AboAbonnieren

Alleine gelassen im HomeofficeWie wir an der Arbeit von zu Hause verzweifeln

Lesezeit 8 Minuten
223145025

Viele Eltern müssen derzeit Home Office und Kinderbetreuung gleichzeitig stemmen. 

So gestresst wie heute, sagt Nora Friedrichs, war sie zuletzt im Referendariat. Die junge Lehrerin und Mutter zweier kleiner Söhne kämpft mit reduzierten Stunden im Kindergarten, Homeoffice bei gleichzeitiger Kinderbetreuung und bisher vier Quarantänen. Anne Farber, ebenfalls Mutter zweier Kinder, brach irgendwann in Tränen aus, als sie Fehler in einer von ihr geschriebenen Pressemitteilung entdeckte. Nach einem Jahr Pandemie und Homeoffice stoßen viele Arbeitnehmer an ihre Grenzen: Einige Mitarbeiter leiden unter Einsamkeit, Eltern brechen unter der Doppelbelastung von Arbeiten und Homeschooling zusammen. Was hilft, wenn die Erschöpfung zu viel wird? Betroffene berichten und ein Psychologe gibt Antworten.

„Es ging nicht anders“, sagt Nora Friedrichs, die eigentlich anders heißt. An einem weiteren Tag im Home Office gab die Lehrerin ihren Schülern Arbeitsaufträge, legte ihr Handy mit der Teams-Besprechung ins Auto, setzte ihren vierjährigen Sohn auf den Rücksitz und fuhr ihn in den Kindergarten. Sie kam gerade rechtzeitig zuhause an, um mit ihren Schülern die Arbeitsergebnisse zu besprechen. „Es hat tatsächlich keiner gemerkt“, sagt Friedrichs und muss bei der Erinnerung doch kurz lachen.

Dabei findet sie ihre Situation eigentlich gar nicht witzig: Der Kindergarten hat wegen Corona seine Stunden reduziert und öffnet erst um acht, nicht um sieben – ihr Unterricht beginnt jedoch um 7.30 Uhr. Meistens kann ihr Mann die Kinder vor der Arbeit bei der Tagesmutter und dem Kindergarten abgeben, immer klappt das nicht. Es ist einer von vielen Punkten, der seit einigen Monaten ihre Nerven strapaziert.

Entscheidungen des Ministeriums fallen zu kurzfristig

In der ersten Corona-Welle war der Spagat für Friedrichs nicht ganz so groß: Bis Sommer war sie noch in Elternzeit, ihr jüngster Sohn wird erst im Juni zwei Jahre alt. An einem Nachmittag im folgenden Winter saß sie auf dem Sofa ihres Wohnzimmers und guckte sich die Pressekonferenz des Bildungsministeriums an, als Ministerin Gebauer sagte: Nach den Weihnachtsferien gehen alle Schulen in den Distanzunterricht. „Das war schon schockierend“, sagt Friedrichs – eine Kehrtwende vom Kleinreden der Ansteckungsgefahr in Schulen, findet sie. Erst war sie beruhigt, nicht mehr jeden Tag vor vollen Klassen stehen zu müssen.

Doch die Informationspolitik sei „eine Katastrophe“: Noch eine Woche Distanzunterricht oder geht es zurück in die Klassenräume? Die Entscheidungen, sagt Friedrichs, fallen oft sehr kurzfristig. „Es wird erwartet, dass jemand zu Hause nur darauf wartet, sich um die Kinder zu kümmern.“ Während Nora Friedrichs Nachmittagsunterricht gibt, schaltet sie für ihren vierjährigen Sohn den Fernseher an. Anders geht es nicht.

„Ich merke, dass ich super dünnhäutig bin“

Nebenbei musste die junge Familie vier Quarantänen innerhalb von drei Monaten stemmen: Zweimal war es der Kindergarten, dann infizierte sich die Tagesmutter ihres Sohnes, schließlich musste auch ihr Mann in Quarantäne. „Meine Chefin war – vorsichtig gesagt – gar nicht amüsiert“, sagt Friedrichs.

