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Später NeuanfangWarum ich mit 45, Job und Kindern noch anfange zu studieren

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Wer studiert und außerdem einen Job und Kinder hat, hat immer viel zu tun.

  1. Die Katholischen Hochschule Aachen bietet bundesweit den einzigen familienkompatiblen Studiengang „Soziale Arbeit für Frauen und Männer neben der Familientätigkeit“ an.
  2. Eine 45-jährige Mutter mit zwei Kindern erzählt, wie es ist, mit Job und zwei Kindern auch noch zu studieren.
  3. Im Hörsaal sind die Kommilitonen manchmal 20 Jahre jünger und zuhause warten die Familienaufgaben.

Köln/Aachen – Manchmal sitzt Andrea (Name geändert) in Seminaren zusammen mit Studenten, die 19 oder 20 Jahre alt sind. „Da merkt man dann schon die Unterschiede. Sie sind natürlich noch in einer ganz anderen Lebensphase als ich“, sagt die 45-Jährige. „Wir im Familienstudiengang studieren nicht in den Tag hinein, sondern beteiligen uns oft und viel an den Seminar-Diskussionen, weil wir keine Hemmungen mehr und mit unserer Lebenserfahrung auch wirklich etwas zu sagen haben.“ Das finden die Studis, die frisch von der Schule kommen, manchmal etwas befremdlich.

Kompaktstudiengang speziell für arbeitende Eltern

Andrea studiert an der Katholischen Hochschule am Standort Aachen den bundesweit einzigen familienkompatiblen Studiengang „Soziale Arbeit für Frauen und Männer neben der Familientätigkeit“. Es ist ein Kompaktstudiengang, speziell ausgerichtet auf die Bedürfnisse von arbeitenden Müttern und Vätern. Jeden Freitag und Samstag ist Andrea an der Hochschule in Aachen vor Ort. Montags, dienstags und donnerstags arbeitet sie als Inklusionsbegleiterin an einer Kölner Grundschule. Mittwochs trifft sie sich zum Lernen mit anderen aus ihrer Studiengruppe. Zwischendurch kümmert sie sich um ihre zwei Kinder und den Haushalt. Ein ganz schön straffes Pensum.

Auch die Hochschule selbst gibt zu: „Das Studium verlangt von den Studierenden große Anstrengungen, da lediglich die Studienorganisation an die Lebenssituation Familie angepasst ist. Ansonsten erfüllen die Studierenden in sechs Semestern die gleichen Anforderungen und Prüfungsleistungen wie die des regulären Bachelor-Studiums.“ Nach sechs Semestern erhalten alle die staatliche Anerkennung als Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin. So zumindest ist der Plan.

„Anfangs habe ich gezweifelt, ob das klappt. Studieren neben Arbeit und den Kindern. Aber es funktioniert. Auch wenn nicht alles immer einfach ist.“ Andreas Kinder sind 14 und 12 Jahre, freitags haben sie Nachmittags-Termine und kommen etwa gleichzeitig mit ihrer Mutter nach Hause. Samstag ist in der Regel Andreas Mann zu Hause, während sie in Aachen über den Büchern sitzt. „Klar, putzen und bügeln, das geht jetzt samstags nicht mehr. Da musste ich mich umorganisieren. Mein Mann fängt zum Glück viel auf. Auch weil er weiß, wie unglücklich in meinem ersten Job war.“

Im alten Job war sie unglücklich

Vor acht Jahren hat Andrea noch als Architektin und Stadtplanerin gearbeitet. In kleinen Büros musste sie sofort Projektverantwortung übernehmen, und das war mit zwei kleinen Kindern schwierig. Schnell wurde der Mutter klar, dass sie mehr mit Menschen statt mit Gebäuden arbeiten wollte. „Ich war viel interessierter daran, wie und unter welchen Umständen Menschen leben und was sich gesellschaftlich verändern muss.“Also fing sie an im sozialen Bereich an. Zunächst als Quereinsteigerin in der Kinderbetreuung im Offenen Ganztag an einer Schule. Die Arbeit hat ihr Spaß gemacht. Aber irgendwann kam die Einsicht, dass sie nicht bis zu ihrer Rente als unqualifizierte Hilfskraft arbeiten möchte. „In der Nachmittagsbetreuung gibt es viele Quereinsteiger ohne Ausbildung. Viele machen ihren Job auch sehr gut. Aber es gibt leider genau so viele, die es nicht so gut machen. Eine qualitativ hochwertige Ausbildung finde ich sehr wichtig, für alle, die täglich mit Kindern arbeiten.“

"Die Kinder merken, dass ich zufriedener bin“

Inzwischen arbeitet Andrea als Inklusionsbegleiterin an einer inklusiven Grundschule. Durch ihr Studium hat sie so viel Wissen und Werkzeug an die Hand bekommen, dass sie künftig auch andere Positionen besetzen kann. Und was sagen ihre Kinder dazu, dass Mama mit 45 noch studiert? „Die finden das super, auch wenn sie manchmal Witze darüber machen. Sie merken, dass ich zufriedener bin, ich jetzt viel mehr Sachen zu erzählen habe, wenn wir abends über unseren Tag sprechen.“

