- Wer in der Nacht nicht zur Ruhe kommt, probiert aus purer Verzweiflung alles Mögliche, um endlich einzuschlafen.
- Als neues Wundermittel gegen Schlafstörungen sorgen Gewichtsdecken seit kurzem für Aufmerksamkeit.
- Ursprünglich als Therapiedecken gedacht, sollen sie Insomnia-Geplagten helfen. Ob das nur ein Internet-Phänomen ist oder auch Experten die Decken empfehlen.
Was macht man nicht alles, mitten in der Nacht, wenn man nicht schlafen kann? Licht an. Aus. An. Aus. An. Buch nehmen. Weglegen. Nehmen. Weglegen. Schnarchende Bettgefährten nach draußen komplementieren. Selbst den Weg aufs Sofa suchen. Um weiter den Lichtschalter zu betätigen, mit der Zeitung zu rascheln, aufzustehen, Tee zu kochen, Baldrian nehmen. Mit allen Mitteln die Unruhe bekämpfen, um irgendwie wieder einzuschlafen. Bis man aufgibt – und aufsteht.
Zu wenig Schlaf macht krank, grauhaarig, dick und depressiv
Schlafstörungen können zur Hölle werden, Studien der Krankenkassen Barmer und DAK belegen, dass mittlerweile von einem Zivilisationsproblem gesprochen werden kann. Denn ein Drittel der Beschäftigten in Deutschland leidet darunter. Tendenz steigend. „Und die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen“, sagt Rainer Lange, Sprecher der DAK, „da die Kassen ja nur die Betroffenen erheben, die tatsächlich einen Arzt wegen ihres Problems aufsuchen“. Das sind, Langes Einschätzungen zufolge, aber die wenigsten. Denn, so seine Vermutung, würden viele die Beeinträchtigung lange Zeit als Belanglosigkeit abtun. Acht und mehr Nachtschichten im Monat, Termin- und Leistungsdruck seien Garanten für schlechten Schlaf der arbeitenden Bevölkerung.
Zu wenig Schlaf macht krank, grauhaarig, dick, labil, depressiv, löst Angstzustände aus. Die Phalanx der unerwünschten Folgen ist so groß wie bedrohlich. Der DAK-Studie zufolge müssen die Betroffenen mit fünf Stunden oder weniger Schlaf auskommen. Bei sieben bis acht Stunden Schlaf liegt die Empfehlung für Menschen mittleren Alters.
Die Gewichtsdecke als neues Wundermittel?
Wie groß die Verzweiflung der Betroffenen ist, liest man in Internetforen, bei Selbsthilfegruppen. Man findet einen regen Austausch über Mittel wie Lavendel, Rosenwasser, Hopfentee, Baldrian und Maßnahmen wie Sport am Abend, heiße Badewanne, Schlaftabletten. Was beim einen wirkt, zeigt nur lächerliche Funktion beim anderen. Oder wie es der in Berlin ansässige Parfumeur Geza Schön ausdrückt: „Die ätherischen Öle haben einen Einfluss auf die Gehirnfunktionen, aber man darf die Aromatherapie nicht überbewerten. Man schläft nicht sofort ein, wenn man Lavendelöl riecht. Sonst würde man im Krankenhaus ja auch damit arbeiten, stattdessen bekommt man ein hochdosiertes Opiat als Narkosemittel.“
Aber die Betroffenen greifen zu allen Mitteln. Ein Grund, weshalb ein neues Wundermittel seit kurzem für viel Aufmerksamkeit sorgt: die Gewichtsdecke. Das Time Magazine hat sie mit anderen Erfindungen – wie einem Deckel, der auf nahezu alle Töpfe passt oder einer reißfesten Strumpfhose – zu den innovativsten Produkten 2018 erhoben. Neu ist die Erfindung der bis zu zwölf Kilogramm schweren Decken in unterschiedlicher Ausführung allerdings gar nicht, zum Einsatz kamen sie bislang vor allem in der Therapie, etwa bei autistischen Kindern, ADHS-Patienten oder Soldaten, die an posttraumatischen Belastungsstörungen leiden.
