Auto-Ökonom Stefan Bratzel spricht im Interview über die geplante Batteriefabrik von Northvolt und die Auswirkung auf die Akku-Produktion in Deutschland
Auto-Ökonom„Wir dürfen das Feld nicht den Chinesen überlassen“
Im Schleswig-Holsteinischen Heide soll eine der größten Akku-Fabriken für E-Autos in Europa gebaut werden. Doch nun ist der schwedische Mutterkonzern Northvolt fast pleite. Auto-Ökonom Stefan Bratzel sieht eine große Gefahr für den Standort und fordert im Interview mit Tobias Schmidt die Politik zur Rettung auf.
Herr Bratzel, sehen Sie Grund zur Sorge, dass das geplante Akku-Werk bei Heide eingedampft wird?
Es besteht ein sehr berechtigter Grund zur Sorge, dass das Northvolt-Batteriewerk in Heide nicht kommen wird. Es ist absolut notwendig, dass in Deutschland und Europa Akkus für Elektroautos hergestellt werden und sich Produzenten entwickeln können. Wir dürfen das Feld nicht den Chinesen überlassen. Aber: Die Fortschritte bei Northvolt sind leider deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Es braucht das Know-how, um wettbewerbsfähige Batteriezellen herzustellen. Und es braucht Tempo, denn die Konkurrenz hat einen enormen Vorsprung. Beides ist im Fall von Northvolt noch lange nicht ausreichend.
Das heißt: Niemand will die Batterien, die in Heide gebaut werden sollen, haben?
Es braucht Kunden, die bereit sind, den längeren Weg zu gehen. Wie viel Zeit hat man, wie viel Zeit gibt man den Produzenten von Akkus made in Germany? Die Autobauer stehen ja unter hartem Kostendruck. Und wenn die Ausschussquoten von Northvolt zu hoch sind, wird das sehr schwer. Das gleiche gilt übrigens für den Batteriezellhersteller PowerCo in Salzgitter.
Was tun?
Die Herausforderung ist gewaltig, aber wir müssen uns ihr stellen, denn wenn wir die Abhängigkeit von China nicht reduzieren, gibt es keine Zukunft für Deutschlands und Europas Autoindustrie. Deswegen muss Northvolt im Notfall gerettet werden. Bei der Batteriezellentwicklung haben sowohl die Konzerne als auch die Politik schon viel zu lange geschlafen. In wenigen Jahren ist das nicht aufzuholen. Die Chinesen haben vor 15 Jahren mit der Massenproduktion von E-Auto-Akkus begonnen. Also: Wir brauchen einen langen Atem!
Die Firmen können es nicht selbst schaffen?
Es braucht politische Unterstützung, das ist völlig klar. Es geht um ein strategisches Thema. Die Firmen müssen sich selbst darauf stürzen, und nicht alle werden es schaffen. Das ist normal in der Marktwirtschaft. Aber ohne Hilfe geht es nicht, die Kompetenzen aufzubauen. Dass die Bundesregierung die Mittel für die Batteriezellforschung kürzt, ist deswegen gefährlich. Stattdessen braucht es einen Deutschland-Pakt mit Geld vom Staat und Kooperation aller Akteure: Akkuhersteller, Autobauer, Zulieferer und Gewerkschaften. Und zwar einen stabilen Pakt, der nicht nach der nächsten Wahl wieder infrage gestellt wird. Das wäre die Aufgabe des Autogipfels bei Olaf Scholz vor einem Jahr gewesen. Seitdem haben wir ein Jahr verloren. Und das rächt sich. Die Krise bei VW und bei Northvolt waren damals schon abzusehen, Mercedes und BMW werden folgen. Vor einem Jahr wäre es noch viel einfacher gewesen, gegenzusteuern. Es grenzt schon fast an Bräsigkeit, einfach nicht zu handeln.
Deutschland kann sich kaum alleine retten…
Das stimmt. Die Kurzatmigkeit führt ins Desaster, aber nicht nur in Deutschland, das gilt für ganz Europa. Die Rohstoffbeschaffung ist ein EU-Thema, das viel zu lange liegen geblieben ist. Und natürlich muss die Produktion der E-Auto-Akkus etwa mit verbilligtem Strom gefördert werden, denn davon hängt die Zukunft des Standortes ab.
Ist es bei dem großen Vorsprung der Asiaten nicht schon zu spät?
Den Kopf in den Sand stecken, ist keine Option. Aber ja, tatsächlich müssten wir schon die übernächste Akku-Generation in den Blick nehmen und dürfen uns nicht an überholte Technik klammern. Was zur Wahrheit gehört: Technisch sind E-Autos aus Deutschland und Europa durchaus konkurrenzfähig zu chinesischen Angeboten. Sie sind nur zu teuer.
Also her mit neuen Kaufprämien vom Staat für E-Autos von VW, BMW und Mercedes?
Es war fatal, dass die E-Auto-Prämie vor zehn Monaten über Nacht gestrichen wurde. Das war das völlig falsche Signal an die Verbraucher. Jetzt braucht es unbedingt neue Kaufzuschüsse für heimische Strom-Fahrzeuge, um das zu korrigieren, allerdings nicht in der gleichen Höhe und vor allem mit einem Ausstiegspfad. Der Preisabstand von E-Autos zum Verbrenner muss unbedingt noch eine Weile künstlich verringert werden, aber nur für eine absehbare Zeit. Denn E-Autos werden in der Produktion automatisch preiswerter und der Markt muss nur noch einige Jahre politisch gestützt werden.