Mama fehlt jetzt im Familienalltag

Und doch: Manchmal merken ihre Kinder, dass Andrea an den Samstagen fehlt. Zum Beispiel kurz vor Weihnachten, im Advent. Wenn die Termine sich stapeln und alle in der Familie eigentlich Sehnsucht nach Ruhe haben. Das Studium hat die Routinen und Familienstrukturen durcheinander gebracht, zumindest anfangs. „Aber die Angst vorher war größer, als es die Probleme letztendlich sind.“

Andrea hat schon einige Erstsemester im Familienstudiengang betreut und die aufkommenden Fragen sind oft ähnlich: „Wie werde ich das schaffen? Werden meine Kinder mich nicht vermissen?“ Und sie antwortet: „Es gibt immer wieder Situationen, in denen es schwierig ist. Es muss viel der anfallenden Arbeiten auf andere Köpfe verteilt werden. Aber gemeinsam als Familie schafft man das. Der neue Ablauf wird zur Routine und in der Rückschau sieht man, was man schon alles geschafft hat.“

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Der Sonntag ist seitdem Mama studiert als Familienzeit umso wertvoller geworden. Da merken alle, dass sie Zeit brauchen. Zum Ausschlafen und ganz in Ruhe zu frühstücken. Wenn dann noch zusätzliche Termine dazu kommen wie Fußballspiele der Kinder, wird es holprig. Ein Familientag zumindest zum Durchatmen muss sein. Manches hat sich aber auch seit dem Studium verbessert: Andrea hat inzwischen den Arbeitsplatz gewechselt ist jetzt nur noch an drei statt an fünf Tagen pro Woche in der Schule. Mittwochs ist ihr Lerntag, da ist sie dann sogar schon mittags zuhause.

Der normale Job steht während des Studiums im Hintergund

Die Katholische Hochschule will mit dem Familienstudiengang „der strukturellen Benachteiligung von Menschen begegnen, die Kinder zu betreuen haben und inzwischen mit großer Mehrheit zusätzlich berufstätig sind und ihnen ein fundiertes wissenschaftliches Studium ermöglichen“. Ganz klar ist dabei auch: Die Erwerbsarbeit muss in diesen drei Jahren im Hintergrund stehen. Der Studiengang ist ein Vollzeitstudium in kompakter Form, er nimmt mindestens so viel Zeit in Anspruch wie eine 50-Prozent-Arbeitsstelle.

Unter den Studierenden sind auch viele Alleinerziehende

Damit das Lernen im Alltag optimal klappt, trifft sich Andrea fast wöchentlich mit ihrer regionalen Köln/Bonner Studiengruppe. Zu fünft treffen sie sich in der Bibliothek oder oft auch schon im Zug auf dem Weg nach Aachen und bereiten Klausuren oder Referate vor oder bearbeiten gemeinsam Online-Dokumente. Dabei sind auch schon Freundschaften entstanden: „Alle sind in derselben Situation, und für uns ist klar: Wir treffen uns nicht zum Kaffeetrinken oder zum erzählen, was bei jedem so los ist, sondern wir arbeiten zügig. Denn wir wollen ja alle wieder pünktlich bei unseren Kindern sein.“ Unter den 32 Studierenden pro Semester sind auch einige Alleinerziehende. Für sie ist Organisationsarbeit und Belastung noch einmal größer.

Langes Partymachen ist nicht drin

Herausfordernd für alle sind vor allem die Praxisphasen. Drei Wochen am Ende des ersten Semesters und das komplette fünfte Semester bestehen aus jeweils einem Praktikum. Das ist nicht immer einfach mit der eigenen Arbeitsstelle zu koordinieren, dort müssen sich die Studierenden dann beurlauben lassen.Jeden Samstag um 7 Uhr morgens nimmt Andrea den Zug von Köln nach Aachen. Nachmittags ist Schluss mit den Vorlesungen. Freitags gehen sie von 10 bis etwa 17 Uhr. „Ich habe noch genug Zeit um die Kinder um kurz vor 8 zur Schule zu schicken, dann mache ich mich auf zum Bahnhof.“ Manchmal gönnen sich die Studienkollegen abends noch ein Feierabendbier, aber viel mehr geht freitags nicht. Weil samstags um 9 die Vorlesungen beginnen.

Die Atmosphäre an der Hochschule ist kinderfreundlich

Die Katholische Hochschule bietet in Aachen keine Kinderbetreuung, aber ein Kinderspielzimmer an. Immer mal wieder sitzt auch ein Kind mit seinen Malsachen mit dabei im Seminar. Insgesamt ist die Atmosphäre kinderfreundlich, es gab auch schon ein paar Geburten in Andreas Semester.Studierende mit Familie und Arbeitsstelle im Gepäck sind besonders motiviert: Rumbummeln ist für sie keine Option. Andrea will ihr Studium in der Regelzeit schaffen. Das Gute: Vorlesungsfreie Zeit nach den Prüfungen im Sommer fällt mit den Sommerferienwochen der Kinder zusammen. Für dieses Jahr plant die Familie einen Zelt-Urlaub in der Schweiz. Zum Entspannen. Und Auftanken für das nächste Semester.