Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyens Bemühen, eine ausgewogene Geschlechterverteilung in der Kommission zu erreichen, scheitert offenbar.
Männer-Frauen-GleichheitEin Affront gegen Ursula von der Leyen
Bevor die Europäische Union Ende Juli buchstäblich den Laden in Brüssel dichtmachte, gab die gerade wiedergewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Regierungen in Europas Hauptstädten noch einen Auftrag mit in die Sommerpause: Bis Ende August sollten die Mitgliedstaaten jeweils sowohl eine Frau als auch einen Mann für die neue Kommission nominieren. Sie strebe „einen gleichen Anteil von Männern und Frauen“ an der Spitze im Berlaymont an, verkündete die Deutsche.
Die CDU-Politikerin setzt sich seit langem für mehr Frauen in Führungspositionen und Geschlechterparität ein. Doch bereits vor fünf Jahren war sie mit dem selbsterklärten Vorhaben gescheitert, ein Team zu bilden, das zur Hälfte aus Männern und Frauen besteht. Damals gab es letztlich einen leichten Männerüberhang. Dieses Mal aber dürfte sie ihr Ziel krachend verfehlen. Die Mitgliedstaaten scheinen die Aufforderung der Brüsseler Behördenchefin schlichtweg zu ignorieren.
Noch brodelt die Gerüchteküche, doch es wird gemunkelt, dass 16 Länder lediglich Männer vorgeschlagen haben, nur drei – Schweden, Finnland und Kroatien – nominierten auch Frauen. Spanien will zwar Teresa Ribera nach Brüssel schicken, hat die sozialistische Ministerin bislang jedoch nicht offiziell benannt.
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Worst-Case-Szenario: Drei Viertel Männer in der Kommission
Fünf Regierungen haben kurz vor Ablauf der Frist an diesem Freitag noch keine Namen verkündet, doch es wird erwartet, dass Belgien und Dänemark auf einen männlichen Kandidaten setzen – und auch Italien und Portugal scheinen keine weiblichen Spitzenkandidatinnen auf dem Zettel zu haben. Im für von der Leyen schlimmsten Fall könnte die nächste Kommission, die im November die Arbeit aufnehmen soll, nur zu einem Viertel aus Frauen bestehen, einschließlich der Deutschen selbst.
Es wäre in Sachen Diversität nicht nur ein Bild wie aus vergangen geglaubten Zeiten, sondern auch ein Affront gegen die Präsidentin. Hinter den Kulissen ist seit Monaten zu hören, dass sie jenen Regierungen, die sich nicht an ihre Vorgabe halten, schwache Portfolios zuweisen wolle. Wer will schon mit dem Ressort Mehrsprachigkeit abgespeist werden, wenn der große Wirtschaftsjob zu haben ist? Doch die Regierungen zeigten sich unbeeindruckt von der Drohkulisse.
Gleichwohl steht von der Leyen vor einem Dilemma: Wie soll sie wichtige Mitgliedstaaten wie Polen abstrafen? Noch dazu, wenn einige der Rebellen aus den eigenen konservativen Reihen stammen? So haben neben Warschau auch die Regierungen in Wien und Athen, die wie von der Leyen der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP) angehören, wohl jeweils lediglich einen Mann nominiert. Insider sprechen bereits von einer Machtprobe zwischen der Behörde und dem Rat, dem Gremium der Mitgliedstaaten.
27 Kommissare aus 27 Ländern leiten die Politikbereiche der EU
Ähnlich wie bei nationalen Ministern handelt es sich bei den Kommissaren um hochrangige Beamte, die die Klima-, Agrar-, Technologie- und Industriepolitik der EU leiten, Handelsabkommen vereinbaren, Europarecht überwachen oder Milliarden von Zuschüssen verteilen. Die Politiker werden zwar von den Hauptstädten vorgeschlagen, müssen aber im Herbst vom Europäischen Parlament bestätigt werden. Zwei Spitzenposten sind bereits besetzt: Ursula von der Leyen aus Deutschland und Kaja Kallas aus Estland als Außenbeauftragte der Gemeinschaft.
Droht der Kommissionschefin eine Blamage? Bereits im Juli hatte der irische Premier Simon Harris betont, die „Zuständigkeit“ für die Nominierung liege bei der Regierung, weshalb man sich der Forderung von der Leyens nicht beugen wolle. Tatsächlich sind die Länder durch die Verträge nicht rechtlich dazu verpflichtet, eine ausgewogene Geschlechterverteilung sicherzustellen.
Erschwert wird die Aufgabe dadurch, dass Regierungen, die ihre amtierenden Kommissare erneut nominieren, von der Frau-Mann-Regel ausgenommen sind. Und fünf von sechs potentiellen Wiederkandidaten sind männlich. Der Franzose Thierry Breton soll genauso in Brüssel bleiben wie der Slowake Maroš Šefčovič und der Lette Valdis Dombrovskis, beide Vizepräsidenten der Kommission. Auch der Niederländer Wopke Hoekstra und der Ungar Oliver Várhelyi dürften zurückkehren.