Beginnt das Jahr in der Notaufnahme, ist das ein richtig mieser Start. Doch manchmal zünden Böller nicht wie gewollt. Wichtiges Wissen für den Notfall.
Erste Hilfe an SilvesterAbgesprengter Finger, an Rakete verbrannt – so müssen Sie dann handeln
Die Feuerwerksbatterie bleibt nach dem Anzünden stumm. Einmal kurz über den Kasten beugen und nachschauen? Das kann wortwörtlich ins Auge gehen, wenn der erste Schuss doch zündet. „In solchen Situationen entstehen häufig so schwere Verletzungen, dass das Augenlicht nicht gerettet werden kann“, sagt Luisa Backhaus, Unfallchirurgin vom Unfallkrankenhaus Berlin.
Tückisch: Explodiert Feuerwerk zu nah am Körper, bleibt es meist nicht nur bei einer einzigen Verletzung. Zum Beispiel dann, wenn jemandem eine Rakete in die Kapuze fliegt und die Haare in Brand setzt. „Es kann sich ein Feuerschweif bilden, der zu verheerenden Verbrennungen im Kopf-Hals-Bereich führt“, so Backhaus.
Gut möglich, dass eine sogenannte Schmutz-Tätowierung dazukommt. „Wenn ein Knallkörper am Körper detoniert, dringen Partikel – wie bei einer Tätowierung – in tiefere Hautschichten ein“, beschreibt Luisa Backhaus. Auch das Gehör oder eben die Augen können bei so einem Unfall schwere Schäden nehmen.
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Erste Hilfe bei abgesprengtem Finger
Ein weiterer typischer Fall: Der Böller ist in der Hand oder ganz nah an ihr explodiert. Wer Glück hat, kommt mit dem Schrecken davon. Wer Pech hat, muss um einen Finger oder gar Teile der Hand bangen, weil sie abgesprengt wurden.
Lässt sich das Amputat, wie der abgetrennte Körperteil in der Medizin heißt, retten? Das können nur die Profis beurteilen. Macht man sich also auf den Weg ins Krankenhaus, muss auch der abgesprengte Finger mit, „wenn man ihn denn in der Dunkelheit finden konnte“, sagt Andreas Ruecker. Er ist Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Wiederherstellungschirurgie der Schön Klinik Rendsburg.
„Der Finger muss trocken transportiert werden“, sagt Unfallchirurgin Backhaus. Das funktioniere im Optimalfall so: Das Amputat wird in ein sauberes Tuch gewickelt und in eine Plastiktüte gelegt, die anschließend fest verschlossen wird. Dieser Beutel wird dann in einen zweiten Beutel gelegt, der mit Wasser und Eis gefüllt ist und der dann für den Transport ebenfalls verschlossen wird.
Die Wunde an der Hand sollte Backhaus zufolge mit sauberem Verbandszeug abgedeckt werden. Ist das nicht griffbereit, tut es auch ein sauberes Stofftaschentuch.
Eine Chance, den abgetrennten Finger zu erhalten, gibt es dann, wenn die Ärztinnen und Ärzte sowohl am Stumpf als auch am Amputat Arterien, Venen und Nerven finden – und wieder zusammenbringen können. Das ist laut Andreas Ruecker aber nur selten der Fall: „Meist sind die Wundränder verbrannt und durch den Explosionsdruck so zerfetzt, dass eine Rekonstruktion nicht möglich ist. Anders als bei einem glatten Schnitt wie etwa mit einer Axt.“
Bei Verbrennungen: nicht zu stark kühlen
Und was, wenn die Rakete gegen den Arm geflogen ist? Bei eher kleinflächigen Brandwunden gilt: „Besser nicht mit eiskaltem Wasser oder einem Kühlpack kühlen, sondern mit etwa 20 Grad warmem Wasser. Und das auch nur für maximal fünf Minuten“, sagt Luisa Backhaus. Dann die Brandwunde sauber abdecken und ab ins Krankenhaus.
Und bei großflächigen Verbrennungen, also wenn ein ganzer Arm oder der Brustkorb betroffen sind? „Dann sollte man nicht auf die Idee kommen, die Person kühl abzuduschen“, warnt Luisa Backhaus. „Besser ist es, sie in eine Rettungsdecke aus dem Verbandkasten einzupacken.“
Der Grund: Die Haut ist eine Schutzschicht, die uns umgibt. Hat sie großflächige Schäden, kann der Körper die Wärme schlechter halten. Es drohen Unterkühlungen, gerade in kalten Winternächten.
Apropos einpacken: Ersthelfer sollten bei einer großflächigen Verbrennung nicht zu viel Zeit und Mühe darauf verwenden, die Brandwunden einzupacken, rät Backhaus. Denn die Medizinerinnen und Mediziner müssen sich die Wunden ohnehin noch anschauen.
Bei Augen- und Ohrenverletzungen gilt übrigens: abdecken, am besten mit einer sterilen Kompresse, wie Notfallkoffer oder Verbandskästen sie enthalten. „Und dann in die Klinik fahren“, sagt Ruecker.
