Probleme aus dem Weg mähenNach den Helikoptern kommen jetzt die „Rasenmäher-Eltern“
- „Rasenmäher-Eltern” räumen ihren Kindern aus Fürsorge alle Probleme aus dem Weg, bevor sie überhaupt entstehen.
- Was gut gemeint ist, kann für die Kinder fatale Folgen haben: Sie lernen nicht, Konflikte und Probleme selbst zu lösen und entwickeln kein Selbstbewusstsein.
- Kinder, die eigenverantwortlich handeln dürfen, entwickeln eine starke Persönlichkeit. Wie Sie das jeden Tag üben können, erfahren Sie hier.
Köln – Nach den Helikopter-Eltern, die überbehütend über ihren Kindern kreisen, gibt es nun einen neuen Trend: die Rasenmäher-Eltern. Sie räumen ihren Kindern jedes potenzielle Hindernis schon aus dem Weg, bevor es zum Problem werden könnte. Konflikte werden bereits eliminiert, bevor das Kind überhaupt gemerkt hat, dass sie sich anbahnen. So vermeiden die Eltern aber, dass ihr Kind mit unangenehmen Situationen in Kontakt kommt, mit Problemen umgehen und Konflikte selbstständig lösen kann.
„Rasenmäher-Eltern nehmen ihrem Kind wichtige Erfahrungen”
Das bringt für das spätere Leben viele Probleme mit sich. „Die Eltern meinen, sie handeln für ihr Kind, wenn sie alle potentiellen Schwierigkeiten und Probleme im Vorhinein aus dem Weg räumen. Diese Kinder bekommen nicht die Möglichkeit, ein gesundes Selbstbewusstsein aufzubauen“, warnt Anne Deimel, stellvertretende Landesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Landesverband NRW. Und weiter: „Die Eltern nehmen ihrem Kind auf diese Weise wichtige Erfahrungen. Und das Schlimmste ist: Sie vermitteln ihrem Kind: 'Das trauen wir dir nicht zu.' Bei dem Kind kommt an: 'Ich kann das nicht. Meine Eltern müssen das für mich machen.'“
Der Nachwuchs von Rasenmäher-Eltern sei es nicht gewohnt, überhaupt auf Probleme zu stoßen, geschweige denn, sie zu lösen. Wenn die Eltern in so einer Situation nicht zur Stelle seien, stünden die Kinder völlig hilflos vor dem Problem. Dieses Gefühl der Unfähigkeit könne Angst und Panik auslösen und für fehlende Motivation sorgen. „Es ist schwierig für die betroffenen Kinder, ihr Leben selbst zu gestalten und in verschiedenen Situationen eigene Entscheidungen zu treffen, da sie es nicht lernen konnten“, sagt Deimel.
Grundschullehrer beobachten das Phänomen immer häufiger
Auch falle es den betroffenen Kindern schwer, sich im Unterricht mit Freude mit verschiedenen Lerninhalten auseinanderzusetzen und für sich selbst ein gutes Durchhaltevermögen beim Lernen zu entwickeln. „Die Grundschullehrkräfte beobachten dieses Phänomen immer häufiger. Es gibt Eltern, die ihren Kindern jede noch so kleine Aufgabe abnehmen. Kinder werden trotz kurzem Weg zur Schule gefahren, die Mutter ruft bei der Klassenlehrerin an, weil sie die Hausaufgaben nicht verstanden hat und Kinder bekommen oft gar nicht mehr die Chance, kleine Streitigkeiten mit anderen Kindern selbst zu lösen. Eltern bringen selbst kleine Geldbeträge, die von der Lehrkraft eingesammelt werden, persönlich vorbei“, berichtet Deimel, die selbst eine Grundschule leitet.
Was also gut gemeint ist, kann unter Umständen fatale Folgen haben. Denn Kinder entwickeln ihr Selbstbewusstsein aus dem Gefühl, eigenständig Probleme und Streitigkeiten lösen zu können. „Wenn ein Mensch in seiner Kindheit immer wieder und wieder das Gefühl vermittelt bekommt, dass man ihm eigenständiges Handeln und Denken und selbst das Lösen von kleinen Problemen nicht zutraut, wird es für ihn eine extrem große Herausforderung, seine Leben selbst in die Hand zu nehmen und es ohne Hilfe zu gestalten“, erklärt Deimel.
Wie Kinder sich entwickeln, denen alle Herausforderungen aus dem Weg geräumt werden, hat auch Christopher Goer viele Jahre beobachtet. Er betreibt eine Kindertennisschule mit zwei Stationen im Kölner Westen. Außerdem hat er 18 Jahre lang als Lehrer gearbeitet, davon 15 Jahre an der Haupt- und drei Jahre lang an der Grundschule. „Ich habe gekündigt, weil ich mich in dem Schulsystem nicht wohlgefühlt habe“, sagt er. In seiner Freizeit und auf dem Tennisplatz beschäftigt er sich nun damit, wie Kinder idealerweise lernen.
