AboAbonnieren

Zukunft in der Ukraine?Ein Ortsbesuch in der U-Bahn-Schule von Charkiw

Lesezeit 3 Minuten
Lernen trotz Luftangriffen: Die provisorische Schule in der  Charkiwer U-Bahn-Station Peremoha. Michael Clasen

Lernen trotz Luftangriffen: Die provisorische Schule in der Charkiwer U-Bahn-Station Peremoha.

Eine Antwort darauf geben Jugendliche, die eine U-Bahn-Schule besuchen. Ein Besuch in Charkiw.

Wie können Kinder und Jugendliche in einer Stadt aufwachsen wie Charkiw, wo es täglich Bombenalarm und Raketeneinschläge geben kann? Eine Antwort darauf geben Jugendliche, die eine U-Bahn-Schule besuchen. Richtig: Wo Züge an- und abfahren, hat die Verwaltung der zweitgrößten Stadt der Ukraine Klassenräume eingerichtet. Die Eltern können entscheiden, ob sie die Kinder im Homeoffice lassen möchten oder in eine der 2023 gegründeten U-Bahn-Schulen schicken, erklärt Tetiana Schneiderovych von der Bildungsverwaltung.

Insgesamt für 700 Schüler gibt es Plätze im Zwei-Schicht-System. So auch an der Metrostation Peremoha. Es ist heiß unter Tage. Im Flur hört man die an- und abfahrenden Züge. Es ist der letzte Schultag. Für die Kinder und Jugendlichen gibt es Unterhaltungskünstler, die in den unterirdischen Klassenzimmern für Spaß, Gebrüll und lachende Gesichter sorgen. Fünf Jugendliche sind bereit, ihre Gedanken, Träume und Ängste mit der Welt zu teilen.

Was ist euer größter Traum?

Taya: Ich möchte gerne TV-Moderatorin werden.

Alona: Ich möchte gerne Schauspielerin werden. Aber auch Psychologin, um denen zu helfen, die vom Krieg betroffen sind. Ich träume auch davon, dass meine nach Deutschland geflohene Cousine zurückkommt.

Ilya: Ich möchte erfolgreich werden, damit ich mich um meine Familie kümmern kann.

Volodymyr: Der Sieg der Ukraine. Und ich möchte gerne Profi-Fußballer werden. Und wenn das nicht klappt, 3-D-Designer.

Nikita: Ich möchte gerne Neurochirurg werden, weil ich gerne Menschen helfe.

Was war euer schlimmstes Erlebnis während des Krieges?

Taya: Die ersten Kriegstage und als der Bruder meiner Mutter gefallen ist.

Alona: Die ersten Tage des Krieges und als eine Rakete in ein 16-stöckiges Haus einschlug. Wir waren im Nachbarhaus im Treppenhaus.

Ilya: Die ersten Kriegstage, wenn du nicht verstehst, was passiert. Dann stirbst Du bei jeder Explosion innerlich. Wir sind für fünf Monate nach Deutschland geflohen, nach Ingolstadt.

Volodymyr: Mein schlimmstes Erlebnis war, als eine Rakete in unser Haus einschlug. Zum Glück haben wir alle überlebt.

Nikita: Die Flucht aus Charkiw. Ich war in Spanien, Deutschland und in Thailand. Nach einem Jahr bin ich wieder nach Charkiw zurückgekehrt, weil ich zu meinem Vater wollte, der hier geblieben ist.

Möchtet ihr in der Ukraine bleiben?

Taya: Nein, ich möchte gerne nach Europa , nach London oder Ungarn.

Alona: Ich sehe meine Zukunft nicht in der Ukraine. Ich möchte gerne nach London oder Amerika. Meine Mutter möchte aber hier bleiben.

Ilya: Generell ja, aber ich weiß nicht, wie es sich weiterentwickelt.

Volodymyr: Es ist mein großer Wunsch, in der Ukraine zu bleiben, aber wenn es noch schlimmer wird, werde ich gehen müssen.

Nikita: Ich möchte gerne bleiben, aber ich verstehe, dass ich hier keine Zukunft habe. Das nächste Land wird wahrscheinlich die Türkei sein, weil wir dort Freunde haben.

Würdet ihr zur Armee gehen?

Taya: Ja, das kann ich mir vorstellen. Wenn ich mein Land verteidigen muss, dann muss es so sein.

Alona: Wenn ich in einer besseren körperlichen Verfassung wäre, dann vielleicht, aber eher nicht.

Ilya: Das kann ich mir vorstellen, aber nicht, dass es mein Wunsch wäre.

Volodymyr: Nein, ich will nicht sterben.

Nikita: Das weiß ich nicht. Aber wenn ich eines Tages eine eigene Familie habe, werde ich sie nicht verlassen können.

Wie viele Schüler im kommenden Schuljahr hier unterrichtet werden? Tetiana Schneiderovych ist skeptisch. Angesichts der großen Zahl russischer Luftangriffe in den vergangenen Wochen hätten bereits einige Familien die Stadt wieder verlassen. Weniger als 40 Prozent aller Kinder seien noch in Charkiw.