Die südkoreanische Netflix-Miniserie „Squid Game“ bricht Zuschauerrekorde, ist aber gerade auch aus anderen Gründen in aller Munde. Denn obwohl sie erst ab 16 Jahren freigegeben ist, kennen auch bereits Kita- und Grundschulkinder die extrem brutalen Szenen der Serie und spielen sie sogar nach. Wie schlimm sind die Inhalte der Serie und wie sollten Eltern damit umgehen?
Was ist „Squid Game“?
In der 9-teiligen Miniserie „Squid Game“ treten 500 hoch verschuldete Menschen in scheinbar harmlosen Kinderspielen gegeneinander an, in der Hoffnung, ein millionenschweres Preisgeld zu gewinnen. Wer bei einem Spiel ausscheidet, wird brutal getötet. In Südkorea wird die Serie auch wegen ihrer Gesellschaftskritik gefeiert.
Wie groß ist der Hype?
Mit über 142 Millionen Zuschauern weltweit ist „Squid Game“ die bislang erfolgreichste Netflix-Serie aller Zeiten. Es gibt eine „Squid Game Challenge“ auf TikTok und mehrere Online-Games. Kölner Kostümhändler berichteten, dass die Overalls aus der Serie der Verkaufsschlager der Karnevals-Session sind. Einige Schulen in den USA verboten die Kostüme bereits, um keine Gewalt zu schüren. Beim Nachspielen der Szenen aus „Squid Game“ sind in Australien jüngst fünf Kinder mit Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert worden.
„Es gibt verschiedene Aspekte, die Kinder an ‚Squid Game‘ begeistern“, sagt Iren Schulz von der Initiative „Schau hin!“. Es gehe darum, der eigenen Angstlust nachzugeben und auszuprobieren, wo die eigenen Grenzen liegen. „All das gehört zum Heranwachsen dazu, das hat es schon immer gegeben“, erklärt die Medienexpertin, „heimliche Dinge zu tun, mit Freunden zusammen etwas zu schauen, was die Eltern nicht wissen dürfen oder sie zu schockieren.“ Es gehe dabei auch um die Zugehörigkeit in der Gruppe Gleichaltriger. „Die Kinder wollen mitreden können und auch zu den Starken und Krassen gehören.“ Dabei fänden viele diese brutalen Inhalte in Wahrheit gar nicht gut sondern grausig.
Auch die Art und Weise, wie „Squid Game“ gemacht sei, spiele eine Rolle. „Die Serie ist in einer asiatischen Manga-Ästhetik inszeniert, mit Elementen des K-Pop, was bei jungen Leuten gerade sowieso im Trend liegt.“ Außerdem sei sie vom Aufbau her vermeintlich einfach, plakativ und klar gestrickt, ohne komplexe Handlungsstränge. „Junge Zuschauer denken dann zunächst ‚ach, die spielen ja das Gleiche wie wir!‘ – doch genau dadurch wirkt die explizite drastische Gewalt dann umso grausamer.“
Warum ist es problematisch, wenn Kinder diese Serie sehen?
Kinder könnten je nach Alter mit medialen Angeboten mehr oder weniger gut umgehen und sie verstehen, so Schulz, deshalb gebe es in Deutschland ja auch die Altersfreigaben für Filme und Computerspiele. Die Frage sei dabei immer, was wird für eine Art Gewalt gezeigt und wie ist sie inszeniert werde. „Bei ‚Tom & Jerry‘ hauen sich die Protagonisten auch die Köpfe ein, aber man sieht kein Blut und keiner leidet, bei Märchen gibt es immer ein Happy-End.“ Aber all das gebe es bei „Squid Game“ nicht. „Es wird wahllos geschossen, das Blut spritzt, die Leute sterben, während die Kamera draufhält. Es ist eine menschenverachtende Inszenierung. Das ist für Kinder hochgradig verstörend.“ Bei ihnen könne das Schlafstörungen und Angstzustände auslösen. „Auch noch bei Jugendlichen stellt sich die Frage, welches Welt- und Gesellschaftsbild in dieser Serie gezeigt wird und was das mit ihnen macht.“
Sollten Eltern ein „Squid Game“-Verbot aussprechen?
„Bei dieser Serie finde ich es wichtig, dass Eltern von Kindern im Grundschulalter eine klare Position haben und ein Verbot aussprechen, da gibt es eigentlich nichts zu verhandeln“, sagt Iren Schulz. „Sie sollten zum Kind sagen: ‚In dieser Serie passieren Sachen, die sind für Kinder nicht geeignet und können dir schwer zu schaffen machen.‘“ Bei älteren Kindern sollten Eltern mit solchen Ansagen flexibler sein, sie selbst könnten am besten einschätzen, wie sensibel ihr Kind sei und welche Inhalte es aushalte. „Diese Serie aber finde ich selbst für 13- oder 14-Jährige noch schwierig.“
Falls Kinder bereits Ausschnitte aus der Serie gesehen hätten, müssten Eltern unbedingt mit ihrem Kind darüber reden. „Gespräche über Medien können vieles an Verstörung auffangen und auflösen.“
Können Eltern überhaupt verhindern, dass Kinder „Squid Game“ sehen?
Eltern könnten bei Netflix das Erwachsenenprofil, auf dem die Serie verfügbar sei, mit einem Passwort sperren, damit die Kinder nur Zugang zum Kinderprofil haben, erklärt Iren Schulz. „Leider gehen Inhalte und Clips der Serie gerade durch alle Social-Media-Kanäle, jeder will damit Geld verdienen. Wenn die Kinder es also nicht bei Netflix sehen, schnappen sie es irgendwo anders auf.“ Weder mit einem Verbot noch mit Technik könne man also komplett verhindern, dass Kinder es sehen. „Umso wichtiger ist es, dass Kinder mit den Eltern im Austausch bleiben und Bescheid sagen, wenn sie kritischen Inhalten begegnen.“ Grundsätzlich müsse man Kinder vorbereiten und stärken, damit sie besser damit umgehen könnten, wenn sie Zugang zu solchen Inhalten haben. „Damit sie in solch einer Situation sagen können: ‚Ich möchte das nicht sehen und weiß, dass ich deswegen meine Freunde nicht verliere‘.“
Wird der „Squid Game“-Hype überdramatisiert?
Wenn es darum gehe, dass Kinder auf dem Schulhof so etwas nachspielten, müsse man genau hinschauen, inwiefern es zu richtiger Gewalt komme, sagt Schulz. „Dass Kinder Räuber und Gendarm spielen und es mal knallt und gerempelt wird, ist ja schon immer so.“ Wichtig sei aber, dass die Schulen über das Thema informiert seien und mit den Schülern in Austausch treten oder sich einschalten könnten, falls es zu ernsten Vorfällen kommen sollte.
Die öffentliche Debatte zu „Squid Game“ sei gut und wichtig, auch um diejenigen in die Pflicht zu nehmen, die die Inhalte zum Thema aufgriffen und verbreiteten, so Iren Schulz. „Alle schlachten das Thema jetzt aus. Und ich finde, da müssten die Content-Produzenten in Social Media ihrer Verantwortung den jungen Followern gegenüber gerecht werden. Für so etwas sollte es klarere Regulierungen geben“. In anderen Fällen habe der öffentliche Druck schon mal dazu geführt, dass Anbieter reagieren mussten.