NRWs Regierungspräsidenten bewerten die Maßnahmen zur Steigerung der Dublin-Überstellungen von Flüchtlingsministerin Josefine Paul skeptisch und befürchten ineffiziente Kontrollen.
Abschiebepraxis in NRWRegierungspräsidenten üben scharfe Kritik an Ministerin Paul
Gut zwei Monate nach dem Messer-Anschlag von Solingen, für den der ausreisepflichtige Syrer Issa al H. verantwortlich gemacht wird, wachsen die Zweifel an schnellen Verbesserungen in der NRW-Abschiebepraxis.
Wie erst jetzt bekannt wird, haben die fünf Regierungspräsidenten aus Arnsberg, Detmold, Düsseldorf, Köln und Münster bereits am 20. September in einem gemeinsamen Schreiben an Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) deren Reaktion auf die gescheiterte Rückführung von Issa al H. nach Bulgarien im Sommer 2023 kritisiert. Das elfseitige Schreiben, das als ungewöhnlicher Schritt der nachgeordneten Behördenleitungen gilt, liegt unserer Redaktion vor.
Zweifel an Maßnahmen für Dublin-Rückführungen
Konkret melden die Bezirksregierungen, die in NRW die staatliche Aufsicht über alle Ausländerbehörden führen, Zweifel an Pauls Maßnahmen zur Steigerung der Erfolgsquote bei sogenannten Dublin-Überstellungen an. Unter „Dublin-Flüchtlingen“ versteht man Asylbewerber, die über einen anderen EU-Staat nach Deutschland eingereist sind und eigentlich dort ihr Anerkennungsverfahren hätten durchlaufen müssen. Bundesweit wurde in den ersten drei Quartalen bei 56 693 Asylbewerbern festgestellt, dass so ein Fall vorliegt. Allerdings haben die Mitgliedsstaaten, an die Übernahmeersuchen gestellt wurden, diesen nur in 32 209 Fällen zugestimmt.
Der spätere Solingen-Attentäter Issa al H. sollte im Sommer 2023 nach Bulgarien ausgeflogen werden, war aber zum vorgesehenen Termin angeblich nicht auffindbar. Er saß aber wenige Stunden später beim Mittagessen in der Paderborner Landeseinrichtung, in der er untergebracht war. Da kein weiterer Rückführungsversuch erfolgte, verstrich die Überstellungsfrist. Issa al H. erhielt wenige Monate später in Deutschland einen Duldungsstatus. Am 23. August ermordete er aus mutmaßlich islamistischen Motiven beim Solinger Stadtfest drei Menschen und verletzte mehrere weitere lebensbedrohlich.
In einem Erlass vom 30. August hatte Paul die Bezirksregierungen aufgefordert, „die bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten in Bezug auf Dublin-Überstellungen künftig konsequenter und effizienter zu nutzen“. Die schwarz-grüne Landesregierung präsentierte diesen Paul-Erlass sogar Anfang September im Rahmen ihres „umfassendsten Sicherheitspakets der Landesgeschichte“ als schnelle Lehre aus dem Solingen-Anschlag.
Paul forderte von den landesweit fünf Zentralen Ausländerbehörden in Bielefeld, Coesfeld, Essen, Köln und Unna, dass künftig die Anwesenheit von ausreisepflichtigen oder zur Festnahme ausgeschriebenen Asylbewerbern in den Landeseinrichtungen systematischer erfasst werden müsse. Wie aus der Replik der Regierungspräsidenten hervorgeht, wollen diese ihren Ausländerbehörden nicht die Verantwortung für gescheiterte Rückführungen zuschieben lassen. In Flüchtlingsunterkünften seien mehrere Hundert Bewohner untergebracht, die sich zwar beim Betreten und Verlassen mit einer Chipkarte einbuchen müssten. Asylbewerber dürften sich jedoch frei bewegen und könnten leicht die Umfriedung jeder weitläufigen Anlage unbemerkt überwinden. Deshalb sei eine lückenlose Ein- und Auslasskontrolle nicht zu gewährleisten.
Behördenchefs klagen über Software-Probleme
Paul hatte es als Versäumnis der Unterkunftsleitung in Paderborn bezeichnet, dass der Zentralen Ausländerbehörde Bielefeld keine Meldung gemacht wurde, dass Issa al H. wieder aufgetaucht war. Nun sollen die Zentralen Ausländerbehörden Zugriff auf das Buchungssystem „Dias“ bekommen, um sehen könnten, ob eine Person in einer Flüchtlingseinrichtung anzutreffen sei. Nach Auffassung der Regierungspräsidenten ist „Dias“ dafür ungeeignet. Zudem gebe es Probleme mit Programm-Schnittstellen und pdf-Formularen. Teilweise könnten die Einrichtungsleitungen gar nicht wissen, welche Bewohner ausreisepflichtig sind und wer sich einer Abschiebung entzogen hat. Nicht jeder Flüchtling sei den Mitarbeitern bekannt. Daher könnten sie auch nicht nachvollziehen, „wann ein Bewohner nach einer kurzfristigen Abwesenheit wieder in der Einrichtung ,gesichtet’ worden ist“.