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Das Problem der Rasenmäher-Eltern ist ihm vor allem während seiner Zeit als Grundschullehrer und auf dem Tennisplatz aufgefallen. An der Hauptschule sei es oft umgekehrt, da kümmerten die Eltern sich zu wenig. „Der Klassiker in der Schule ist, dass die Eltern den Schulranzen bis in die Klasse tragen, die Trinkflasche hinterher gebracht wird oder dass noch ganz schnell mit den Lehrern irgendetwas Wichtiges gesprochen wird. Die Eltern fühlen sich gut, wenn sie für die Kinder mitdenken und ihnen etwas Gutes tun. Dabei nehmen sie ihnen aber auch die Selbstständigkeit weg und übertragen den Kindern keine Verantwortung“, sagt er. Und weiter: „Man könnte doch auch sagen: Ist nicht schlimm, nächstes Mal denken wir dran. Auch du als Kind denkst mit dran.“ Eltern müssten lernen, auch mal loszulassen und ihren Kindern zu vertrauen. So sieht das auch Anne Deimel: „Kinder, denen es zugetraut wird, dass sie ihr eigenes Leben selbst gestalten, können eine starke Persönlichkeit entwickeln. Mit Selbstvertrauen wissen sie, welche Probleme sie selbst lösen können und wann sie Hilfe von einem Erwachsenen anfordern müssen. Machen Sie sich immer bewusst, dass Sie Ihr Kind stärken, wenn Sie ihm das Gefühl geben „Du kannst das.“ – Entscheidend ist, dass Kinder wissen, dass ihre Eltern für sie da sind, wenn sie sie brauchen.“ Auf diese Weise werden auch die Eltern entlastet. Wer ständig an alles denken muss, bricht irgendwann unter der mentalen Last zusammen.
Der Weg zu mehr Selbstständigkeit besteht aus vielen kleinen Schritten: Hier sind die Tipps von Christopher Goer:
Das Leben der Kinder nicht durchplanen, statt dessen mehr mit ihnen in Kontakt gehen
Eltern meinen häufig, dass sie schon wissen, was für ihr Kind am besten ist. Statt zu sagen: „Du musst Sport machen und Musik ist auch wichtig“, sollte man die Kinder lieber fragen, was sie wirklich machen wollen. Man sollte versuchen, mit den Kindern in einen echten Austausch zu gehen und sie so sein zu lassen, wie sie sind. Kinder haben es zum Teil verlernt, wirklich ihre Meinung zu äußern, weil die Eltern immer sagen, was zu tun ist.
Den Kindern genug Zeit geben und Alltagsdinge möglichst früh alleine regeln lassen
Wenn Kinder selbst Herausforderungen meistern, kann es schon mal länger dauern. Hier muss man als Eltern geduldig sein und ausreichend Zeit einplanen, zum Beispiel wenn es darum geht, die Schuhe zu binden, ein Brot zu schmieren oder im Haushalt zu helfen. Sagen Sie nicht: „Ach komm, ich mach' das schnell, das dauert sonst zu lange.” Kinder können schon früh lernen, typische Alltagsdinge wie Schuhe binden oder sich anziehen alleine zu machen. Sagen Sie den Kindern: „Das kannst du alleine, das traue ich dir zu.“ Dadurch werden die Kinder auch selbstbewusster. Es dauert vielleicht am Anfang länger als wenn man es selbst machen würde, aber es lohnt sich. Nur wer Fehler machen darf, lernt etwas dazu. Das muss man Kindern erlauben.
Kinder brauchen mehr Freizeit
Statt noch mehr Kurse und Verpflichtungen sollten die Kinder mehr freie Zeit haben, in der sie selbst entscheiden dürfen, was sie machen. So entwickeln sie sich ganz frei nach ihren Bedürfnissen. Am besten wäre es natürlich, wenn die Kinder draußen spielen und sich einfach verabreden. Sie können aber auch Freunde nach Hause einladen und mit ihnen eine freie Zeit verbringen.
Sich nicht sofort in Konflikte einmischen
Kinder regeln viele Dinge selbst. Viele Eltern oder auch Lehrer greifen viel zu schnell in Konflikte ein und bestimmen, wer schuld ist oder eine Strafe bekommt. Oft streiten sich Kinder und haben sich zehn Minuten später wieder vertragen. Der Streit löst sich häufig von ganz alleine. Die Aufgabe des Erwachsenen ist, einzugreifen, wenn es zu grob wird oder eskaliert. Aber die kleinen Dinge schaffen Kinder alleine.
Liebevoll sein, aber nicht überbehüten
Wenn man Kinder liebevoll begleitet, aber sie dabei selbstständig sein lässt und sie ihre Erfahrungen machen dürfen, ist das für sie am besten. Auch, wenn es manchmal lange dauert und man sich am liebsten einmischen will: Kinder einfach mal etwas in Ruhe machen lassen. Das Allerschwierigste als Erwachsener ist es, sich zurückzunehmen, wenn Kinder sich ausprobieren und dann zu sagen: „Ich guck‘ jetzt einfach mal zu, obwohl ich selbst eine schnelle Lösung präsentieren könnte.“ Zur Liebe gehört auch dazu, dass man mal loslässt und die Kinder ihre Hürden selber nehmen lässt.
Für Christopher Goer ist das Thema überbehütende Eltern ein Herzensthema. Man kann ihn für Vorträge zum Thema „Mut und Loslassen“ und Eltern-Kind-Beratungen buchen: kontakt@15null.de