Frauen erben anders als Männer: Rollenbilder beeinflussen ihre Wahrnehmung, was oft zu Unsicherheit und Beziehungsstress führt. Wir haben mit einer Finanzexpertin gesprochen.
Ungleichheit zwischen Mann und Frau„Frauen sollen sich frühzeitig mit dem Thema Erbe beschäftigen“

Im Testament werden Frauen meist anders behandelt, als Männer.
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Erben ist nicht nur eine finanzielle Angelegenheit – es geht um Macht, Rollenbilder und tief verwurzelte Familienstrukturen. Besonders für Frauen birgt eine Erbschaft oft unerwartete Herausforderungen: Sie erben anders als Männer, stehen vor gesellschaftlichen Erwartungen und müssen sich gegen Unsicherheiten behaupten. Im Interview erklärt Finanzcoachin Irene Genzmer, warum Geld für Frauen „ein Geschmäckle“ hat, welche Konflikte in Partnerschaften entstehen können und wie Frauen lernen, ihr Erbe selbstbewusst zu gestalten. Ein Gespräch darüber, warum es sich lohnt, frühzeitig Klartext zu reden – und warum das beliebte Berliner Testament großes Konfliktpotenzial birgt.
Frau Genzmer, Sie sagen, Frauen erben anders als Männer. Was steckt dahinter?
Frauen erben auf zwei Ebenen anders: Zum einen bekommen die Söhne oft Unternehmen vererbt, während Töchter eher Geldbeträge oder Wertgegenstände erhalten. Unternehmenswerte sind schwer greifbar und werden oft gar nicht beziffert – das zieht sich durch viele Familien. Zum anderen sind Frauen gesellschaftlich kaum darauf vorbereitet, finanzielle Verantwortung zu übernehmen. Viele sind überfordert oder schämen sich sogar, plötzlich Geld zu besitzen.
Warum ist das so?
Das liegt an tief verwurzelten Rollenbildern. Jungen lernen, dass sie finanziell vorsorgen müssen, während Mädchen beigebracht wird, Fürsorge vor Geld zu stellen. Reiche Männer gelten als erfolgreich, wohlhabende Frauen schnell als unsympathisch. Geld hat für viele Frauen „ein Geschmäckle“.
Sie sprechen von einem Bedrohungspotenzial, das von einer Erbschaft ausgehen kann. Warum kann Geld für Frauen gefährlich werden?
Weil Männer durch die finanzielle Unabhängigkeit ihrer Partnerinnen Macht verlieren. Studien zeigen: Steigt der Frauenanteil am Haushaltseinkommen über 40 Prozent, steigt bei vielen Männern der Stresspegel. Sie fühlen sich bedroht. Ein Bekannter sagte einmal über seine Frau mit vier Kindern, die zu Hause blieb: „Sie wird mir nicht mehr weglaufen.“ Das zeigt, wie viel Kontrolle mit Geld verbunden ist.
Sie warnen sogar, dass eine Erbschaft die Beziehung zum Partner zerstören kann.
Absolut. Das liegt am Machtgefälle, das dadurch entsteht. Ein geerbtes Vermögen verändert die Dynamik in der Partnerschaft. Geld bringt Wahlfreiheit – und damit verschieben sich Machtverhältnisse. Manche Männer kommen damit nicht klar, weil es ihre Identität als Ernährer in Frage stellt. Das gilt auch bei gutverdienenden Frauen. Da greifen alte Rollenbilder.
Frauen leiden oft stärker unter ungerechten Erbschaften, aber unternehmen nichts dagegen. Warum?
Viele Frauen haben ein starkes Harmoniebedürfnis. Ein Anwalt gegen die Geschwister? Das passt nicht zu ihrem Selbstbild. Doch das Schweigen führt häufig zu langanhaltendem Frust. Männer können Finanzen und persönliche Beziehungen besser trennen.
Wollen Sie Frauen zum Erbstreit anstiften?
Was ich möchte, ist, dass Frauen sich frühzeitig mit dem Thema Erbe beschäftigen. Frauen sollten erkennen: Geld ist wichtig, und auch Zeit und Pflege der Eltern haben einen monetären Wert. Es geht darum, Geld ernst zu nehmen und das Thema Erben nicht zu verdrängen.
Eltern wollen oft gar nicht über den Nachlass sprechen. Was tun?
Dranbleiben! Immer wieder ruhig und sachlich das Gespräch suchen. In meiner eigenen Familie hat es einige Zeit gedauert, bis mein Vater bereit war, über das Thema zu reden. Entscheidend war, ihm bewusst zu machen, dass es um Klarheit geht und darum, dass die Familie auch nach seinem Tod harmonisch miteinander umgehen kann.
Das Berliner Testament gilt vielen immer noch als sichere Sache. Sie allerdings warnen davor. Warum genau?
Weil es in Patchwork-Familien oft zur faktischen Enterbung führt. Der überlebende Partner erbt alles und kann dieses Geld zum Beispiel an eigene Kinder aus früheren Beziehungen verschenken oder einfach ausgeben. Mein Mann hat das selbst erlebt.
Was ist Ihre Empfehlung für Patchwork-Familien?
Statt eines Berliner Testaments sollte man klare, individuelle Regelungen treffen. So vermeidet man böse Überraschungen.
Und wenn es doch zum Erbstreit kommt?
Emotionalen Abstand halten und Fakten von Gefühlen trennen. Alte Kindheitskonflikte spielen immer mit. Die Methode der „gewaltfreien Kommunikation“ hilft, Konflikte nicht eskalieren zu lassen: Wenn man seine Gefühle dem Gegenüber beschreibt, kann das schon helfen, die Wut rauszunehmen. Manchmal ist es sinnvoll, die Kommunikation über Anwälte laufen zu lassen. Es geht darum, sich nicht aus falscher Rücksichtnahme übervorteilen zu lassen.
Sollte eine Erbschaft immer ausgeschlagen werden, wenn Schulden im Spiel sind?
Das Erbe sollte nie vorschnell ausgeschlagen werden! Allerdings muss man bei Verdacht auf Schulden innerhalb von kurzen Fristen handeln. Man hat das Recht, sich Informationen bei den Banken einzuholen. Bei Immobilien sollte man prüfen, ob ein Verkauf sinnvoll ist. Es gibt spezialisierte Beratungen, wie die Erblotsen, die unterstützen können.