Eine Steuer auf zuckerreiche Energydrinks wie in Großbritannien könnte dem Übergewicht bei Jugendlichen entgegenwirken. Die FDP sperrt sich.
„Aber hey, Freiheit“Neun Bundesländer wollen Zuckersteuer auf Softdrinks – Harsche Kritik an FDP
Mehr als die Hälfte aller Deutschen ist übergewichtig, Männer sind häufiger betroffen als Frauen. Fast ein Fünftel der Erwachsenen (19 Prozent) weist sogar eine Adipositas auf, diese Menschen haben also einen Body Mass Index (BMI) über 30. Insbesondere in der Altersgruppe der 45- bis 64-Jährigen ist die Gefahr der Adipositas in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen.
Diese Zahlen basieren auf einer Studie des Robert Koch-Instituts (RKI) aus dem Jahr 2022 und sind alarmierend, denn „Übergewicht und Adipositas und die damit verbundenen Folgekrankheiten sind von hoher Public-Health-Relevanz“, heißt es weiter beim RKI. Dies ist letztlich nicht nur eine Frage der öffentlichen Gesundheit, sondern verursacht auch beträchtliche Kosten für das Sozialsystem.
Zucker ist ein Hauptfaktor für Übergewicht
Maßnahmen gegen Übergewicht sind also auch längst zu einer politischen Frage geworden. Dass Zucker ein Hauptfaktor für Übergewicht ist, ist schon lange unbestritten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schreibt, dass Übergewicht und Fettleibigkeit wichtige Risikofaktoren für eine Reihe von nicht übertragbaren Krankheiten seien, darunter Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und bestimmte Krebsarten. Zuckerkonsum spiele hierbei eine relevante Rolle.
Um diesen einzuschränken und insgesamt Verbraucherinnen und Verbraucher zu einer gesünderen Lebensweise anzuhalten, werden seit längerem in Deutschland und EU-weit verschiedene Maßnahmen diskutiert. Eingeführt wurde bereits der sogenannte Nutri-Score. Die sogenannte „Lebensmittel-Ampel“ zeigt an, wieviel Nährstoffe wie Fette, gesättigte Fettsäuren, Zucker und Salz im betreffenden Produkt sind.
Verpflichtend ist diese Lebensmittelkennzeichnung für die Hersteller allerdings nicht. Und auch eine weitere Maßnahme, die den Zuckergehalt in Lebensmitteln reduzieren könnte, wird wohl vorerst nicht umgesetzt: die Zuckersteuer. Insbesondere in Soft Drinks und Energydrinks ist überdurchschnittlich viel Zucker enthalten, und diese werden gerne von Kindern und Jugendlichen konsumiert.
Laut einer Studie von „foodwatch“ aus dem Jahr 2018 enthalten 58 Prozent der untersuchten Getränke (345 von 600) mehr als 50 Gramm Zucker je Liter. Das sind umgerechnet mehr als vier Zuckerwürfel pro 250ml-Glas. Eine 250ml-Dose Red Bull enthält sogar rund neun Stück Würfelzucker.
2018 hatten sich die Hersteller in Deutschland selbst verpflichtet, den Zuckergehalt in ihren Produkten zu reduzieren. Bewirkt hat dies aber offenbar nicht viel, so eine Studie zweier deutscher Universitäten.
Bundesländer fordern Zuckersteuer für Softdrinks
Nun fordern neun Bundesländer, unter ihnen auch mehrere mit Regierungsbeteiligung von CDU bzw. FDP, eine Steuer auf zuckerhaltige Softdrinks. Sie bitten den Bund, eine „herstellerbezogene Abgabe“ auf solche Getränke zu prüfen, wie aus dem Protokoll der jüngsten Verbraucherschutzministerkonferenz hervorgeht. „Trotz freiwilliger Selbstverpflichtung und Zusagen der Industrie in Deutschland ist der durchschnittliche Zuckergehalt von Softgetränken in den vergangenen Jahren nicht in dem Maße gesunken, wie es für eine gesundheitsfördernde Ernährung erforderlich wäre“, heißt es dort. Über die Höhe einer möglichen Steuer auf Softdrinks steht dort nichts. Allerdings empfiehlt die WHO 20 Prozent.
