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Interview

CDU-Sicherheitsexperte
Machen die Hilfen für die Ukraine noch Sinn, Herr Kiesewetter?

Lesezeit 5 Minuten
Roderich Kiesewetter (CDU) bei der Bundestagsdebatte zur „Friedensinitiative für die Ukraine und Russland“

Roderich Kiesewetter (CDU) bei der Bundestagsdebatte zur „Friedensinitiative für die Ukraine und Russland“

Der CDU-Sicherheitsexperte Kiesewetter erwartet von der Münchner Sicherheitskonferenz, dass die Allianz für die Ukraine wieder zusammenrückt.

Herr Kiesewetter, was erwarten Sie von der Münchner Sicherheitskonferenz?

Ich hoffe, dass am Abschluss der Konferenz ein Bekenntnis zu westlicher Resilienz bei der Unterstützung der Ukraine und Rückversicherung der Nato steht.

Der Leiter der Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, hofft auf einen Silberstreif am Horizont. Was könnte das sein?

Ich sehe keinen Silberstreif. Ich sehe, dass wir uns am Vorabend dramatischer Entwicklungen befinden, die zur weiteren Eskalation Russlands gegen die Ukraine und in wenigen Jahren gegebenenfalls gegen Nato-Staaten führen. Der Silberstreif könnte nur eine klare Aufforderung an die Bundesregierung sein, Führung in der Europäischen Union und den europäischen Nato-Staaten zu übernehmen, um die transatlantische Lastenteilung in der Nato zu gewährleisten. Wir müssen auf Augenhöhe mit der amerikanischen Ukraine-Unterstützung kommen. Außerdem muss ein Signal an das Repräsentantenhaus der USA gehen, dass wir es ernst meinen mit der Lastenteilung, sodass die Hilfen doch freigegeben werden. Das ist der Schlüssel für westliche Glaubwürdigkeit.

Was noch?

Es muss auch ein klares Bekenntnis zu Israel erfolgen. Israel steht unter dem Druck des Iran und seiner sogenannten „Achse des Widerstands“. Der Iran arbeitet mit der Rückendeckung Russlands und Chinas, um einen weiteren Kriegsschauplatz aufzumachen. Israel reagiert auf diese existenzielle Bedrohung und versucht unter extrem schwierigen Umständen und leider auch mit vielen zivilen Opfern, die Abschreckung wiederherzustellen, die der Terrorangriff der Hamas aufgebrochen hat. Durch die Umstände und die zivilen Opfer gerät die westliche Idee des Zusammenhalts sehr stark unter Druck, davor hat Botschafter Prosor bereits im Oktober 2023 gewarnt. Die regelbasierte Weltordnung muss die Leitordnung bleiben. Das wäre meine Hoffnung und ich hoffe, dass die Realpolitik daran nicht scheitert.

Sie warnen davor, dass Russland schon in den nächsten drei Jahren ein Nato-Land angreifen könnte. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?

In Russland laufen die IT-Lizenzen aus und hochwertige Technik aus dem Westen fehlt. Die Systeme von Airbus und Boeing sind dort nicht mehr zu warten. Die strukturelle Schwäche des Westens wird noch die nächsten Jahre anhalten, bis wir die Kriegswirtschaft Russlands ausgleichen können. Zugleich werden Russlands eigene Fähigkeiten immer schwächer. Russland hat zwar auf Kriegswirtschaft umgestellt, aber es führt den Krieg mit ungeheuren Verlusten. Es sterben die ethnischen Minderheiten, der innenpolitische Druck nimmt zu. Putin wird die Zeit, die ihm noch bleibt, nutzen.

Was müsste daraus folgen?

Deutschland müsste seine Ziele anpassen. Wir müssen die Ukraine nicht unterstützen, solange es nötig ist, wie der Kanzler sagt. Sondern wir müssen, wie Außenministerin Baerbock und Verteidigungsminister Pistorius es sagen, so viel und so rasch wie möglich an die Ukraine liefern. Putin müssen Grenzen aufgezeigt werden. Der Schlüssel zum Erfolg kann das Abschneiden der russischen Versorgungslinien auf die Krim sein, denn die Krim ist Putins strategisches Gravitationszentrum. Wenn dieses fällt, gerät er auch innenpolitisch unter den notwendigen Druck.

Was bräuchte die Ukraine für ein solches Manöver?

Die Ukraine braucht hochpräzise weitreichende Lenkwaffen, damit die Krim von den Versorgungslinien aus Russland abgeschnitten wird und die russischen Truppen dort aufgeben müssen. Nur so gerät Putin unter Druck. Jetzt kommt es auf Standfestigkeit an. Wir dürfen nicht warten und zuschauen, wie Russland neue Versorgungswege aufbaut, zum Beispiel die Schienenwege über Land.

Eine Mehrheit in Deutschland glaubt nicht mehr daran, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen kann…

Man muss der deutschen Bevölkerung klar machen, dass die Ukraine eine große Chance hat. Sie kämpft seit zehn Jahren gegen die zweitstärkste Armee der Welt. Der Ukraine ist es gelungen, die Hälfte des seit Februar 2022 von Russland besetzten Gebietes zu befreien. Russland verliert etwa 600 bis 1000 Soldaten am Tag und schafft es trotz dieses wahnsinnigen Blutzolls nicht, die Ukraine zu überrennen. Wenn die Ukraine diesen Krieg aber nicht gewinnt, weitet er sich aus.

Gewinnt Deutschland in der Ukraine-Frage an Gewicht, weil es erstmals das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erfüllt?

Deutschland hätte noch mehr Gewicht, wenn es etwas demütiger auftreten würde. Es ist ja nur deshalb zweitstärkster Unterstützer der Ukraine, weil auch die Kosten für die Unterstützung der Geflüchteten mit eingepreist werden. Es war außerdem Deutschland, das das Zwei-Prozent-Ziel in den 90er-Jahren gefordert hat. Es war eine große Enttäuschung, dass Deutschland es dann über Jahrzehnte selbst nicht einhielt und auch jetzt mit Tricks und Täuschung arbeitet. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, die Deutschland in der Realität nur mit Tricks erreicht.

Sie werden in den sogenannten sozialen Medien als Kriegstreiber beschimpft. Nehmen Sie auch Stimmen ernst, die davor warnen, Deutschland könnte in diesen Krieg noch weiter hineingezogen werden?

Wir sind längst Kriegsziel von Russland. Es führt einen hybriden Krieg gegen uns, in der Informationsfälschung, in Cyberangriffen, Sabotage und in der russischen Rhetorik. Damit wir nicht Kriegspartei werden, muss die Ukraine mit allem, was wir haben, unterstützt werden. Die Kritik kommt vorwiegend aus dem ganz linken und rechtsradikalen Milieu. Es sind russlandnahe Menschen, die der Ukraine einen Diktatfrieden aufzwingen wollen. Ich bin überzeugt: Die Ukraine muss sich so effizient wie möglich gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands wehren, dazu gehören auch Angriffe gegen russische Rüstungsunternehmen und Versorgungsstützpunkte. Russland hat jederzeit die Möglichkeit, seine Truppen aus der Ukraine abzuziehen. All unsere Beschwichtigungen und die Verweigerung von Waffen haben nur dazu geführt, dass Russland weiter eskaliert und die genozidalen Verbrechen an der Zivilbevölkerung fortführt.