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Vorübergehende DurchblutungsstörungWarum Ärzte bei einem „kleinen“ Schlaganfall lieber einfach sprechen

Lesezeit 3 Minuten
Ein Arzt hält ein Modell eines Gehirns und deutet mit einem Stift auf einen Bereich des Modells.

Bei einer vorübergehenden Durchblutungsstörung treten dieselben Symptome wie bei einem Schlaganfall auf – deshalb lassen sich die beiden zunächst kaum auseinanderhalten.

Im Fall eines kleinen Schlaganfalls sollten Ärzte lieber einen einfachen Begriff benutzen statt des wissenschaftlichen, findet Magnus Heier

Ärzte sprechen von einer TIA – einer „transienten ischämischen Attacke“. Gemeint ist damit eine vorübergehende (!) Durchblutungsstörung im Gehirn. Laut der medizinischen Definition bilden sich die Symptome einer TIA innerhalb der nächsten 24 Stunden vollständig zurück. Kein Grund für übermäßige Besorgnis also? So klingt es. Auch, weil viele Patienten das „Vorübergehende“ der Krankheit beruhigend finden. Und die TIA als nicht so schlimm einordnen.

Magnus Heier

Magnus Heier

ist Autor und Neurologe und schreibt die wöchentliche Medizinkolumne „Aus der Praxis“. ...

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Das zumindest ist die Befürchtung von Donald Easton und Claiborne Johnston. Sie haben im „Standpunkt“, einer Art Meinungskolumne im Journal der amerikanischen medizinischen Association gegen diesen Begriff der „TIA“ argumentiert. Er verharmlose die Erkrankung. Und sie plädieren für einen anderen, für den im Volksmund verbreiteten Begriff: „kleiner Schlaganfall“. Der macht deutlicher, dass es sich um etwas Ernstes handelt – und das tut es auch. Wie bei einem schweren Schlaganfall können die Symptome bei der TIA oder eben dem kleinen Schlaganfall ganz unterschiedlich sein: Lähmung oder Taubheit, Ausfall oder Behinderung der Sprache (in der Aussprache oder im Inhalt der Worte), Sehstörungen oder andere Symptome.

Zu Beginn der „TIA“ ist gar nicht klar, ob sie nur ein kleiner Schlaganfall ist

Dabei gibt es mehrere Probleme: Zuallererst ist es am Anfang einer „TIA“ natürlich überhaupt nicht klar, ob die Symptome nach 24 Stunden vollständig weg sein werden. Ein Grund, den Schlaganfall sehr ernst zu nehmen. Zweitens tut ein Schlaganfall – ob klein oder groß – nicht weh, das schmerzende Warnzeichen fehlt. Die Versuchung, einfach bis zum nächsten Morgen oder ähnlich abzuwarten, ist entsprechend groß. Und drittens besteht das Risiko eines weiteren Schlaganfalls in den nächsten Stunden, Tagen und Wochen.

Und genau dieses Risiko kann man mittlerweile sehr gut reduzieren. So weit, dass nach etwa drei Jahren das Risiko eines erneuten Schlaganfalls nicht mehr erhöht ist. Das setzt aber eine entsprechende Behandlung voraus: Wenn der Schlaganfall eindeutig diagnostiziert ist, werden meist – je nach Schwere des Falls – Medikamente zur „Blutverdünnung“ gegeben (wir hatten an dieser Stelle darüber geschrieben). Darüber hinaus wird der Blutdruck engmaschig überwacht, der Blutfettwert eingestellt, ein Vorhofflimmern des Herzens ausgeschlossen – oder gegebenenfalls behandelt. Das alles setzt aber voraus, dass Arzt und Patient sich des Risikos bewusst sind.

Der Vorschlag der beiden Neurologen ist ungewöhnlich – auch weil der Begriff TIA sich seit einem halben Jahrhundert etabliert hat. Und weil Mediziner komplizierte, schwer verständliche Begriffe lieben – gern mit lateinischer oder griechischer Wurzel. Aber oft wäre ein verständlicher Begriff besser. Und der „kleine Schlaganfall“ (auf Englisch „minor stroke“) benennt zumindest eindeutig, worum es sich handelt. Und dass er nicht zwangsläufig „transient/ vorübergehend“ sein muss. Wir werden jedenfalls ab sofort von einem kleinen Schlaganfall sprechen – ohne Anführungsstriche.