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Analyse zur Wahl in RusslandWarum Putins Kalkül aufgehen könnte

Lesezeit 4 Minuten
Russlands Präsident Wladimir Putin

Russlands Präsident Wladimir Putin

Vor seiner großen Propaganda-Show am Donnerstag sitzt der russische Präsident fester denn je im Sattel.

Selbstzweifel? Im Sprachrepertoire von Wladimir Putin gibt es dieses Wort nicht. Das wird er bei seiner internationalen Jahrespressekonferenz und der Fragestunde ausgewählter Bürger am Donnerstag fraglos einmal mehr unter Beweis stellen. Und tatsächlich könnte es für den russischen Präsidenten dieser Tage kaum besser laufen.

Die sommerliche Gegenoffensive der ukrainischen Armee hat sich als Fehlschlag erwiesen. Die russische Wirtschaft schlägt sich trotz westlicher Sanktionen gegen die Industrie und den Finanzsektor erstaunlich wacker. Der Gaza-Krieg lenkt zudem die internationale Aufmerksamkeit weg vom russischen Überfall auf das Nachbarland, spielt also Moskau in die Hände. Und international ist der Kriegsherr längst nicht so isoliert, wie man es in der EU und den USA gern sähe.

Zuletzt hatte Putin den Herrschern von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten seine Aufwartung gemacht, jenen Staaten also, die gemeinsam mit Iran, Ägypten und Äthiopien bald in den Kreis der Brics-Schwellenländer aufgenommen und damit zu noch engeren Handelspartnern Russlands werden.

Könnte es also einen besseren Zeitpunkt geben, um seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl am 17. März 2024 bekannt zu geben? Nun, Putin hat es vor einigen Tagen getan – und wird auch gewinnen. Es wäre seine fünfte Amtszeit.

Im Mittelpunkt stehen soziale Wohltaten, nicht der Krieg

Wie interne Quellen aus dem Kreml berichten, bereitet sich Moskau bereits auf die Wahlkampagne vor. Bei der wird sicher nicht der Krieg gegen die Ukraine mit seinen Tausenden gefallenen Soldaten im Zentrum stehen, sondern soziale Wohltaten, wie man es in Russland aus der Vergangenheit kennt.

„Putin braucht die Wahlen sehr. Es ist eine Gelegenheit, die Legitimität des Führers und seiner Konfrontation mit der zivilisierten Welt aufzufrischen“, analysiert Andrei Kolesnikov in der regierungskritischen Wochenzeitung „The New Times“, deren Website in Russland gesperrt und deren Chefredakteurin ins Ausland geflohen ist.

Zudem bietet die Abstimmung laut Kolesnikov die Möglichkeit, „auch der Minderheit durch das vorhersehbar beeindruckende Wahlergebnis zu zeigen, dass sie immer noch eine Minderheit ist“ – und sich nicht gegen den Willen der Mehrheit stellen könne.

Eine Art Probelauf für die Präsidentschaftswahl gab es bereits im Herbst. Bei den dreitägigen Regionalwahlen im September kamen die Kandidaten der Regierungspartei „Einiges Russland“ in fast jeder Region des riesigen Landes auf Zustimmungswerte zwischen 70 und 86 Prozent. Viele Oppositionelle waren zuvor entweder gar nicht erst registriert oder schließlich von den Wahllisten gestrichen worden. Unabhängige Beobachter gab es ohnehin nirgendwo.

Putin genießt die Rückendeckung durch staatlich kontrollierte Medien und den Staatsapparat selbst. Außerdem gibt es keine nennenswerte Opposition mehr im Land. All jene Politiker, die Putin gefährlich werden könnten, sitzen wie Alexej Nawalny entweder in Haft oder sind wegen massiver Repressionen ins Exil gegangen.

Da der Kreml versucht, den Krieg gegen die Ukraine weitestgehend aus dem Alltag der Bürger herauszuhalten, hat er auch bei den Regionalwahlen in der Propaganda kaum eine Rolle gespielt. In Zeiten des Krieges seien die Wahlen, so analysiert Alexey Yusupov von der Friedrich-Ebert-Stiftung, Teil der andauernden „Normalisierungsstrategie“ der Regierung. Man wolle „den Eindruck stärken, sich einen langen Krieg und parallel eine geregelte, planmäßige Alltäglichkeit im Politischen leisten zu können, und damit den Eindruck einer Überanstrengung entkräften“.

Dafür, dass er nach vier Amtszeiten überhaupt für weitere sechs Jahre an der Spitze des russischen Staates kandidieren kann, hat der 71-jährige Putin selbst gesorgt. Eine von ihm durchgesetzte Verfassungsänderung ermöglicht ihm zwei weitere Legislaturperioden.

Wahl in besetzten Regionen soll Annexion unumkehrbar machen

Auch in den vier zum Teil russisch besetzten Regionen der Ukraine – Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja – sind die Menschen im März 2024 aufgerufen, ihre Stimme abzugeben; für sie hat Putin erst kürzlich einen Erlass unterzeichnet, der es auch unter Kriegsrecht erlaubt, Wahlen abzuhalten. Damit unterstreicht er einmal mehr seine Entschlossenheit, die völkerrechtswidrigen Annexionen unumkehrbar zu machen und damit zu signalisieren, dass sie auch bei möglichen Friedensgesprächen nicht zur Debatte stehen.

Sein Kalkül könnte aufgehen, je länger der Krieg in der Ukraine dauert – und je mehr die Verteidigung der Ukraine auch den Westen kostet. So würde eine mögliche Wiederwahl des Republikaners Donald Trump zum US-Präsidenten im November 2024 die Unterstützung der USA mehr als fraglich machen. Fiele Washington aber als verlässlicher Verbündeter Kiews aus, bliebe das wohl auch für die Haltung der Europäer nicht ohne Konsequenzen. Das Versprechen von der massiven militärischen und finanziellen Rückendeckung „so lange wie nötig“ könnte sich dann bald schon als Makulatur erweisen.