Die Zahl der Ladendiebstähle in britischen Supermärkten hat ein alarmierendes Niveau erreicht. Insbesondere organisierte Banden und Wiederholungstäter sind für den Anstieg verantwortlich.
AlarmzustandOrganisierte Banden terrorisieren britische Supermärkte
Ein Kunde der Supermarktkette Tesco im Osten Londons zückte vor einigen Tagen sein Handy, um eine schockierende Szene zu dokumentieren. Er filmte fünf maskierte Ladendiebe. Am helllichten Tag füllten sie schamlos ihre mitgebrachten Seesäcke mit Zigaretten, Tabak und Spirituosen. Die verängstigten Angestellten mussten hilflos mit ansehen, wie die Täter Waren im Wert von Hunderten von Pfund einpackten, bevor sie die Flucht ergriffen. Von der Polizei fehlte jede Spur. Solche und ähnliche Videos werden in Großbritannien regelmäßig geteilt. Die Situation ist „völlig außer Kontrolle geraten“, fasste John Bebbington, Inhaber eines Ein-Pfund-Ladens in Bristol, die Lage zusammen.
Tatsächlich wurden in diesem Jahr bis Juni in England und Wales laut offiziellen Statistiken knapp 470.000 Ladendiebstähle verübt, das sind rund 29 Prozent mehr als im Vorjahr und über 1200 Delikte pro Tag. Allein die britische Supermarktkette Co-op registrierte im vergangenen Jahr rund 336.000 Vorfälle von Diebstahl und Gewalt in ihren mehr als 2400 Geschäften im Vereinigten Königreich, ein Anstieg von 44 Prozent gegenüber 2022. Paul Gerrard, Direktor für öffentliche Angelegenheiten, spricht von einer „beispiellosen Gesetzlosigkeit in den Einkaufsstraßen“.
Probleme wegen Selbstbedienungskassen
Die britische Kriminologin Emmeline Taylor teilt die Täter in Kategorien ein: Es gebe organisierte Banden, die umherziehen und Produkte in großen Mengen stehlen, um sie billiger zu verkaufen. Eine weitere Gruppe seien Wiederholungstäter, die immer wieder dieselben Läden ins Visier nähmen. Sie arbeiteten oft für einen Mittelsmann, der eine Art Discounter für die lokale Gemeinde betreibe. Und dann gebe es noch die Opportunisten. Das sind etwa Menschen, die einen Käse oder ein Steak ganz unten in die Einkaufstasche legen und dann an den im Königreich weit verbreiteten Selbstbedienungskassen schlicht nicht scannen.
Die Supermarktketten sind bei der Bewältigung seit einigen Jahren praktisch auf sich allein gestellt. Es wird berichtet, dass die Diebe bei ihren Beutezügen oft rufen: „Ruf doch die Polizei, die kommt sowieso nicht.“ Damit liegen sie nicht falsch. Wachleute, die bei Überfällen meist nicht eingreifen, um sich selbst zu schützen, berichten, dass sie, wenn sie die Ordnungshüter rufen, oft erst Stunden später eine Antwort erhalten. Die Londoner Metropolitan Police steuert auf den niedrigsten Personalstand seit einem Jahrzehnt zu, erklärte Polizeipräsident Mark Rowley kürzlich. Das Defizit sei auf eine unzureichende Finanzierung zurückzuführen.
Die Einzelhändler versuchen daher, die Diebstähle selbst in den Griff zu bekommen. Dabei setzen sie beispielsweise auf abschließbare Schränke und Sicherheitsetiketten. Co-op habe in diesem Jahr bereits einen zweistelligen Millionenbetrag für Maßnahmen zum Schutz seiner Mitarbeiter ausgegeben, hieß es. So seien etwa am Körper getragene Kameras und versuchsweise auch KI-Technologie installiert worden, um beispielsweise zu erkennen, wenn ein Mitarbeiter körperlich angegriffen wird. So könne etwa eine Überwachungsstelle alarmiert werden, die dann Hilfe anfordert.
Die neue Labour-Regierung will nun auch mit staatlichen Maßnahmen gegensteuern. Geplant sei der Einsatz von mehr als 10000 zusätzlichen Nachbarschaftspolizisten. Patrouillen sollen sicherstellen, dass Ladenbesitzer, Angestellte und das Sicherheitspersonal in Supermärkten in Zukunft einen Beamten haben, an den sie sich wenden können.