Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Experte gibt Tipps für ElternDer richtige und der falsche Umgang mit Schulproblemen

Lesezeit 6 Minuten
Neuer Inhalt

Damit das Kind Schulprobleme überwinden und leichter lernen kann, müssen Eltern und Lehrer ein Team sein.

  1. Während der Homeschooling-Zeit haben viele Eltern gemerkt, wie wichtig die Arbeit der Lehrer ist. Und die haben verstanden, dass sie sich mehr mit den Eltern austauschen sollten.
  2. Doch was ist entscheidend, damit ein Kind gut lernen kann? Und wie gehen Eltern am besten mit Lernproblemen um?
  3. Der Kinderarzt und siebenfache Vater Prof. Walter Dorsch erklärt, warum Schule für viele Familien oft so viel Stress bedeutet. Und warum es so wichtig ist, dass die Kinder die Lust am Lernen nicht verlieren.

Herr Professor Dorsch, was hat uns die Corona-Krise bezüglich Schule gelehrt?Walter Dorsch: Viele Eltern haben gesehen, dass sie die Funktion der Lehrkraft nicht ohne weiteres übernehmen können. Lehrer wirken von außen in das Familiensystem und können andere Regeln setzen und durchsetzen. Ich hab es an meinen eigenen Kindern immer wieder erlebt: Was der Lehrer sagt, das gilt. Mit den Eltern müssen sich Kinder anders auseinandersetzen, in der Familie herrscht eine ganz andere Psychodynamik. Viele Eltern kamen im Homeschooling auch deswegen an ihre Grenzen.

Schätzen Eltern die Arbeit der Lehrer denn jetzt mehr?

Elternwerkstatt: „Schulprobleme als Familie meistern“

Am Donnerstag, 8. Oktober, 19-20.30 Uhr, studio dumont, Köln, Breitestraße 72

Wie gehen Eltern mit Herausforderungen ihrer Kinder in der Schule um? Wie kann es ihnen gelingen, daran zu wachsen und nicht daran zu scheitern? Diesen Fragen gehen der Kinderarzt Prof. Dr. Walter Dorsch und der Schulpädagoge Prof. Dr. Klaus Zierer in ihrem Vortrag nach. Dabei stehen nicht nur Schulprobleme an sich im Fokus, sondern wie sich diese auf das gesamte Familiensystem auswirken. Die Experten veranschaulichen die schulischen Krisen und geben dem Publikum Ideen für konkrete Lösungsvorschläge und Handlungsempfehlungen.

Eintritt frei! Coronabedingt ist die Teilnehmerzahl begrenzt.

Anmeldung unter: www.forumblau.de/akademie

Viele haben zumindest erfahren, dass Lehrerinnen und Lehrer doch nicht einen so einfachen Job haben. Dass sie nicht nur Hilfsarbeiter sind, sondern sehr intensive Arbeit leisten. Und Lehrkräfte haben durch Corona erneut erfahren, wie wichtig es für den Lernerfolg ist, dass sie mit Schülern und Eltern gute persönliche Beziehungen aufgebaut haben, so dass sie sich mit ihnen austauschen und individuell auf sie eingehen können. In der Schule geht es um eine funktionierende Dreiecksbeziehung aus Eltern, Lehrer und Kind: Jeder sollte den anderen wertschätzen und in seiner Funktion unterstützen. Nur so kann das System funktionieren. Wenn jeder gegen jeden kämpft und polemisiert, kommt nichts Gutes heraus.

Im Zuge von Corona wurde viel über die Digitalisierung an Schulen gesprochen – und die nach wie vor großen Mängel auf diesem Gebiet. Und doch: Vergleicht man die Wirkintensität pädagogischer Maßnahmen in Studien, steht die Digitalisierung in der Regel ganz hinten. Das zeigt: Es kommt viel mehr auf die Lehrperson an als auf ihr Werkzeug, zum Beispiel die digitalen Hilfsmittel. Natürlich werden heute digitale Werkzeuge im Unterricht verwendet. Das ist sinnvoll. Eine Kernfrage bleibt aber: Wie gehen unsere Kinder mit der digitalen Informationsflut sinnvoll um?

Warum ist diese Frage so entscheidend für den Lernerfolg?

Neuer Inhalt

Der Kinderarzt Prof. Walter Dorsch hat selbst sieben Kinder.

Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Die meisten Webseiten sind so programmiert, dass der Betrachter möglichst lange dort verweilt. Also liefert der Algorithmus immer wieder Informationen, die der Betrachter gerne liest. Unser Gehirn bevorzugt Informationen, die wir schon kennen, weil sie unsere Meinung bestätigen. Das führt dazu, dass jeder in seiner eigenen Informationswolke versinkt, wenn er nicht lernt, damit umzugehen. Die Folge ist eine Verstärkung der eigenen Vorurteile. Corona-Leugner etwa bekommen immer wieder Meldungen zu diesem Thema angezeigt, die ihre Vorstellungen bestätigen. Eltern und Lehrer müssen den Kindern beibringen, wie sie mit den grundsätzlich ja segensreichen digitalen Werkzeugen vernünftig umgehen.