Jede neue Woche kommt wie ihr vor wie eine Prüfung - so gestresst sei sie zuletzt während dem Referendariat gewesen. Die 36-Jährige nahm fünf Kilo zu, auch an ihren Hautproblemen zeigt sich der Stress. „Ich merke auch, dass ich super dünnhäutig bin“, sagt Friedrichs. „Da kommt irgendeine Situation und ich rege mich furchtbar auf und werde auch mal laut. Dann stehe ich da und denke: Das wäre dir vor eineinhalb Jahren nicht passiert.“ Auch nach Feierabend wartet keine Erholung. Die Osterferien verbrachte die Familie gemeinsam zuhause, den quengelnden Sohn, der unbedingt in den Zoo wollte, mussten sie vertrösten.

Psychologe: „Kinder haben eine Erwartungshaltung an ihre Eltern“

„Home Office und dabei laufen einem die kleinen Kinder zwischen den Füßen herum – das ist ein ziemlicher Stressor“, sagt Christian Albus, Direktor der Psychosomatik und Psychotherapie an der Uniklinik Köln. Eltern müssen im Home Office Multitasking-Aufgaben erfüllen, die ihnen vorher nie begegnet sind. „Kinder haben eine gewisse Erwartungshaltung an ihre Eltern und verstehen nicht, wieso sie nur auf ihrem Zimmer sein sollen“, sagt der Psychologe. Also nutzen die Kinder die Anwesenheit der Eltern, zumal sie sich selbst langweilen. Keine oder weniger Stunden im Kindergarten, keine Schule, keine Musikschule – nicht nur die Eltern kämpfen mit Stress und Frust, ihre Kinder häufig auch. Eine schwierige, manchmal explosive Kombination.

„Kinder wünschen sich – und das ist in der Regel auch so – dass ihre Eltern sich freuen, wenn sie zu ihnen kommen“, sagt Albus. Gerade die Kleinsten können nicht verstehen, wieso ihre Eltern immer häufiger mit einer gereizten Mine ins Zimmer treten. Sie werden noch gestresster, noch fordernder, noch klammernder. „Dann entsteht ein Teufelskreis zwischen Kindern, die sich zurückgewiesen fühlen und zunehmend gereizten Eltern“, sagt Albus.

Der Psychologe schlägt deshalb Strukturen bei betroffenen Familien vor: Die Eltern dürfen zwei Stunden in Ruhe arbeiten, dann folgt eine Spielepause mit den Kindern. Dafür brauchen die Eltern jedoch auch verständnisvolle Arbeitgeber. Kleinkinder sind für solche Strukturen zu jung, während Grundschulkinder eher verstehen, dass ihre Eltern konzentriert arbeiten müssen.

„Eine enorme Belastung“

Mit ihrer Dünnhäutigkeit ist Nora Friedrichs nicht alleine: „Man fährt leichter aus der Haut“, sagt Anne Farber, die ebenfalls anders heißt. Ihre Kinder gehen in die Grundschule, eines in die zweite Klasse, das andere in die dritte. „Die Kinder haben morgens einen Erzählkreis, den Rest des Unterrichtsstoffes müssen wir mit ihnen machen“, sagt die 44-Jährige. „Es ist schon eine enorme Belastung.“ Normalerweise arbeitet sie sechs Stunden täglich, mittlerweile schreibt sie häufig nur vier Stunden auf. Mit zwei Kindern im Home Office, sagt Farber, pendelt man stets von einem Kind zum anderen.

Da war zum Beispiel der Tag, an dem Sie eine Pressemitteilung herausschicken wollte. Sie telefonierte viel mit dem Büro, schickte Korrektur-Versionen hin und her. Dann kamen die Kinder wieder zu ihr und Farber vergaß, auf Speichern zu drücken. „Also habe ich eine fehlerhafte Pressemitteilung herausgeschickt, wo Rechtschreibfehler drin waren“, sagt Farber. „Das war natürlich nicht sehr professionell.“ Sie fing an zu weinen, rief ihre Chefin an um sich zu entschuldigen. Doof gelaufen, sagte die Chefin. Aber kann passieren. Zuhause, sagt Farber, könne sie sich nur schlecht auf die Arbeit konzentrieren. Wenn ihr Mann sich um die Kinder kümmern kann, fährt sie deshalb ins Büro.

