Köln – Mit dem Jahreswechsel sind für viele Privatversicherte die Beiträge für ihre Krankenversicherung gestiegen. Auch die Debeka, größter privater Krankenversicherer in Deutschland, verlangt seit dem Jahreswechsel mehr Geld – durchschnittlich 17,6 Prozent. Für alle Versicherungen, klein wie groß, gilt jedoch: Beitragserhöhungen müssen begründet werden. Die floskelhaften Formulierungen vieler Versicherungen reichten da oft nicht aus, meint der Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke. So könnten Millionen Versicherte die gezahlten Beitragserhöhungen zurückfordern.
Warum erhöhen private Krankenversicherungen ihre Beiträge?
Private Krankenversicherungen dürfen ihre Beiträge nur aus zwei Gründen erhöhen. Dafür müssen die Leistungsausgaben oder die Sterbewahrscheinlichkeit um zehn beziehungsweise fünf Prozent von der ursprünglichen Kalkulation abweichen. Ist dies der Fall, müssen die Versicherungen die Beiträge neu berechnen und dabei alle Faktoren mit einbeziehen – zum Beispiel auch die aktuell niedrigen Zinsen, die sich negativ auf die Altersrückstellungen in der privaten Krankenversicherung auswirken.
Warum sind viele Beitragserhöhungen der vergangenen Jahre unwirksam?
Um die Beiträge erhöhen zu können, müssen allerdings nicht nur bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Die privaten Krankenkassen müssen ihren Kundinnen und Kunden auch ausreichend begründen, warum die Beiträge erhöht werden. Allerdings wählten Versicherer „häufig nur pauschale, floskelhafte Begründungen“, sagt Christian Solmecke. Natürlich müssten die Schreiben „keine genauen mathematischen Berechnungen enthalten“. Aber: „Die kurzen, groben Ausführungen der meisten Versicherungen reichen bei weitem nicht aus.“ Häufig stünde in den Schreiben, die Erhöhungen begründeten sich mit der Sterbewahrscheinlichkeit oder angestiegenen Versicherungsleistungen. Dies sei allerdings keine eindeutige Nennung der Rechnungsgrundlage und somit nicht konkret genug. Festgehalten ist dies in Paragraph 203 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG).
Was sagen die Gerichte?
Schon im Dezember 2018 hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass bei ausbleibender maßgeblicher Begründung eine Beitragserhöhung unwirksam und dies auch gerichtlich überprüfbar sei. Ende des vergangenen Jahres ging es in zwei Urteilen um einen ähnlichen Fall. Schon vor niederen Instanzen hatten zwei Kläger beanstandet, ihre private Krankenversicherung habe die Beitragserhöhungen nicht ausreichend begründet, und Recht bekommen. Auch der Bundesgerichtshof stellte die Unwirksamkeit der Prämienanpassungen in den Jahren 2015 und 2016 fest und führte zudem die Anforderungen an eine Begründung der Beitragserhöhungen an. Die Versicherung muss die seitdem gezahlten Erhöhungsbeträge nun zurückzahlen.
Mit diesem Urteil hätten Versicherte „mehr Rechtssicherheit bei der Frage, ob gegebenenfalls eine Klage Aussicht auf Erfolg hat“, sagt Rechtsanwältin Rita Richard von der Gruppe Finanzen und Versicherungen der Verbraucherzentrale NRW. Christian Solmecke freut sich über die Entscheidung: „Die Urteile sind nicht nur ein riesiger Erfolg für die Kläger, sondern auch eine Chance für zahlreiche andere Versicherungsnehmer. Die Chancen auf Rückforderung zu viel gezahlter Beiträge könnten also besser nicht sein.“
Wann habe ich Anspruch auf eine Rückerstattung?
Anspruch auf eine Rückerstattung haben im Prinzip alle Privatversicherten, denen Beitragserhöhungen ähnlich unzureichend begründet wurden. Unwahrscheinlich ist das nicht. „Bei nahezu allen privaten Krankenversicherungen waren in den letzten Jahren unwirksame Beitragserhöhungen festzustellen“, sagt Christian Solmecke. Die Verbraucherzentrale NRW sieht die Lage ähnlich: „Wir gehen davon aus, dass fast alle Versicherer in der Vergangenheit bei den jeweiligen Erhöhungen, die ja häufig jährlich stattfinden, nicht ausreichend begründet haben. Deshalb wird es wohl zukünftig eine große Anzahl an Rückforderungen und Klageverfahren geben“, sagt Rita Reichard.
Wie gehe ich am besten vor?
