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Interview

Baugewerbe-Chef Pakleppa
„Wir haben eine besorgniserregende Wohnungsbaukrise“

Lesezeit 6 Minuten
Der Neubau stockt: 2023 wurden bundesweit deutlich weniger Ein- und Zweifamilienhäuser genehmigt als im Vorjahr.

Der Neubau stockt: 2023 wurden bundesweit deutlich weniger Ein- und Zweifamilienhäuser genehmigt als im Vorjahr.

Felix Pakleppa, Chef des deutschen Baugewerbes, warnt vor Perfektionismus als Bremse für den Aufschwung.

In Deutschland werden immer weniger neue Wohnungen gebaut. Die Baubranche kämpft gleichzeitig gegen den Fachkräftemangel und drohende Kurzarbeit. Im Interview mit Daniel Batel verrät Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer beim Zentralverband Deutsches Baugewerbe, was seine Branche für einen Aufschwung im Wohnungsbau dringend braucht.

Herr Pakleppa, wo liegen die Gründe für die derzeitige Baukrise in Deutschland?

Mit dem Wort Baukrise tue ich mich schwer. Im Straßenbau etwa ist die Auftragslage zufriedenstellend, beim ÖPNV-Ausbau läuft es sogar richtig gut, bei der Wärmewende und dem Aufbau von Wärmenetzen auch. Und überall, wo Leitungen für Strom und Internet verlegt werden, haben die Firmen gut zu tun. Wir haben vielmehr eine besorgniserregende Wohnungsbaukrise. Da prognostizieren wir für 2024 ein sattes Umsatzminus von 13,3 Prozent.

Befürchten Sie, dass aufgrund der knappen Haushaltskasse öffentliche Projekte wieder eingedampft werden könnten?

Wir haben das ja bei der Bahn schon gesehen nach dem Karlsruher Urteil. Da wurden einzelne Projekte bereits verschoben oder ganz gestrichen. Wenn die Bahn sagt, dass ihr in den kommenden Jahren die Summe X zur Verfügung steht, dann können sich Baufirmen darauf einstellen und in Maschinen und Personal investieren. Wenn es aber auf einmal heißt, jetzt fehlen plötzlich 20 Milliarden Euro, ist das Gift für die Baukonjunktur. Genau das hat uns auch im Wohnungsbau so wehgetan, als Robert Habeck 2022 von heute auf morgen die Förderprogramme im Neubau gestrichen hat.

Droht Deutschland beim Wohnungsbau schon im kommenden Jahr unter die Grenze von 200000 Wohneinheiten zu fallen?

Wenn sich an den Rahmenbedingungen nichts Grundsätzliches ändert, wahrscheinlich ja. Zuletzt konnten noch Altaufträge abgearbeitet werden. Aber wir laufen allmählich leer. 2023 sind 100000 Baugenehmigungen weniger als im Vorjahr erteilt worden. Bei Ein- und Zweifamilienhäusern, also gerade im ländlichen Bereich, sind 41,5 Prozent weniger Häuser genehmigt worden. Auch bei Mehrfamilienhäusern, die man in den Ballungsgebieten braucht, haben wir ein Minus von 25 Prozent zu verzeichnen.

Ist das der größte Negativtrend in der jüngeren Geschichte?

Ende der Nullerjahre bis 2009, 2010 wurden schon einmal weniger als 200000 Wohnungen gebaut. Nach der Wiedervereinigung wurden viele Steuermittel in den Markt gegeben, um in den neuen Ländern den Wohnungsbestand aufzubauen. Da ist man hochgegangen auf mehrere 100000 Wohnungen und hat am Ende gesagt: Deutschland ist fertig gebaut. Da gab es Prognosen, dass die Bevölkerung auf 75 Millionen schrumpft. Wir wissen, dass das Gegenteil eingetreten ist: Mittlerweile gehen wir auf 85 Millionen Einwohner zu, die alle irgendwo wohnen müssen.

Reagieren Sie mittlerweile allergisch auf solch ambitionierte Ziele der Politik wie zum Beispiel die angekündigten 400000 Wohnungen pro Jahr?

Es ist ja nicht schlecht, wenn sich die Politik ehrgeizige Ziele setzt, an denen sie sich messen lässt. Obwohl es riskant ist, wenn man sich das in den Koalitionsvertrag schreibt, ein eigenes Bauministerium schafft, und der Wirtschaftsminister gleichzeitig die KfW-Neubauförderung herunterfährt. Da gewinnt man den Eindruck, dass sich nicht alle Ministerien in der Ampel dem Ziel von 400000 Wohnungen pro Jahr in gleicher Weise verpflichtet fühlen. Wir müssen aber auch feststellen, dass es die aktuelle Regierung gleich dreimal hart erwischt hat: mit der Pandemie, dem Ukraine-Krieg und den gestiegenen Energiepreisen sowie der Zinserhöhungen durch die EZB.

