Angst, Wut, SelbsthassWie sehr uns Verletzungen aus der Schulzeit bis heute prägen
- Zu schlau, zu dick, zu uncool – Verletzungen, die wir in der Pubertät erlebt haben, beeinflussen unser Verhalten noch als Erwachsene.
- Die Diplom-Psychologin Julia Tomuschat weiß: Um als Erwachsene zufrieden zu sein, müssen wir Verletzungen aus der Pubertät heilen.
- In ihrem Buch zum Thema widmet sie sich dem „inneren Teenager“ und erklärt, wie wir uns mit Erlebnissen aus der Vergangenheit versöhnen.
Köln – Was würden Sie sagen, wie Ihre Teenagerzeit war? Aufregend? Schrecklich? Peinlich? Voller Demütigungen und Scham? Würden Sie am liebsten alles vergessen oder erinnern Sie sich gerne an diese intensiven Jahre zurück? Unabhängig von der Antwort steht fest: Die Pubertät ist eine der aufregendsten und prägendsten Zeiten in unserem Leben. Vieles von dem, was wir in dieser Zeit erlebt haben, beeinflusst auch unser Verhalten als Erwachsene – manchmal sogar mehr, als uns lieb ist.
Die Diplom-Psychologin Julia Tomuschat hat dem „inneren Teenager“ jetzt ein ganzes Buch gewidmet. Sie ist davon überzeugt, dass wir nur dann als Erwachsene Zufriedenheit finden, wenn wir Verletzungen aus der Pubertät heilen und uns mit dem inneren Teenager versöhnen.
Die Pubertät bringt intensive Emotionen in jede Richtung
Die Zeit des Erwachsenwerdens, die die Autorin zwischen zwölf und 24 ansetzt, verbindet das Kind, das wir einmal waren, mit dem Erwachsenen, der wir heute sind. Die Erinnerung an diese Zeit bringt häufig unangenehme Gefühle wie Wut und Demütigung mit, aber auch die Sonnenseiten der Jugend wie Ausgelassenheit, Freude und Lebenslust. Tomuschat ist deshalb überzeugt: „Wer den inneren Teenager kennt und ihm einen Platz im Erwachsenenleben einräumt, fühlt sich ausgeglichener und lebendiger." Das gilt besonders für Eltern. Denn nur, wenn sie ihre eigene Pubertät aufgearbeitet haben, können sie ihre Kinder gut durch diese Zeit begleiten.
Wenn der innere Teenager das Kommando übernimmt
Wenn wir Erfahrungen aus unserer Jugend nicht richtig verarbeitet haben, kann es passieren, dass wir auch als Erwachsene noch Rückfälle in pubertäres Verhalten haben. Dann tritt der innere Teenager auf den Plan.
Dieser innere Teenager ist der Persönlichkeitsanteil in uns, der in der Jugend geprägt wurde und der uns im Erwachsenenleben immer mal wieder dazwischen funkt. Das kann sowohl auf positive als auch auf negative Weise geschehen. Er kann uns zum Beispiel daran erinnern, dass uns intensive, ausgelassene und lebenslustige Momente im durchgetakteten Erwachsenenleben allzu oft zwischen den Alltagspflichten verloren gehen. Er erinnert uns auch an die Sehnsüchte und Wünsche, die wir mal hatten.
In der Teenagerzeit erleben wir aber auch Verletzungen und Kränkungen, die unser heutiges Verhalten als Erwachsene beeinflussen können. Wenn wir uns als Erwachsene missachtet oder nicht wertgeschätzt fühlen, kann uns das an ähnliche Situationen in der Jugend erinnern und wie ein Trigger wirken, der uns zurück katapultiert. Situationen, in denen der innere Teenager agiert, erkennen wir oft daran, dass sie uns im Nachhinein peinlich sind. Die Auslöser oder Trigger für dieses Verhalten müssen wir uns bewusst machen, um damit besser umgehen zu können.
Typische Verhaltensmuster aus der Teenagerzeit sind:
- zu brav bleiben
- übermäßige Anpassung
- Rebellentum
- Verweigerung
- Spaß-Sucht
- Verantwortungslosigkeit
- Angst vor Autoritäten
- Sorgen, ob man der Rolle als Mutter oder Vater überhaupt gewachsen ist
- Schwierigkeiten, sich festzulegen
- auch als Erwachsener nicht wissen, wer man ist
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In den Jugendjahren stellen wir die Weichen für unser weiteres Leben und sind mit unserer eigenen Identität konfrontiert. Die Ich-Findung ist ein Prozess, der sich über Jahre erstreckt und außerdem so fragil ist, dass wir manchmal in unserer Ich-Entwicklung stecken bleiben.
