Anne Brorhilker (50) war die erfolgreichste Cum-Ex-Ermittlerin in Deutschland. Im Interview spricht sie über Wirtschaftskriminalität, die Cum-Ex-Ermittlungen und Versäumnisse der Politik.
„Die Großen lässt man laufen“Anne Brorhilker warnt vor Einknicken vor Finanzlobby
Frau Brorhilker, ist NRW ein Paradies für Steuerbetrüger?
Unter Justizminister Peter Biesenbach (CDU) war es jedenfalls keines. Er hat zusätzliche Stellen geschaffen für die Staatsanwaltschaft Köln und ganz bewusst etwas gegen Cum-Ex-Betrug unternommen. Schade, dass diese Linie nicht weitergeführt wurde.
Sie meinen Biesenbachs Nachfolger, Benjamin Limbach (Grüne)?
Die Idee, die Hauptabteilung H aufzuspalten, ist völlig kontraproduktiv und gegen jegliche Vernunft. Wenn man in der Sache etwas erreichen will, muss man Kräfte bündeln und nicht zersplittern. Aus genau diesem Grund werden bei Schwerpunktthemen ja auch zentrale Ermittlungsstellen geschaffen.
Peter Biesenbach hat gesehen, dass es sinnvoll war, unsere Ermittlungen zu stärken. Er hat auch die Gründung der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime (ZAC NRW) bei der Kölner Staatsanwaltschaft angestoßen und hatte für die Cum-Ex-Ermittlungen ähnliche Ideen. Unter Minister Limbach laufen die Dinge leider wieder in die andere Richtung. Über die Motive kann man nur spekulieren.
Kritik an Benjamin Limbach
Woran machen Sie das fest?
Limbach hat sich, anders als Biesenbach, nicht für Cybercrime oder Cum-Ex stark gemacht, sondern eine Zentralstelle für Umweltkriminalität gegründet. Bisher wurde nicht öffentlich bekannt, dass es viele große internationale Umweltstrafermittlungsverfahren gibt, dafür sind aber die zahlreichen extrem umfangreichen Cum-Ex-Ermittlungsverfahren bekannt.
Ich würde mir an dieser Stelle in der Landesregierung mehr Realismus wünschen. Egal, welcher Partei jemand angehört: Er sollte sich in erster Linie um die drängenden Probleme kümmern. Vor allem, wenn es dabei – wie bei Cum-Ex-Ermittlungsverfahren -- um Milliardenschäden und zu erwartende hohe Freiheitsstrafen geht.
Sie sind aus der Staatsanwaltschaft Köln ausgestiegen, obwohl Sie einen Ruf wie Donnerhall hatten. Was war das? Flucht? Resignation? Ärger?
Zu Interna darf ich aus rechtlichen Gründen nichts sagen. Was ich sagen kann, ist, dass ich gesehen habe, wie schwierig es ist, im Bereich von Wirtschaftskriminalität die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Dafür benötigt man auch politische Rückendeckung. Wenn man die nicht hat, wird es noch schwieriger, denn der Staat ist schwach aufgestellt im Kampf gegen Steuerbetrug, während die Ressourcen bei der Finanzlobby sehr groß sind.
Ich kann nur hoffen, dass man die funktionierenden Strukturen in Köln, die in Deutschland im Bereich Wirtschaftskriminalität einzigartig sind, nicht schwächt. Bei der Finanzwende kann ich öffentlich machen, wie Steuerbetrug funktioniert, und ich kann politische Forderungen stellen. Es darf nicht sein, dass der Staat mit zweierlei Maß misst.
Große Nähe zwischen Politik und der Finanzlobby
Wo misst der Staat mit zweierlei Maß?
Im Kampf gegen Clan-Kriminalität und Drogen geht der Staat konsequent vor, bei Wirtschaftskriminalität verhält er sich zögerlich. Das schadet unserer Demokratie. Ich bin davon überzeugt, dass das Misstrauen vieler Menschen in den Staat und seine Institutionen zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass sie den Eindruck haben, die Kleinen hängt man, und die Großen lässt man laufen. Würde man gegen Wirtschaftskriminalität genauso engagiert vorgehen wie in anderen Kriminalitätsbereichen, könnte das Vertrauen in den Rechtsstaat wieder wachsen.