Repräsentative Studien zur Gewichtsdecke fehlen bislang
Insomnia-Kranke haben sie nun als ein neues Hilfsmittel entdeckt. Oder, anders ausgedrückt, im Geschäft um den guten Schlaf (nach Erfindungen wie Kopfmaske oder Lichttherapie-Brille) wird jetzt also die Gewichtsdecke zum Heilsbringer der Schlaflosen erklärt. Repräsentative Studien, die ihre Wirkung beweisen, gibt es dazu allerdings noch nicht. Oder, wie ein Sprecher der Stiftung Warentest es ausdrückt: „Ich glaube nicht, dass die Decken für uns irgendwann relevant werden. Ein unabhängige Studie kenne ich dazu nicht.“
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Welche Leistung brachte sie denn bislang als therapeutisches Mittel? Schon Ende der 1990er Jahre testete eine amerikanische Ärztin die Wirksamkeit der Therapiedecke an psychisch kranken Menschen und kam zu der Schlussfolgerung, dass sich Angstsymptome damit reduzieren ließen. Der Vorstandsreferent der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM), Alfred Wiater, sagt, dass die Ergebnisse von Individuum zu Individuum variieren. Der ehemalige Chefarzt der Kinderklinik und Ärztlicher Direktor des Krankenhauses Porz am Rhein (Köln) und Lehrbeauftragter der Universität zu Köln, meint: „Die einen stört solch ein Gewicht im Liegen auf sich zu haben, die anderen nicht. Entweder hat man das Gefühl eine Zwangsjacke anzuhaben oder man fühlt sich geborgen. Schon bei gepuckten Babys stellen wir fest, die einen mögen das, die anderen wollen sich freistrampeln. Bei behinderten Kindern, mit einer Spastik etwa, haben wir festgestellt, dass manche besonders gut auf solche taktilen Reize reagierten.“ Bei einem schlaflosen Menschen kann sich Wiater vorstellen, „dass der sich hin- und herwälzende Körper schneller wieder Ruhe findet“. Wiater testete Decken eines dänischen Herstellers, die mit Kugeln so groß wie Tischtennisbälle befüllt waren. Die derzeit populären Decken hingegen haben Glasperlen oder Sand in den Kammern und sind unterschiedlich schwer. „Sand als Füllmaterial kann ich mir ganz gut vorstellen, weil es sich dem Bewegungsmuster des Körpers anpasst.“ Die Luftzirkulation bei einer solchen Dichte könne aber zum Problem werden, er warnt vor Hitzestau, da die Temperaturregulation durcheinander kommen kann.
Die Schwere der Gewichtsdecke soll beim Entspannen helfen
Nichtsdestotrotz wird die Decke gerade massentauglich - im grauen Kuschelbezug, mit Sternchen bedruckt. Beim deutschen Hersteller textildecken.de werden sie mit Mikroglaskugeln befüllt. Hergestellt in Polen, versandt in die ganze Welt. „Wir wachsen gerade sehr stark und expandieren“, sagt Unternehmenssprecherin Agnes Müller. Umsatzzahlen werden nicht kommuniziert. Auf der Internetseite wird erklärt: Mit ihrem Gewicht soll die Decke einen sanften, gleichmäßigen Druck auf den Körper ausüben, die Schwere soll wie bei einer Massage beim Entspannen helfen. Der Tiefendruck vermittelt dem Gehirn das gleiche Signal, das bei einer liebevollen Umarmung entsteht, schreibt der Anbieter. Bei angemessenem Gewicht soll die Ausschüttung des Glückshormons Serotonin und des Schlafhormons Melatonin gefördert und gleichzeitig der Cortisolspiegel, das Stresshormon, gesenkt werden.Wissenschaftliche Belege gibt es dafür nicht. Dafür müssten Tests im Schlaflabor gemacht werden. Ein Stichproben-Anruf beim Kölner Zentrum für Schlafmedizin und Schlafforschung Intersom ergab: Gewichtsdecken sind da noch nicht angekommen.