Wie platt eine solche Forderung nach Messerattacken ist, zeigt der Fall des verurteilten Top-Terroristen Abu Walaa.
Rundschau-Debatte des TagesIslamisten abschieben – nur eine Phrase?
Ein mutmaßlicher Islamist sticht in Mannheim auf einen Polizisten ein, der Beamte stirbt später. Es dauert nicht lange, bis erste Forderungen nach mehr Abschiebungen Krimineller laut werden. Der Messerstecher solle zurück nach Afghanistan, das Land seiner Herkunft. Selbst Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) meldet sich mit dieser Forderung zu Wort. Dabei dürften es die Regierenden eigentlich besser wissen: Manche Islamisten ohne deutsche Staatsbürgerschaft wird Deutschland kaum noch los, mögen sie die freie Gesellschaft noch so sehr ablehnen und ihre Verbrechen noch so schlimm sein.
Der Fall Abu Walaa
Das prominenteste Beispiel dafür sitzt in der Justizvollzugsanstalt Willich im niederrheinischen Kreis Viersen ein: der ehemalige Deutschland-Chef der Terrororganisation „Islamischer Staat“, Abu Walaa. Das Oberlandesgericht Celle in Niedersachsen verurteilte den mittlerweile 40-Jährigen nach einem Mammutprozess im Jahr 2021 zu einer Gefängnisstraße von zehneinhalb Jahren. Die Richter hatten keine Zweifel daran, dass sich der Hassprediger der Unterstützung einer ausländischen Terrorvereinigung schuldig gemacht hat, in dem er junge Menschen für den IS rekrutierte. Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil ein Jahr später.
Abu Walaa, der mit bürgerlichem Namen eigentlich anders heißt, wurde von Niedersachsen in die JVA Willich verlegt, wo er seine Strafe verbüßt. Die Ortswahl richtete sich nach dem letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Irakers: Im nahe gelegenen Tönisvorst lebt seine Ehefrau, mit der er mehrere Kinder hat. Mit der Verlegung wurde die Kreisbehörde in Viersen für den Iraker zuständig – und damit auch für die Frage seiner Ausweisung: Ausländische Straftäter können nach einer Teilverbüßung ihrer Haftstrafe aus dem Gefängnis heraus abgeschoben werden, spätestens aber nach der Haft.
In der Praxis gibt es viele Fallstricke
Was zunächst einfach klingt und schnell gefordert ist, hängt in der Praxis von vielen Faktoren ab. Nicht zuletzt davon, ob sich der Inhaftierte gegen seine Ausweisung rechtlich wehrt. Abu Walaa ist jedenfalls nicht gewillt, Deutschland zu verlassen, wie es die Ausländerbehörde des Kreises Viersen angeordnet hat. Sein Anwalt reagiert auf eine Anfrage unserer Redaktion zwar nicht. Details sind aber einer aktuellen Gerichtsentscheidung zu entnehmen.
Vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf hatte der frühere IS-Chef gegen seine Ausweisung geklagt. Das Gericht gibt der Behörde im Kern recht: Die Ausweisung Walaas sei rechtens, weil von ihm nach wie vor eine Gefahr für die nationale Sicherheit ausgehe. Dagegen spreche auch nicht, dass er eigentlich keine Bezüge zum Irak und in Deutschland mehrere Kinder habe. Die würde er nach einer Abschiebung wohl nicht wiedersehen, da ein lebenslanges Rückkehrverbot verhängt worden ist.
Aber: Trotz der Gerichtsentscheidung im Eilverfahren kann die Abschiebung einstweilen nicht vollzogen werden. Denn Walaa hat im April aus dem Gefängnis heraus erneut Asyl in Deutschland beantragt. Und bevor darüber nicht entschieden ist, befanden die Richter in Düsseldorf, dürfe er nicht ausgewiesen werden.
Schutz vor Todesstrafe in der Heimat
Der 40-Jährige argumentiert in dem Verfahren, dass ihm in seiner Heimat die Todesstrafe drohe. Gemeinhin kann das ein Grund für Asyl sein. Und tatsächlich hat der Irak in der Vergangenheit IS-Anhänger hingerichtet. Ob die dortige Justiz bei einem ranghohen Mitglied der Terrormiliz wie Walaa davon absehen würde? Das Auswärtige Amt sollte eine entsprechende diplomatische Zusicherung in Bagdad einholen. Ob diese zwischenzeitlich vorliegt, ist unklar. Ebenso, ob der Irak überhaupt gewillt ist, zu kooperieren. Häufig scheitern Abschiebungen auch daran, dass Herkunftsländer nicht mit deutschen Behörden zusammenarbeiten.
Das zuständige Auswärtige Amt äußert sich auf Anfrage nicht zum konkreten Fall. Das Ministerium lässt aber wissen, dass man generell die Todesstrafe ablehne. „Wir setzten uns weltweit für ihre Abschaffung ein und setzen uns – bei allen Inhaftierten und Betroffenen – gegen ihre Vollstreckung ein.“
Ist eine Abschiebung von Abu Walaa überhaupt möglich?
Nach Informationen unserer Reaktion liegt Abu Walaas Asylantrag seit Ende April beim Bundesamt für Flüchtlinge und Migration (Bamf). Dort wird aktuell geprüft, ob die Situation im Irak eine Abschiebung überhaupt zulässt. Walaa wird außerdem persönlich erklären müssen, warum er Schutz in Deutschland möchte. Erst im Anschluss wird ein mögliches Asylverfahren eingeleitet. Seinen ersten Antrag hat Walaa 2001 gestellt, als er das erste Mal in die Bundesrepublik kam. Damals regierte noch Diktator Saddam Hussein im Irak. Der Antrag wurde seinerzeit abgelehnt. Walaa blieb trotzdem.
Nun also der zweite Anlauf. Bis eine Entscheidung feststeht, könnte es eher Jahre als Monate dauern. Sollte das Bamf Walaas Antrag ablehnen, kann der wiederum dagegen klagen. Ein Gericht müsste entscheiden. Beim Bamf kann sich niemand vorstellen, dass der IS-Prediger mit einer Klage durchkommt. Eher könnte eine Ausweisung an seiner familiären Situation scheitern. Nach Gerichtsangaben hat Abu Walaa vier eheliche Kinder mit seiner Ehefrau sowie drei Kinder mit einer weiteren Frau, die er nach islamischem Ritus heiratete. Diese sind alle deutsche Staatsangehörige.
Ausländerbehörde in Viersen sorgt vor
Damit ist eher wahrscheinlich, dass Walaa in Deutschland wieder auf freien Fuß kommt, als dass er die Bundesrepublik zeitnah verlässt. Im Sommer 2027 wird er seine Haftstrafe abgesessen haben. Möglicherweise wird er schon vorher in den Genuss von Freigängen kommen.
Die Ausländerbehörde in Viersen hat vorgesorgt: Walaa darf sich ausschließlich in einer Stadt innerhalb des Kreisgebietes aufhalten. Welche das ist, wird nicht verraten. Zudem ist ihm die Nutzung von internetfähigen Mobiltelefonen untersagt worden. All das ist rechtens, befand das Gericht in Düsseldorf. Nur losgeworden ist die Bundesrepublik den Terrorchef damit noch lange nicht.