Vor fast drei Jahren übernahm ein Politiker den Vorsitz der Christdemokraten, der den Status eines Hoffnungsträgers schon lange hinter sich gelassen hatte. Nun, als Kandidat für das Amt des Regierungschefs, ist er für viele konservative Wähler genau das geworden.
CDU im WahlkampfKann Friedrich Merz Kanzler?
Die Ampel-Regierung ist mit einem hässlichen Knall zerbrochen, und die Lage der angeschlagenen deutschen Wirtschaft wird das wichtigste Thema des Wahlkampfs: Hält sich die derzeitige Stimmung im Land bis zum Wahltag am 23. Februar, dann scheint Friedrich Merz als nächster Bundeskanzler gesetzt zu sein. Was spricht für den CDU-Vorsitzenden, der im Spätherbst seiner politischen Karriere noch einmal die Chance bekommt, Deutschland zu regieren?
Olaf Scholz ist das Gesicht einer gescheiterten Regierung
Nach dem Bruch der Koalition weisen zwar alle Finger auf die FDP als Schuldige am Ampel-Crash, das Gesicht der zerbrochenen Regierung allerdings bleibt Olaf Scholz als Bundeskanzler. Für die Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing, Ursula Münch, ist klar: „Das Hickhack um die FDP schadet der gesamten Ampel. Was bleibt den Menschen in Erinnerung? Die streiten immer weiter.“ Die SPD kann im Wahlkampf zwar mit der Regierungserfahrung ihres Kandidaten Scholz punkten. Dessen Kontrahent Merz allerdings könnte - trotz seiner fehlenden Erfahrung in Regierungsämtern - in dieser Situation als Hoffnungsträger wahrgenommen werden. Während die Ampel sich zerstritt, war er schließlich Oppositionsführer.
Wirtschaftskompetenz ist Merz Markenkern
„Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne Wirtschaft ist alles nichts“, sagt eine CDU-Frau in Berlin, die (nicht ganz überraschend) überzeugt ist, dass ihr Parteivorsitzender Merz der richtige Kanzler in dieser Zeit wäre. Deutschland wird unter den Industrienationen gerade nach hinten durchgereicht, die Investitionen stocken, Insolvenzen und Stellenabbau bestimmen die Nachrichtenlage. Merz kennt große Unternehmen aus der Innenansicht. Denn zwischen 2009 und 2021 war er nicht Politiker, sondern Wirtschaftsmanager, unter anderem langjähriger Aufsichtsratsvorsitzender beim globalen Investment-Riesen Blackrock. Ein Gesprächstermin mit dem Unions-Kanzlerkandidaten ist derzeit unter Unternehmern heiß begehrt. CDU und CSU werde deutlich mehr Wirtschaftskompetenz zugetraut als etwa SPD und Grünen, sagt Politik-Expertin Münch.
Die CDU ist inhaltlich und personell gut sortiert
Entgegen aller Erwartungen und anfänglicher Unruhe hat Friedrich Merz es geschafft, die CDU - nach den langen Jahren unter Partei- und Regierungschefin Angela Merkel und den folgenden Wirren - neu aufzustellen. Das Grundsatzprogramm ist klar konservativ ausgerichtet, eine Wende in der Migrationspolitik festgeschrieben. Freilich werden sich die Christdemokraten im Wahlkampf trotzdem ihrer Regierungsverantwortung seit 2005 stellen müssen. Da bieten sie Angriffsfläche. Aber niemand kann sagen, die CDU habe ihre inhaltlichen und personellen Hausaufgaben nicht gemacht. Als Kanzler wäre Merz - anders als Scholz - auch Parteichef. Das würde für klare Strukturen und Entscheidungen sorgen. Die Debatte um die Spitzenkandidatur in der SPD zeigt, was passieren kann, wenn der eigene Kanzler keine Hausmacht hat.
Konservatismus ist in Deutschland wieder angesagt
Auch der aktuelle Zeitgeist könnte Merz ins Amt verhelfen. Umfragen unter Jugendlichen kamen in diesem Jahr zu Ergebnissen, die viele überraschten. Sicherheit, Inflation, teurer Wohnraum und die Angst vor Armut im Alter waren die wichtigsten Themen - Klimaschutz fiel zurück. 20 Prozent der unter 30-Jährigen konnten sich vorstellen, die Union zu wählen, die AfD lag mit 22 Prozent in dieser Altersgruppe sogar an der Spitze. Ein Rechtsruck ist klar erkennbar, Parteien wie etwas die Grünen verloren an Zustimmung. Merz vergleichsweise hohes Alter - er wird im kommenden Jahr 70 Jahre alt - könnte in diesem Gesamtklima ein Vorteil sein. Ursula Münch meint: „Gerade in Krisenzeiten ist womöglich jemand mit Lebenserfahrung gefragt.“
Der Unionskandidat bringt den Willen zur Macht mit
Um das Kanzleramt zu erobern, muss man nach der Macht streben - und zwar mehr als andere. „Der Unbeugsame“ nennen die Journalisten Daniel Goffart und Jutta Falke-Ischinger Merz in ihrer Biografie, in der sie seinen Aufstieg zum CDU-Parteichef als das „spektakulärste Comeback in der Geschichte des Bundestages“ beschreiben. Nach seinem jähen Karriereende 2002, als Angela Merkel ihn vom Posten des Fraktionschefs im Bundestag verdrängte, hat Merz trotzdem nicht aufgehört, für Politik zu brennen. Er hat die Kontakte in die CDU nie abgebrochen und auf seine Chance gewartet. 20 Jahre später wurde er 2022 doch noch Parteichef - im dritten Anlauf. Merkel, die sich in Sachen Machterhalt und -strategie unbestritten auskennt, sagte dieser Tage fast schon anerkennend: „Man braucht den unbedingten Willen zur Macht. Und Friedrich Merz hat ihn.“ Für einen Regierungschef ist das kein unwichtiges Merkmal. Denn auch auf dem internationalen Parkett weht ein rauer Wind, der in den kommenden Jahren durchaus zum Sturm werden könnte. Da darf man nicht beim ersten Lüftchen umfallen.
Nichts ist sicher vor der vorgezogenen Neuwahl
Hätte Armin Laschet 2021 im Hochwassergebiet in Erftstadt nicht ein paar Sekunden lang gelacht, wäre Olaf Scholz womöglich nicht Kanzler geworden. Für viele in der CDU ist die Szene von damals, die den Wahlausgang auf den letzten Metern entscheidend beeinflusste, bis heute ein Trauma. Fehler könnten diesmal wieder passieren, und Friedrich Merz ist ein aufbrausender Charakter. Seine „fehlende Impulskontrolle“ halten sie in der CDU für ein „Restrisiko“ im anstehenden Wahlkampf. Absehbar ist auch: Als früherer Blackrock-Manager und Privatflugzeug-Besitzer bietet Merz einige persönliche Angriffsflächen. Verengt er seinen Wahlkampf zu sehr auf das Thema Wirtschaft, könnte er das Bild, das in der Wahlkampfzentrale der SPD schon jetzt vorgezeichnet wird, bestätigen: das eines abgehobenen, elitären und kaltherzigen Politikers, der Bürgergeldempfängern das letzte Hemd nehmen will. Politikwissenschaftlerin Ursula Münch merkt an: „Man sollte die SPD nicht unterschätzen. Das sind gute Wahlkämpfer.“ Und noch etwas hält sie in den kommenden Wochen und Monaten für eine besondere Herausforderung für Merz: in der direkten Auseinandersetzung mit der AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel zu überzeugen.