Silvester-Lärm schlägt auf die Ohren: Knalltrauma vorbeugen
Ab einer anhaltenden Lärmbelastung von 80 Dezibel kann unser Gehör Schaden nehmen. Das ist ein Wert, den Böller, Raketen und Co. schnell überschreiten, Feuerwerkskörper der Kategorie F2 dürfen in acht Metern Entfernung sogar einen Schallpegel bis zu 120 Dezibel erreichen. Zur Einordnung: Eine Blaulichtsirene kommt auf etwa 110 Dezibel.
„Plötzliche laute Geräusche können ein sogenanntes Knalltrauma verursachen“, sagt Eberhard Schmidt. Dabei wirkt kurzer, starker Schalldruck auf unser Gehör ein. Genauer gesagt: auf die feinen Sinneshärchen, die den Schall in ein elektrisches Signal umwandeln.Die Schäden, die dort bei einem Knalltrauma entstehen, können zu verschiedenen Beschwerden führen: zu schlechterem Hören etwa oder zu einem wattigen Gefühl im Ohr – auch über die Silvesternacht hinaus.
„In den meisten Fällen erholen sich die Haarzellen nach einer gewissen Zeit wieder, aber in manchen Fällen kann der Hörschaden auch anhalten“, sagt Schmidt. Einen Besuch beim HNO-Arzt oder bei der HNO-Ärztin sollte man dann nicht zu lange aufschieben.
Es gibt aber auch Fälle, die man so schnell wie möglich medizinisch abklären lassen sollte. Und zwar, wenn der Verdacht eines Explosionstraumas besteht. Dabei kommt es zu starken Schäden im Ohr, oft reißt das Trommelfell, auch das Gleichgewichtsorgan kann verletzt sein. Typische Symptome für ein Explosionstrauma sind neben einer Hörminderung und Ohrgeräuschen auch Gleichgewichtsstörungen wie Schwindel. Auch wenn es aus dem Ohr blutet, ist das ein Warnzeichen.
„Die Erstversorgung im Krankenhaus ist, dass das Trommelfell notfallmäßig geschient wird und eine Therapie mit Cortison beginnt“, sagt Luisa Backhaus von Unfallkrankenhaus Berlin. Heilt das Trommelfell dadurch nicht wieder zusammen, braucht es eine Operation. „Trotzdem ist es häufig so, dass Schwerhörigkeit bleibt und ein Hörgerät notwendig wird.“Wer sein Gehör davor bewahren will, setzt also spätestens um Mitternacht einen Gehörschutz ein. Die typischen Ohrstöpsel aus Schaumstoff können Lärm um rund 20 Dezibel senken, so Eberhard Schmidt – wenn sie denn korrekt sitzen.
Einfach schlafen gehen? Meist keine gute Idee
Viele Feuerwerksunfälle sind Notfälle, die möglichst schnell behandelt werden müssen. Doch nicht jeder, der sofort ins Krankenhaus müsste, macht sich auch auf den Weg dorthin oder wählt den Notruf 112.
„Wir erleben oft, dass Patienten sich in der Silvesternacht verletzen, aber so betrunken sind, dass sie sich ins Bett legen und erstmal schlafen“, sagt Andreas Ruecker. Und dann beim Aufwachen merken: Moment, hier stimmt etwas nicht. „Gegen 11 Uhr am Neujahrsmorgen kommt dann die zweite Welle an Patienten.“
Das Problem daran: Wenn Verletzungen zum Teil schon viele Stunden alt sind, wird ihre Behandlung schwieriger. Laut dem Notfallmediziner dürfen Platzwunden nicht mehr ohne weiteres genäht werden, wenn sie älter als sechs Stunden sind – zu hoch ist die Infektionsgefahr.
Sicher hantieren mit Feuerwerk
Wie kann man vorbeugen und dafür sorgen, dass solche Verletzungen gar nicht erst zustande kommen? Klar, der beste Schutz ist, auf Raketen und Böller zu verzichten. Doch nicht jeder will kurz nach Mitternacht in sicherer Entfernung zum Geschehen auf dem Sofa bleiben.
Die Sicherheit beim Knallen kann erhöhen, wenn man Feuerwerkskörper benutzt, die nicht in der Hand gezündet werden müssen, Raketen zum Beispiel. Steht die Flasche als Startblock jedoch nicht stabil, kann die Rakete allerdings in Menschenmengen sausen. Rueckers Tipp lautet daher: die Flasche in eine Getränkekiste stellen oder leicht eingraben. Eine weitere Sicherheitsregel: „Feuerwerkskörper nicht am Körper tragen, sich also auch nicht die Jackentaschen damit vollstopfen“, warnt Andreas Ruecker. Und natürlich: Bei Knallern und Raketen, die nicht gezündet haben, keinen zweiten Versuch wagen – und auch Kinder und Jugendliche dafür sensibilisieren.
Alkohol als Risikofaktor
Klar, das Glas Sekt um Mitternacht gehört für viele dazu. Wer verantwortungsvoll Feuerwerk zünden möchte, sollte an Silvester aber nicht zu tief ins Glas schauen. Mit Alkohol steigt das Verletzungsrisiko. „Alkohol führt zu Enthemmung und oft auch dazu, dass Menschen unvorsichtiger mit Sprengkörpern umgehen. Man müsste eigentlich sagen: Wenn jemand getrunken hat, dann sollte er oder sie die Finger von Feuerwerk lassen“, so Backhaus. (dpa)