Warum wettern Teile der Politik hart und emotional gegen Sozialbetrug, zum Beispiel beim Bürgergeld, und nicht annähernd so hart gegen Steuerbetrüger? Ist es leichter, sich über die Kleinen zu empören?
Offenbar können sich viele Menschen besser vorstellen, was es bedeutet, wenn Sozialhilfeempfänger ein Konto verschweigen, als wenn Banken milliardenschweren Steuerbetrug begehen. Vielleicht ist das zu weit weg von der eigenen Lebenswirklichkeit, die Zahlen sind zu groß und die Institution „Bank“ ist zu abstrakt. Dabei greift der Steuerbetrüger oft viel tiefer in das Portemonnaie ehrlicher Steuerzahler als der Sozialhilfeempfänger.
Faktor Nummer zwei ist die zu große Nähe zwischen Politik und Finanzlobby. Eine der Cum Ex-Schlüsselfiguren in Deutschland war Hanno Berger, der über sehr gute Netzwerke in die Politik und beispielsweise auch zur FDP verfügte. Wenn ein Finanzminister nun Einnahmen erzielen will, indem er bei Bürgergeld-Empfängern kürzt und die viel größere Einnahme-Möglichkeit durch Zurückholen der Cum/Ex- und Cum/Cum-Steuermilliarden nicht nutzt, scheint die Lobby ganze Arbeit geleistet zu haben.
Es gibt bei Cum-Ex etwa 1.700 Beschuldigte und bisher gerade mal elf abgeschlossene Verfahren. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft Köln kommt in den Cum-Ex-Ermittlungen offenbar nicht schnell genug voran, oder?
Das ist falsch. Zunächst ist wichtig, dass die Staatsanwaltschaft Köln nicht schon von Beginn an, also ab 2013 gegen 1700 Beschuldigte ermittelt hat, sondern zunächst nur einen einzigen Fall bearbeitet hat. 2016 wurde in NRW eine Daten-CD angekauft, und damit nahmen die Ermittlungen Fahrt auf. Auch die Aussagen von Insidern führten dazu, dass ab 2017 der Kreis der Beschuldigten immer größer wurde.
Erst 2021/22 hatten wir genügend Personal erhalten, um effektiv zu ermitteln und Banken zielgerichtet zu durchsuchen, und dabei wurden viele Beweismittel gefunden. Staatsanwälte sind übrigens verpflichtet, jedem Hinweis nachzugehen. Das erklärt die Dimension dieser Ermittlungen.
Befürchten Sie, dass viele Verfahren eingestellt werden oder mit krummen Deals enden?
Das darf nicht passieren, denn genau das wünschen sich die Steuerbetrüger. Die hoffen, dass uns die Puste und die politische Unterstützung ausgeht. Wenn man die rund 30 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in der Hauptabteilung H in Köln weiter zielgerichtet arbeiten lässt, sie nicht mit anderen Aufgaben vollpackt oder gar Stellen abbaut, werden sie erfolgreich sein. Diese Stellen hat Peter Biesenbach damals übrigens exklusiv für die Cum-Ex-Ermittlungen geschaffen.
Ließen sich die Arbeitsbedingungen der Ermittler verbessern?
Bestimmt. Bei Cum-Ex dauert die Einarbeitungszeit etwa ein bis zwei Jahre. Für diese äußerst anspruchsvollen Ermittlungen braucht man eben Spezialisten. Wenn man aber ständig Personal austauscht, fangen die Leute immer wieder bei null an. Ziel muss sein, dieses Personal über längere Zeit in den Ermittlungen zu halten.
Es darf ihnen nicht, wie es heute vielfach der Fall ist, zum Nachteil gereichen, wenn sie den Ermittlungen treu bleiben. Im Moment erhalten Beamte oft gute Noten, wenn sie die Stelle oft wechseln. Bei Cum-Ex müssten das Verweilen und der Erwerb von Spezialkompetenz belohnt werden. Eigentlich müssten wir das Problem sogar bundesweit lösen.