Das könnte Sie auch interessieren:

Anne Farber schläft heute deutlich schlechter als vor der Pandemie, genau wie ihre Kinder. „Sie sind viel anhänglicher geworden“, sagt Farber. „Die Kinder brauchen viel mehr Liebe, Zuwendung und Kuscheleinheiten.“

Kurze Gespräche mit Kollegen fehlen

Natürlich belastet das Home Office nicht nur Eltern mit Kindern. Die Arbeitsstruktur gibt uns allen einen Tagesrhythmus: Morgens verlässt man das Haus und geht zur Arbeit, dort trifft man auf Kolleginnen und Kollegen. Hier ein kurzer Plausch in der Kaffeeküche, da ein gemeinsames Mittagessen – es sind gerade die kleinen Intermezzi mit Kollegen, sagt Albus, die derzeit fehlen. „Man kann nicht generell sagen: Home Office ist schädlich“, sagt der Psychologe. „Manche Menschen finden das Home Office durchaus attraktiv.“ Wie gut man mit dem Home Office klarkommt, sei jedoch Typsache.

Menschen mit einer hohen Resilienz, die sich gut selbst strukturieren können, haben weniger Probleme mit der Arbeit am heimischen Schreibtisch. Trotzdem müssen auch sie ihre Bedürfnisse nach sozialen Kontakten erfüllen können. „Situationen sozialer Isolation sind einfach schädlich“, sagt Albus. „Es fehlt dann ein starker seelischer Schutzfaktor.“ Je länger die Pandemie andauert, desto mehr Menschen erleben die Einschränkungen als erheblichen Stressor.

Psychisch vorbelastete Menschen leiden besonders stark unter der Heimarbeit. „Eine Reihe von Patienten, die wir vorher erfolgreich behandelt haben, sind während der Covid-Pandemie psychisch dekompensiert“, sagt Albus. Nach über einem Jahr Pandemie fehlen die Treffen mit Kollegen und Freunden, ein einfaches Abendessen außer Haus, Kinobesuche. Dazu kommt die Sorge vor dem Virus: Schutzfaktoren fallen weg, während die Belastung steigt. Von den Menschen wird Flexibilität verlangt, gleichzeitig klammern sich viele von ihnen an geregelte Tagesstrukturen wie an einen Rettungsring. Einige Patienten der Uniklinik berichten von Erschöpfung: Es fällt ihnen von Tag zu Tag schwerer, die die Alltagsstrukturen aufrecht zu erhalten.

Arbeitsplatz sollte möglichst „clean“ sein

Albus empfiehlt Arbeitgebern deshalb, möglichst viel Kontakt zu ihren Mitarbeitern über Videokonferenzen zu halten. Arbeitssituation und Freizeit sollten zudem strikt getrennt sein: „Das Mittagessen kriegt einen ganz anderen Charakter, wenn auf dem Esstisch der Laptop und die Arbeitsunterlagen liegen“, sagt der Psychologe. Auch im Home Office sollte man stets zur selben Uhrzeit anfangen und nachmittags den Computer herunterfahren. Nach Feierabend heißt es: Raus aus der Wohnung, spazieren gehen, Sport machen, vielleicht ein Treffen mit der besten Freundin oder dem besten Freund. Mit dem Partner, schlägt Albus vor, könnte man klare Absprache treffen, wann Beziehungszeit ist und wann Arbeitszeit.

Auch die Ablenkung im Home Office kann gefährlich sein. „Man sieht, auf dem Fensterbrett ist es unordentlich. Dann räume ich eben ein bisschen auf.“ Das kennt jeder, sagt Albus. Am Nachmittag, mit Blick auf ein frisch geputztes Fensterbrett mit gegossenen und Pflanzen, schleicht sich das schlechte Gewissen ein. Man hängt die Arbeitszeit hinten dran, der Feierabend rückt weiter in die Ferne. Albus rät deshalb, den Arbeitsplatz möglichst „clean“ zu gestalten: Das Sofa, von dem aus der Fernseher fest im Blick ist, bei laufender Musik im Hintergrund eignet sich schlecht zum Arbeiten.

Nora Friedrichs würde vor eines helfen: Sie wünscht sich Planbarkeit. Selbst eine ehrliche Aussage wie: „Die Infektionslage ist diffus, wir gehen jetzt bis weiteres in den Distanzunterricht. Ob das eine Woche oder ein Monat ist, können wir nicht sagen“ fände sie großartig – dann könnte sie sich wenigstens auf eine gewisse Zeit Home Office einstellen. „Und ich muss gestehen: Ich hätte in den Osterferien gerne ein paar Stunden gehabt, wo alle aus dem Haus gewesen wären. Das ist meckern auf hohem Niveau, aber das gibt es gar nicht mehr.“