Wer kündigt und sich dann krankmeldet, schürt beim Arbeitgeber Zweifel. Doch eine Krankmeldung hat einen hohen Beweiswert.
RechtsfrageDarf der Chef mein Gehalt streichen, wenn ich krank bin?
Ich habe im Juli meinen Job gekündigt und muss dort – abzüglich Urlaub – noch bis Mitte Oktober arbeiten. Vor kurzem wurde ich nun bis Mitte Oktober krankgeschrieben. Als ich die Krankschreibung eingereicht habe, hat mein Vorgesetzter mir gedroht, er werde dafür sorgen, dass ich ab sofort kein Gehalt mehr bekomme, falls er mich „irgendwo draußen herumlaufen“ sieht. Jetzt traue ich mich kaum mehr, das Haus zu verlassen – meine Firma ist nicht weit von meinem Wohnort entfernt.
Ihr Vorgesetzter geht offensichtlich wenig professionell damit um, dass Sie sich anderweitig orientieren wollen. Um Ihren Lohn müssen Sie sich aber vermutlich wenig Sorgen machen. „Vermutlich“ deshalb, weil mir nicht bekannt ist, welchen Job Sie ausüben. Das kann entscheidend dafür sein, was Sie auch während einer Krankschreibung tun dürfen, ohne Ihren Lohnfortzahlungsanspruch zu riskieren.
Bis zu sechs Wochen muss Ihr Arbeitgeber Ihnen bei Krankheit Ihr Entgelt fortzahlen. Dass Sie krank sind, müssen Sie beweisen, wie geschehen durch eine Krankschreibung, die offiziell Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) heißt. Ist diese ordnungsgemäß ausgestellt, gilt der Beweis als erbracht. Einer AU kommt ein hoher Beweiswert zu. Wenn Ihr Arbeitgeber Ihnen dennoch nicht traut, müsste er seinerseits darlegen und belegen, warum er begründete Zweifel daran hat, dass Sie wirklich krank sind. Juristisch nennt man das „den Beweiswert der AU erschüttern“.
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In Ihrem Fall könnte, und so argumentiert offenbar Ihr Vorgesetzter, ein Anhaltspunkt für Zweifel darin liegen, dass Sie gekündigt haben. Bei jemandem, der auf dem Sprung in einen anderen Job ist, liegt es nahe, von wenig Motivation für die letzten Monate im alten Job auszugehen. Tatsächlich sieht das Bundesarbeitsgericht den Beweiswert einer AU regelmäßig als erschüttert an, wenn ein Arbeitnehmer diese zeitgleich mit seiner Kündigung einreicht. Selbst wenn Sie das getan hätten, würde das aber noch nicht heißen, dass Sie keine Entgeltfortzahlung mehr bekommen – die AU würde dann jedoch nicht mehr reichen, Sie müssten mehr tun, um zu beweisen, dass Sie wirklich krank sind.
Aber Sie haben ja offenbar noch rund sechs Wochen gearbeitet, nachdem Sie Ihre Kündigung Ende Juli eingereicht haben. Und es gibt keinen Generalverdacht gegen Arbeitnehmer, die gekündigt haben. Natürlich kann man auch während der Kündigungsfrist krank werden. So entschied das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern erst vor kurzem, dass der Beweiswert einer AU nicht allein schon deshalb erschüttert ist, weil diese einen Zeitraum innerhalb der Kündigungsfrist, insbesondere gegen Ende der Kündigungsfrist betrifft (LAG M-V, Az. 5 Sa 1/23).
Noch mehr Gründe, zu glauben, Sie wären nicht wirklich krank, sollten Sie Ihrem Arbeitgeber natürlich nicht liefern. Das bedeutet aber nicht, dass Sie Ihr Haus nicht verlassen dürfen, etwa um zum Supermarkt zu gehen, zur Ärztin zu fahren oder Ihr Kind in den Kindergarten zu bringen. All das kann man bekanntlich auch mit vielen Krankheitsbildern tun, mit denen man dennoch nicht arbeitsfähig ist. Der Maßstab dafür, ob bestimmte Aktivitäten bei Ihrem Arbeitgeber berechtigte Zweifel an der Richtigkeit der AU wecken, sind Ihre Arbeitsaufgaben. Natürlich sollten Sie während der Kündigungsfrist keinen anderen Job beginnen, und auch sportliche Aktivitäten könnten, insbesondere wenn Sie einer körperlichen Arbeit nachgehen, die AU infrage stellen. „Irgendwo draußen herumlaufen“ aber dürfen Sie – auch, wenn Sie gekündigt haben.
Dieser Text ist eine Folge unserer Rechtskolumne „Recht & Ordnung“. In dieser Serie schreiben Staatsanwältin Laura Neumann (Düsseldorf) sowie die Rechtsanwälte Pia Lorenz („Beck aktuell“), Martin W. Huff (ehem. Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln), Christian Solmecke (Partner der Kölner Medienrechtskanzlei WBS.Legal) und Thomas Bradler (Verbraucherzentrale NRW, Leiter Markt und Recht). In ihren Kolumnen geben sie Auskunft zu oft kniffligen Fragen des Rechts, können aber keine Rechtsberatung bieten oder in konkreten Fällen den Gang zu einem Anwalt ersetzen. Haben Sie eine Frage an unsere Experten? Dann schreiben Sie uns eine Mail an: recht-und-ordnung@kstamedien.de