Expertin„Vielen Deutschen ist nicht bewusst, wieviel Tropenwald ihr Konsum zerstört“
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Die Europäische Union zählt zu den größten Treibern von Waldzerstörung, zeigt ein kürzlich veröffentlichter Bericht der Umweltorganisation World Wide Fund for Nature (WWF). Sie liegt auf Platz zwei der „Weltrangliste der Waldzerstörer“, hinter China und vor Indien und den USA. Warum für unseren Konsum hektarweise Tropenwald abgeholzt werden und ob ein Palmöl-Boykott etwas bringt, erklärt Christine Scholl, Lieferketten-Expertin beim WWF.
Frau Scholl, wir haben unseren heimischen Wald in letzter Zeit sehr schätzen gelernt. In anderen Regionen sind wir Deutschen laut dem neuen WWF-Bericht maßgeblich an seiner Zerstörung beteiligt. Wie passt das zusammen?
Christine Scholl: Ich glaube, vielen Deutschen ist einfach nicht bewusst, dass für ihren Lebensmittelkonsum in Südamerika und Asien Wälder zerstört werden. Weltweit stehen 16 Prozent der Abholzung von Tropenwald im Zusammenhang mit EU-Importen. Die Natur, die wir vor unserer Haustür zum Ausgleich in der Pandemie brauchen, wird in andern Weltregionen unserem Konsum geopfert.
Für welche EU-Importe werden weltweit die meisten natürlichen Flächen gerodet?
Rund ein Drittel wird für den Anbau von Soja zerstört. Besonders in Südamerika gibt es riesige Monokulturen, die große Flächen beanspruchen und durch den Einsatz von Pestiziden Ökosysteme schädigen. Ein weiteres Viertel der Flächen geht auf den Palmöl-Anbau zurück. Außerdem muss die Natur für Rinderweiden, Holzplantagen, Kaffee und Kakao weichen.
Warum sind gerade Soja und Palmöl auf dem Weltmarkt so begehrt?
Soja, meist aus Südamerika, wird in großen Mengen als Futtermittel für Nutztiere importiert, da es günstig ist und eine wertvolle Eiweißquelle darstellt. Palmöl, oft aus Indonesien oder Malaysia, ist in sehr vielen Supermarktprodukten wie Margarine oder Shampoo enthalten oder wird Bio-Diesel beigemischt.
Sollte man Palmöl-Produkte besser nicht kaufen?
Das ist eine schwierige Frage, weil nicht die Pflanze das Problem ist, sondern unser extrem hoher Bedarf. In meinen Augen ist ein Palmöl-Boykott nicht sinnvoll, weil die Pflanze sehr flächeneffizient und das Öl universell einsetzbar ist. Würden wir es in den Produkten beispielsweise durch Kokosöl ersetzen, bräuchten wir noch mehr Fläche. Der Anbau muss nachhaltiger gestaltet werden. Verbraucher sollten lieber weniger industriell verarbeitete Produkte, die oft Palmöl enthalten, konsumieren und möglichst auf Bio-Siegel achten, die einen ökologisch schonenderen Anbau zertifizieren.
Wie ist es beim Soja-Import? Gibt es da eine bessere Alternative?
Soja ist für sich gesehen ein ideales Futtermittel für Tiere, auch hier ist die große Nachfrage nach Fleisch und tierischen Produkten das Problem. Das Soja für den menschlichen Verzehr wird hingegen in der EU meist unter weitaus besseren Bedingungen angebaut und ist häufig in Bioqualität erhältlich. Wenn wir weniger Fleisch essen, schonen wir also den Tropenwald.
Wie viel weniger Fleisch sollten wir essen?
Wenn wir unseren Fleischkonsum auf im Schnitt 470 Gramm pro Woche halbieren, und stattdessen mehr Hülsenfrüchte und Nüsse essen, sinkt Deutschlands ernährungsbedingter Flächenbedarf um fast drei Millionen Hektar. Das entspricht etwa 20 Prozent des Gesamtbedarfs und ungefähr der Größe Brandenburgs. Wer sich komplett vegetarisch ernährt, reduziert die für ihn benötigte landwirtschaftliche Fläche zum Anbau der Lebensmittel fast um die Hälfte.
Was können Konsumenten tun, die nicht auf Fleisch verzichten wollen?
Es macht schon einen Unterschied, wenn man weniger konsumiert und dann am besten zertifiziertes Bio-Fleisch kauft, weil diese Tiere nur Futter aus heimisch angebauten Bio-Pflanzen bekommen. Oder man steigt auf Wild aus der Region um. Insgesamt ist der Fleischkonsum ein wichtiger Hebel, um die Zerstörung der Natur weltweit zu stoppen.
Wichtig ist auch zu wissen, dass nicht nur der tropische Regenwald von der Ausbreitung von Agrarflächen bedroht sind, sondern auch andere wichtige Ökosysteme wie Savannen oder Grasländer, die ebenfalls wichtige Funktionen haben wie die Regelung von Wasser- und Wetterkreisläufen oder das Speichern von CO2. Durch die Zerstörung der wichtigen Ökosysteme werden auch Infektionskrankheiten wie Covid-19 künftig wahrscheinlicher. Viren können leichter vom Wildtier auf den Menschen überspringen, weil die Lebensräume von Tiere durch den Raubbau an der Natur immer kleiner wird, und Mensch und Wildtiere immer näher zusammen rücken.
Müssen wir das alles bedenken, wenn wir einkaufen?
Ich wünsche mir, dass der Konsument im Supermarkt sich darüber wenig Gedanken machen muss. Er sollte annehmen dürfen, dass für ein Produkt auf dem deutschen Markt weder Regenwald zerstört wurde noch beispielsweise Menschenrechte verletzt wurden. Wir brauchen ökologische und soziale Standards in den Lieferketten. Die EU muss hier vorangehen. Mitte diesen Jahres wird sie einen Gesetzesrahmen vorlegen. Dieser muss den Import von Rohstoffen und Waren verbieten, die mit der Zerstörung von Wäldern und anderen wichtigen Ökosystemen zusammenhängen. Freiwillige Selbstverpflichtungen von Staaten und Unternehmen bringen bisher nur punktuell eine Verbesserung.
Christine Scholl ist Expertin für nachhaltige Lieferketten beim World Wide Fond for Nature (WWF).