Sorgt der gestiegene Wettbewerbsdruck nicht gleichzeitig auch dafür, dass Bauunternehmen innovativer werden und dort sparen, wo es möglich ist?

Ich will jetzt nicht den Finanzminister mit seinen dornigen Chancen zitieren, aber ja. Zum einen wird das herkömmliche Bauen immer teurer, sodass man über Alternativen nachdenken muss, auch wegen des CO2- Preises. Die zweite Herausforderung besteht darin, dass wir mit weniger Personal bauen müssen.

Kann das bestehende Personal nicht besser und gezielter weitergebildet werden, um den Fachkräftemangel zumindest teilweise zu entschärfen?

Wir hatten vor zwölf Jahren knapp 700000 Beschäftigte im Baugewerbe. Ende 2023 waren es 927000. Es wurden also mehr als 200000 Stellen geschaffen. Die Firmen haben darauf vertraut, dass sie mittelfristig ausgelastet sind. Jetzt sind wir in der paradoxen Situation. Wir haben Personal aufgebaut und haben jetzt riesige Angst davor, dass die Menschen in andere Branchen wechseln. Bis 2030 werden wir altersbedingt weitere 120000 Arbeitskräfte verlieren. Deshalb schulen wir nach, bieten Flüchtlingskurse an, stellen Werkvertrags-Arbeiter aus dem europäischen Ausland ein. Wir haben uns auch für die Verlängerung der Westbalkan-Regelung eingesetzt. So versuchen wir, dem Fachkräftemangel zu begegnen.

Was fordern Sie von der Bundesregierung?

Für die Investoren, die in den Mietwohnungs- und Sozialwohnungsbau investieren, brauchen wir unbedingt die sogenannte degressive AfA als Signal. Mit der AfA könnten Baufirmen zu Beginn schneller steuerliche Abschreibungen machen. Das würde den Anreiz erhöhen, in den Wohnungsbau zu investieren. Am 22. März wird im Bundesrat erneut über das Gesetz abgestimmt. Und wenn der Kanzler von der Zeitenwende spricht, sollte die auch endlich für die energetischen Auflagen gelten. Bislang wird nur die Effizienzhaus-Stufe 40 gefördert. Für den etwas geringeren Baustandard EH55 fehlt diese Förderung leider noch immer.

Und womit könnte noch schnell Abhilfe geschaffen werden?

Wir dürfen die privaten Häuslebauer nicht unterschätzen. Die meisten Auftraggeber sind nicht große Wohnungsbaugesellschaften, sondern Privatleute. 2022 wurden 40 Prozent aller Wohnungen im Ein- und Zweifamilienhaus gebaut. Um dieses Klientel wieder anzusprechen, braucht es verlässliche Rahmenbedingungen. Wenn die Zinsen hoch sind, muss man das eben durch entsprechende KfW-Programme stützen.

Der Staat kann nicht alle Probleme wegsubventionieren. Wie könnte die Branche aus sich selbst heraus neuen Schwung erhalten?

Das ist gut beschrieben. Das, was die Leute von alleine finanzieren können, ist im Moment verboten. Und das, was gesetzlich vorgegeben ist, ist momentan nicht ohne staatliche Hilfe machbar. Wir müssen uns die Frage stellen: Ist es tatsächlich notwendig, dass wir jedes Mal eine S-Klasse bauen? Oder müssten die Leute nicht auch mal einen Passat bauen dürfen? Nicht jeder benötigt 35 Zentimeter dicke Wände. Aber die Norm gilt. Unsere holländischen Nachbarn können viel günstiger bauen, weil dort mehr Flexibilität erlaubt ist. Selbst riesige Stadtvillen in bester Lage in Paris dürfen eine Decke mit nur 24 Zentimetern Stärke haben. In Deutschland müssen es dagegen selbst im Sozialwohnungsbau stets mehr sein.

Steht sich Deutschland mit seinem Perfektionismus selbst im Weg?

Ja, wir haben es da sicherlich an einigen Stellen etwas übertrieben. Die strukturellen Probleme wurden während der Nullzinsphase durch billiges Geld kaschiert. Die hohen Anforderungen ergeben mit weggefallenen Förderungen einen giftigen Cocktail, der dem Wohnungsbau nicht bekommt.