Schau gestellt. Er manövriert im Zickzack-Kurs durch Verhandlungen und unterhält derweil trotz des Kriegs gegen die Ukraine weiter gute Beziehungen zum Kreml. Auch darum dürfte man die Zustimmung der Türkei bei der Nato erst als besiegelt betrachten, wenn das Beitrittsprotokoll unterschrieben und übergeben wurde. Erdogan äußerte sich bislang nicht dazu, wie sein Zeitplan dazu aussieht.

Im Brüsseler Nato-Hauptquartier hofft man, dass der schwedische Beitritt bei einem Verteidigungsministertreffen am 15. Februar besiegelt werden kann. Wie bei Finnland würde es vermutlich auch eine feierliche Zeremonie geben, bei der die schwedische Flagge vor der Nato-Zentrale gehisst wird. Öffentlich zu planen wagt das vorerst allerdings niemand.

Und was macht Ungarn?

Auch Ungarns Ministerpräsident Orban könnte die große Willkommensfeier für die Schweden noch platzen lassen. Er und seine Anhänger werfen Kristersson immer noch vor, 2022 für eine Sperrung von EU-Geldern für Ungarn gestimmt und 2019 den Ausschluss ihrer Partei Fidesz aus der europäischen Parteienfamilie EVP beantragt zu haben. Zugleich hatte Ungarn aber stets beteuert, den Beitritt nicht als letztes Nato-Land ratifizieren zu wollen. In genau diese Situation würde Orban aber geraten, sollte Erdogan zeitnah unterschreiben.

Nach einem Telefonat mit Generalsekretär Stoltenberg bekräftigte Orban am Mittwoch in überraschend deutlichen Worten, dass seine Regierung Schwedens Mitgliedschaft in der Allianz unterstütze. Man werde das ungarische Parlament dazu drängen, für den Beitritt zu stimmen und die Ratifizierung „bei der ersten möglichen Gelegenheit“ abzuschließen, so Orban auf der Online-Plattform X. Forderungen vom Vortag nach „Verhandlungen“ mit Kristersson wiederholte er dabei nicht.

Wann genau eine Abstimmung in Budapest stattfinden könnte, ging aus Orbans Angaben nicht hervor. Normalerweise würde die nächste Sitzungsperiode des Parlaments am 27. Februar beginnen. Ob es für die Ratifizierung des Beitritts vorher eine außerplanmäßige Sondersitzung geben könnte, blieb unklar. (mit dpa)