Es gibt drei Symptome einer blockierten Ich-Entwicklung:
1. Wir bleiben in der Rolle des lieben und braven Kindes gefangen. Dieser Typ verspürt tendenziell Angst, Besorgnis und Druck. Ein Beispiel wäre eine längst erwachsene Frau, die sich nicht von ihren Eltern lösen kann und immer noch versucht, es ihnen recht zu machen. 2. Wir verharren in der Rolle des Rebellen und sind ständig im Angriffsmodus. Vorherrschende Gefühle sind hier Frust, Wut und Ärger. Ein beispiel wäre der längst erwachsene Mann, der bei der Arbeit auf unangemessene Weise mit seinem Chef aneinander gerät, weil er sich nicht ernst genommen fühlt. 3. Wir finden uns nicht selbst und irren als ewige Selbstsucher durchs Leben. Dieser Typ leidet unter Verwirrung und Unsicherheit, manchmal auch Depressionen. Zu diesem Beispiel passen Menschen, die ständig ihre Berufe, Wohnorte und Freunde wechseln und einfach nicht wissen, was sie wollen.
Viele Menschen möchten die Erinnerung an ihre Jugend am liebsten verdrängen. Doch durch das Verdrängen von schlechten Erinnerungen wird ein Teil unserer Persönlichkeit ins Unbewusste verlagert. Das Problem: All die weggeschobenen Kränkungen werden sich wieder Bahn brechen, vor allem dann, wenn wir erschöpft sind. Die verdrängten Anteile unserer Persönlichkeit, die unser jetziges Leben dennoch beeinflussen, nennt man Schatten.
Ein Schatten wird häufig dadurch erkennbar, dass wir bei bestimmten Themen besonders emotional reagieren. Schatten können sich aber auch durch ein diffuses Unwohlsein bemerkbar machen oder dadurch, dass wir uns schlapp und antriebslos fühlen. Ein guter Umgang mit den Schatten gelingt, wenn man sie sich bewusst macht, versteht, wodurch man geprägt wurde und plant, wie man zukünftig in emotionalen Situationen reagieren möchte.
Versöhnung mit dem inneren Teenager in drei Schritten:
Statt wegzuschauen und zu verdrängen sollten wir uns mit unserer Jugendzeit aussöhnen. Das kann in drei Schritten gelingen:
Selbstanalyse
Es geht darum, das Schattenmuster aufzuschlüsseln und zu beschreiben, wie man tickt, wenn der innere Teenager von einem Besitz ergriffen hat. In welchen Momenten unseres Lebens verhalten wir uns so? Das ist nicht immer schmeichelhaft, lohnt sich aber, weil man sich so selbst besser versteht.
Den Schatten heilen
Dazu begibt man sich auf die Suche nach dem Ursprung der Wunde und verzeiht sich selbst und anderen. Schreiben Sie auf: Wann wurden Sie verwundet? Was haben Sie erlebt? Wo ist das passiert? Was genau hat Sie verletzt? Wer war daran beteiligt? Nicht verdaute und abgespaltene Erlebnisse aus der Pubertät mit all ihren bisherigen Auswirkungen bekommen einen Platz in der Biografie. Dadurch, dass man sich selbst verzeiht, wird Heilung möglich.
Die Zukunft ausmalen
Im letzten Schritt bereitet man sich ganz konkret auf zukünftige Gegebenheiten vor und überlegt sich, wie man sich beim nächsten Trigger verhalten möchte. Alte Glaubenssätze sollen erkannt und entmachtet werden. Beispiele: Statt: „Ich darf keine Fehler machen“: „Ich mache es, so gut ich kann“. Statt: „Jeder Tag ist ein Kampf“: „Jeder Tag ist eine neue Chance“. Statt: „Ich weiß nicht, was ich will“: „Ich finde meinen Weg.“
Wollen wir uns nicht mehr wie ein Teenager verhalten, benötigen wir für die Zukunft einen Gegenentwurf. Das neue Verhalten sollte so konkret wie möglich beschrieben werden: Was wollen Sie tun oder sagen? Woran merken Sie selbst, dass Sie sich anders verhalten? Woran merken es andere?
Wenn das alles gelingt, haben Sie die Chance, die guten Seiten der Pubertät zu genießen und sich zugleich wie ein Erwachsener zu verhalten.