Ihr Buch heißt: „Schulkinder gleich Sorgenkinder?“ Sind sie das denn wirklich?

Eigentlich selten, zumindest sollten sie das nicht sein. Für fast jedes Problem gibt es vernünftige Lösungsansätze, untermauert durch viele Untersuchungen, Studien mit Millionen von Kindern. Gleichzeitig gibt es keine Patentlösung. Jedes Kind ist einzigartig, was dem einen hilft, schadet dem anderen. Deswegen geht es auch in der Schule immer um Beziehungsarbeit. Gute gemeinsame Lösungen entstehen, wenn wir uns auf die Kinder einlassen und sie ernst nehmen.

Dennoch bereitet die Schule vielen Familien extrem viel Stress. Warum?

Buchtipp

Neuer Inhalt

„Schulkinder gleich Sorgenkinder? - Schulprobleme als Familie meistern“, Walter Dorsch/Klaus Zierer, Kösel Verlag, 2020

Es gibt Eltern, die versuchen, ihren Kindern jeden Stein aus dem Weg zu räumen. Oft wollen sie damit erreichen, dass es ihrem Kind viel besser geht als ihnen selbst in ihrer Kindheit. Sie überfordern dabei sich selbst. Manche Eltern kommen mit den Ansprüchen der Schule nicht zurecht. Überbesorgte Eltern wollen alles 100 prozentig richtig machen und übertreiben. Doch jedes Kind hat das Recht auf eigene Fehler. Es geht nicht darum, die Schule perfekt zu absolvieren, sondern vielmehr darum: Wie komme ich aus Fehlern wieder raus? Und wie lerne ich aus meinen Fehlern?

„Kinder müssen nicht fertiges Wissen erlernen, sondern den Weg, wie man Wissen erlangt“, schreiben Sie. Warum ist das so essenziell?

Weil wir alle nicht wissen, wie unsere Welt in 50 Jahren aussehen wird. Deswegen müssen wir das Lernen lernen. Kleine Kinder tun das spontan, sie sind ungeheuer neugierig – und zum Beispiel fasziniert davon, wie sich Olivenöl und Mehl auf dem Küchenboden mischen lassen. Neugier, Lust am Ausprobieren und Kreativität sollte man sich auch als Erwachsener bewahren. 

Viele Erwachsene wollen aber vor allem, dass ihre Kinder aufs Gymnasium gehen.

Die Schule ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Wir leben zum Teil in einer absurden Wettbewerbssituation. Viele Berufe sollten attraktiver bewertet werden, so dass das Gymnasium nicht als einzige Bildungsmöglichkeit angesehen wird. Unsere Ausrichtung auf den Gelderwerb sollte uns nicht blind machen für die Schönheit unserer Welt. Daher brauchen wir eine breite Bildung in der Bevölkerung, die nicht unbedingt zum Hochschulstudium führen muss. Es gibt noch so viele andere wichtige Berufe neben Anwalt und Arzt. Im Kern sollte es in der Schule darum gehen, Kindern die Freude am Wissenserwerb zu erhalten. Und zwar in einer sich stetig wandelnden Gesellschaft.

Das könnte Sie auch interessieren:

Wie kann das funktionieren in einer Leistungsgesellschaft wie unserer?

Wir müssen unsere Kinder gut vorbereiten. Dazu sollten Eltern und Lehrer berücksichtigen, auf welcher Entwicklungsstufe sich ihr Kind befindet. Anfangs geht es um die Bildung des Urvertrauens, später um Autonomie und Abgrenzung, dann steht das Wegbewegen von den Eltern im Vordergrund. In der Pubertät werden alle Regeln auf die Probe gestellt.

Wenn sie Eltern drei Tipps geben dürften, welche wären das?

Erstens: Die Kirche im Dorf lassen. Keinen Perfektionismus anstreben. Keine Patentrezepte verfolgen. Zweitens: Die Kinder in einem guten Sinn ernst nehmen. Sätze wie: „Das kannst du nicht, dazu bist du zu klein, das verstehst du nicht, nimm dir ein Beispiel an deiner Schwester“, sind gefährlich und können der Entwicklung schaden. Drittens: Die Kinder lieben und offen sein für das, was aus ihnen wird. Etwas lieben heißt, es ohne Selbstbezug wertzuschätzen, etwa in dem Sinne: Mein Kind ist ein eigener, in sich ruhender Mensch, an dem ich Freude habe.