AboAbonnieren

„Cold Case“ aus AmsterdamWie ein Hologramm bei der Suche nach Bettys Mörder helfen soll

Lesezeit 4 Minuten
Amsterdam: Ein Hologramm der ungarischen Sexarbeiterin Bernadett „Betty“ Szabo.

Amsterdam: Ein Hologramm der ungarischen Sexarbeiterin Bernadett „Betty“ Szabo.

Mit dem Einsatz eines Hologramms der vor 15 Jahren ermordeten Bernadett Szabó wagt die Amsterdamer Polizei einen innovativen Schritt in der Verbrechensaufklärung.

Eine junge Frau mit halblangen, blonden Haaren steht hinter einem beleuchteten Schaufenster im Amsterdamer Rotlichtviertel. Sie trägt lediglich Jeansshorts und ein bauchfreies Trägertop, ein riesiges Drachentattoo schmückt ihren Oberkörper. Bevor sie sich auf den hinter ihr stehenden Barhocker zu setzen scheint, klopft sie an die Scheibe, um die Aufmerksamkeit der vorübergehenden Passanten auf sich zu ziehen: „Help“, „Hilfe“, erscheint auf dem beschlagenen Fenster.

Die Frau heißt Bernadett Szabó und tatsächlich steht nicht sie hinter dem Glas. Es handelt sich vielmehr um ein von ihr inspiriertes, lebensgroßes Hologramm. Denn „Betty“, wie die 19-Jährige nur genannt wurde, ist seit mehr als 15 Jahren tot. Die Sexarbeiterin wurde in der Nacht zum 18. Februar 2009 brutal ermordet.

Amsterdam: Sexarbeiterin brutal ermordet

Wer wie in einem Blutrausch Dutzende Male auf die junge Frau eingestochen hat, ist jedoch bis heute ungeklärt. Deshalb unternimmt die Amsterdamer Polizei einen letzten Versuch – und nutzt dabei erstmals die innovative Technologie, um den Fall zu lösen. Die Beamten sind überzeugt, dass jemand Informationen haben muss und hoffen, dass das Hologramm dazu beitragen wird, dass sich Menschen mit dem Opfer „verbunden fühlen“.

Die außergewöhnliche Aktion, die mit den Angehörigen abgesprochen ist, soll Zeugen oder Mitwisser ermutigen, sich zu melden. Eline Roovers, Sprecherin der niederländischen Polizei, sagte gegenüber Medien, die Polizei stehe in „engem Kontakt“ mit Szabos Familie. Diese habe ihr Einverständnis gegeben, diesen Weg zu gehen. „Sie schätzen unsere Bemühungen sehr und betrachten dies als hoffnungsvolles Zeichen, dass die Gerechtigkeit vielleicht doch noch siegen kann“, so Roovers. „Jeder Mordfall ist tragisch, aber die Geschichte von Betty ist besonders bewegend“, sagte Anne Dreijer-Heemskerk vom Cold-Case-Team.

„Cold Case“ um Betty: So wuchs sie auf

Szabo wächst im Nordosten Ungarns in Armut auf. Als sie 18 Jahre alt ist, beschließt sie, ihr Leben zu ändern und zieht kurzerhand nach Amsterdam. Dort beginnt sie als Prostituierte im Rotlichtviertel zu arbeiten. Laut Ermittlern fällt sie vor allem „durch ihr freundliches Lächeln“ und die große Drachentätowierung auf Bauch und Brust auf. Betty ist noch nicht lange in der niederländischen Hauptstadt, da wird sie schwanger. Weil sie trotz wachsendem Babybauch weiterarbeitet, erhält sie den Spitznamen „Pinguin“. Angeblich „zu Bettys Leidwesen“, wie die Amsterdamer Polizei auf ihrer Seite schreibt, wird ihr Sohn jedoch gleich nach der Geburt bei einer Pflegefamilie untergebracht. Und die junge Frau kehrt schnell wieder ins Rotlichtviertel zurück.

Eines Nachts, es sind erst drei Monate seit der Geburt vergangen, machen sich Kolleginnen jedoch Sorgen. Weder haben sie Betty gesehen noch in ihrem Zimmer, in dem sie Kunden empfing, gehört. Spät in der Nacht schauen sie nach – und finden die 19-Jährige in einer riesigen Blutlache liegend. Betty wurde Opfer eines Massakers. „Wir haben bei siebzig Messerstichen aufgehört zu zählen“, sagte der damalige Leiter der Ermittlungen. „Die Tat muss sich in einem Wutanfall entzündet haben.“

Mord in Amsterdam: Ermittlungen bleiben erfolglos

Auch wenn es zunächst mehrere Verdächtige gab, kam es nie zum Durchbruch bei den Untersuchungen. Es ist nicht einmal bekannt, ob es sich beim Mörder um einen Mann oder eine Frau handelt. „Das Problem ist, dass wir keine klare Zeitlinie haben, aus der wir ableiten können, wann Betty getötet wurde“, hieß es.

Doch die Teenagerin sei an einem der belebtesten Orte in Amsterdam oder vielleicht sogar der ganzen Niederlande ermordet worden, betonte Dreijer-Heemskerk. „Es ist schwer zu glauben, dass damals niemand etwas Ungewöhnliches gesehen oder gehört hat.“ Die Polizei wolle mit der einwöchigen Kampagne nun herausstellen, „dass es nie zu spät ist, zu reden“. Hinzu kommt die Aussicht auf eine Belohnung von 30000 Euro für hilfreiche Tipps.

Die Beamten verwiesen auf Untersuchungen, denen zufolge „Menschen, die ein solches Verbrechen begehen, in der Regel mehreren Personen, genauer gesagt im Schnitt 2,2 Personen, von ihrer Tat erzählen“. Die gegenseitigen Beziehungen könnten sich verändert haben, so die aktuelle Hoffnung, was dazu führen könnte, „dass die Leute jetzt eher bereit und offen sind, über das zu sprechen, was sie wissen oder gehört haben“.

In dem Haus an der Ecke Korte Stormsteeg und Oudezijds Achterburgwal wenden sich neben dem Hologramm auch Plakate mit Informationen über den Mord und das Opfer an die Passanten. Im Inneren des Gebäudes sind Videos des Opfers und Bilder des Tatorts zu sehen. Auch ein Dokumentarfilm wird gezeigt. In dem Viertel, wo sich Sexshops, Bars, Stripclubs, Peepshows und Coffeeshops aneinanderreihen, verdienen Hunderte von Frauen und Männer in der notorisch gefährlichen Branche ihren Lebensunterhalt.