Um sich nachträglich gegen die Beitragserhöhungen zu wehren, braucht es nicht viel. Ein Blick auf die Schreiben, mit denen die Versicherung die vergangenen Beitragserhöhungen angekündigt hat, genügt. Fehlt die genaue Angabe der Rechnungsgrundlage, reicht dies aus, um sich das Geld zurückholen zu können.
Auch nicht Rechtsschutzversicherten empfiehlt die Verbraucherzentrale NRW, prüfen zu lassen, „ob die Begründung zur Erhöhung ausreichend war.“ Wer eine Rechtsschutzversicherung besitzt, der könne sogar noch einen Schritt weitergehen. „Rechtsschutzversicherten raten wir, ebenfalls auch die Frage der ‚materiellen Rechtmäßigkeit‘ zu prüfen, also ob sich tatsächlich die Rechnungsgrundlagen geändert haben und ob die neue Prämie ordnungsgemäß kalkuliert wurde“, so Rita Reichard.
Wer sich nicht sofort einen Anwalt nehmen möchte, kann auch zunächst das schriftliche Beratungsangebot der Verbraucherzentrale in Anspruch nehmen. Bislang hätten die Versicherungen zwar keine außergerichtlichen Zugeständnisse gemacht, die Forderung von Rückzahlungen sei bislang ohne Anwalt und auch ohne Klage nicht möglich gewesen. Allerdings bleibe abzuwarten, wie sie nach dem neuerlichen Urteil des Bundesgerichtshofes reagierten, sagt Rita Reichard: „Möglicherweise reicht nach der aktuellen BGH-Entscheidung auch eine außergerichtliche anwaltliche Vertretung.“
Was hat es mit aktuellen Schreiben einiger privater Krankenversicherungen zu dem Thema auf sich?
Auch die Krankenversicherungen haben das Urteil des Bundesgerichtshofs natürlich mitbekommen. Und versuchen nun teilweise, ihre Beitragserhöhungen zu retten. Denn die genauen Gründe für die Erhöhung können auch erst später mitgeteilt werden – dann greift die Beitragserhöhung allerdings auch erst zu einem späteren Zeitpunkt. Und zwar zwei Monate, nachdem das betreffende Schreiben bei der versicherten Person angekommen ist. Für den Zeitraum davor kann die Versicherung ihren Fehler nicht ausradieren.
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Genau das versuchen allerdings zurzeit einige. Beispielhaft nennt Christian Solmecke ein Schreiben der Deutschen Krankenversicherung (DKV), „kein Einzelfall“, wie er betont. Auch der Verbraucherzentrale liegen derartige Schreiben der DKV und der Axa vor. Darin begründet die Versicherung ihre Erhöhungen ausreichend, was Solmecke auch lobt. Allerdings will die DKV ihren Versicherten glaubhaft machen, dass diese Begründung auch rückwirkend gelte – und formuliert dies auch eindeutig: „Bitte beachten Sie, dass wir die von uns bislang mitgeteilten Begründungen für wirksam halten.“ „Dem ist aber natürlich nicht so“, betont der Anwalt. „Die Begründungen sowie die bisherigen Beitragserhöhungen bleiben unwirksam. Und es können weiterhin die zu viel gezahlten Gelder der letzten Jahre zurückgefordert werden.“
Die Schreiben seien zudem größtenteils sehr unübersichtlich gestaltet, betont Rita Reichard. Auch sie hält die Gültigkeit für fragwürdig und, wenn überhaupt, mit Auswirkungen auf die Zukunft, nicht aber auf die Vergangenheit. „Natürlich weiß jetzt jeder Versicherer, ob die vergangenen Erhöhungsmitteilungen wirksam sind oder nicht.“ Ihm sei nicht wichtig, dass der Versicherte nunmehr Klarheit habe, sondern er versuche damit, die vergangenen unwirksamen Erhöhungen zu heilen. Das werde aber verschwiegen. „Ich prüfe deshalb aktuell, ob diese Mitteilungen nicht unlauter sind, da sie möglicherweise die Versicherten in die Irre führen und von der Geltendmachung ihrer Rechte abhalten.“
Wie stehen meine Chancen, wenn ich klage?
Auch durch die beiden Urteile des Bundesgerichtshofs stünden die Chancen für Versicherte „sehr gut“, sagt Christian Solmecke. „Teilweise können Beiträge über 10.000 Euro zurückgefordert werden.“ Auch Rita Reichard rät Versicherten dazu, „alle Möglichkeiten“ zu nutzen. Neben der Prüfung und einer eventuell folgenden Klage gegen Beitragserhöhungen sei auch der Wechsel des Tarifs beim selben Versicherer, „was häufig zu einer Vergünstigung bei nahezu gleichbleibenden Leistungen führt“, eine Option.