Die Verbraucherschutzministerkonferenz unter dem Vorsitz Bayerns hatte Mitte Juni in Regensburg getagt. Die neun Bundesländer, die eine Steuer auf Softdrinks fordern, sind Brandenburg, Hamburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, das Saarland, Sachsen und Thüringen.
In Großbritannien gibt es seit 2018 eine Zuckersteuer auf Getränke. Dort haben viele Hersteller den Zuckergehalt ihrer Getränke gesenkt, wie der NDR berichtet. Die Maßnahme habe zu Erfolgen geführt: Die Fettleibigkeit bei Kindern und Jugendlichen sei laut Studien in Großbritannien seitdem gesunken und bei Getränken seien 45 Millionen Kilo Zucker eingespart worden.
Zuckersteuer: Wolfgang Kubicki spricht von „Aktionismus“
Auch Ernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) hatte sich bereits im vergangenen Jahr für die Einführung einer Zuckersteuer auf Getränke ausgesprochen. Am Mittwochabend (19. Juni) erklärte Özdemir in der ARD zudem, die Ergebnisse in Großbritannien seien „sehr vielversprechend“.
Gegen den Widerstand einer „kleinen und sehr finanzstarken Lobby“ sowie der FDP innerhalb der Ampel-Koalition sei dies derzeit aber nicht machbar, hatte der Ernährungsminister aber auch im September dem „Spiegel“ gesagt. So bezeichnete zum Beispiel FDP-Vize Wolfgang Kubicki Vorstöße in diese Richtung als „politischen Aktionismus“.
Ebenso sperrt sich die FDP weiterhin gegen ein Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel, wie es Özdemir befürwortet. Özdemir hatte im Februar 2023 einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Werbung für ungesunde Lebensmittel zu Zeiten, in denen Kinder besonders häufig Fernsehen schauen, verbieten will. Bislang ist aber nichts in der Hinsicht umgesetzt worden. Die FDP setzt in allen diesen Fragen auf Freiwilligkeit der Industrie und bessere Information der Bevölkerung. Eine Zuckersteuer oder auch ein Werbeverbot seien eine „Überregulierung“, so die Liberalen.
Kritik an FDP wegen Haltung zur Zuckersteuer auf Energydrinks
Dass die FDP mit ihrer Haltung nicht nur beim Koalitionspartner Grüne aneckt, sondern auch Kritik von Ärzten und Verbänden auf sich zieht, musste die Partei beim Thema Werbeverbot bereits erfahren. Verbraucherschützer, der AOK-Bundesverband, der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, die Deutsche Diabetes Gesellschaft, das Deutsche Krebsforschungszentrum und das Deutsche Kinderhilfswerk hatten sich klar dafür ausgesprochen.
Auch mit der Ablehnung einer Getränke-Zuckersteuer macht sich die FDP wenig Freunde. Ein Auftritt des ernährungspolitischen Sprechers der FDP-Bundestagsfraktion Gero Hocker am Mittwoch (19. Juni) im „ARD-Morgenmagazin“ rief viel Kritik im Kurznachrichtendienst X, ehemals Twitter, hervor.
Hocker verwies auf die Eigenverantwortung der Konsumenten, jede und jeder könne sich schließlich selbst informieren. User bei X kritisieren dagegen, dass sich die FDP mit ihrer Haltung ganz offensichtlich über wissenschaftliche Erkenntnisse hinwegsetzt und Erfahrungen in anderen Ländern vom Tisch wischt. „Aber hey, Freiheit“, kommentiert eine Userin ironisch die Politik der FDP.
Andere Kommentare finden noch deftigere Ausdrücke für die FDP.
Der Journalist Claas Gefroi verwies darauf, dass das Argument der Überregulierung nicht greife, wenn die Zuckersteuer selbst Großbritannien, das „Mutterland des Liberalismus“ funktioniere. (mit afp)