AboAbonnieren

Sozial ungeschickt„Während Corona habe ich verlernt, wie man sich unter Menschen verhält“

Lesezeit 4 Minuten
Junge Frau verkriecht sich in bis über die Nase in ihrem Pullover

Ein lockeres, selbstverständliches sich begegnen fällt vielen jüngeren Menschen schwer.

Während der Pandemie waren soziale Kontakte rar. Was tun, wenn man nicht mehr weiß, wie man mit Menschen interagiert und Freunde findet?

„Ich habe das Gefühl, in der Corona-Zeit über Jahre hinweg irgendwie verlernt zu haben, wie man sich unter Menschen verhält. Ich tappe dauernd in Fettnäpfchen und sage dumme Sachen. Was kann ich tun?“ (Berit, 27)

Was Sie schildern, kennen einige Menschen. Besonders jüngere erzählen zum Beispiel, sie hätten gerade zarte Freundschaftsbande geknüpft, als Corona anfing. Und dann konnten sie einander nicht mehr treffen. Das bedeutete, die noch unsicheren Beziehungen wurden schon früh auf die Probe gestellt. Ein lockeres, selbstverständliches sich begegnen war nicht mehr möglich, in der Schule nicht und auch nicht beim Sport. Also musste man auf andere Kanäle ausweichen, deren Gebrauch aber noch nicht eingeübt war. Man musste sich ganz anders um Kontakt bemühen als bisher. Die Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit waren weg.

Und so kam Unsicherheit darüber auf, ob eine Freundschaft trägt, ob sie überhaupt noch existiert. „Hat mein neuer Freund, meine neue Freundin vielleicht mit anderen jetzt viel mehr oder viel intensiveren Kontakt?“, fragten sich manche. Wenn länger keine Nachricht kam oder Social-Media-Posts zeigten, wie verbunden sich die anderen vermeintlich fühlten, wurde man noch unsicherer: Sind wir überhaupt noch Freunde?

Corona hat Probleme unter ein Brennglas gelegt, die es vorher im Ansatz schon gab, die man aber ganz gut im Griff halten konnte. Dann aber fielen manche Menschen, die etwa ein problematisches Essverhalten für sich einigermaßen ins Gleichgewicht gebracht hatten, in alte Muster zurück. Während des Lockdowns knallten Beziehungsprobleme, die zuvor durch genug Abstand ganz gut austariert werden konnten, ungebremster aufeinander, weil die Partner ständig zusammen hockten. Und ganz normal schüchterne Personen, die im sogenannten real life ihren Weg gefunden hatten, gut in Kontakt mit anderen zu sein, wussten auf einmal nicht mehr, wie sie es anstellen sollten, die Kontakte aufrechtzuerhalten.

Was ist so „dumm“, dass man sich nicht dafür entschuldigen könnte?

Sie schildern dann noch etwas anderes, nämlich, dass Sie „dumme Sachen“ von sich gäben, dass Sie in Fettnäpfchen träten. Wer sagt das? Haben Ihnen andere so etwas zurückgemeldet, oder ist es Ihr Blick auf Sie selbst? Ich frage mal so ganz direkt: Was ist so „dumm“, dass man sich – falls es einem hinterher leidtut – nicht dafür entschuldigen könnte? Und was sind das für Fettnäpfchen, in die Sie treten? Anders formuliert: Was tun oder sagen Sie, das für eine andere Person so unangenehm ist, dass Sie es sich mit ihr verderben?

Wenn ich mir solche Situation auszumalen versuche, könnte ich mir auch eine andere Beschreibung Ihres Verhaltens vorstellen: Haben Sie womöglich ein ganz gutes Gespür für Dinge, die unter der Oberfläche brodeln, und sprechen Sie sie unverblümt an? Und: Wie schlimm ist das dann? Haben Sie vielleicht einfach eine direkte Art, die manche Leute schätzen, anderen aber eher unangenehm ist, weil Sie einen wunden Punkt treffen?

Wie kann ich mich selbst vielleicht auch milder und freundlicher betrachten?

Ich kann Sie nur ermutigen, die anderen Personen zu fragen: Wie empfindet ihr es, wenn ich direkt bin? Beobachten Sie sich auch selbst: Warum verhalte ich mich wie? Spreche ich vielleicht etwas an, was für mich unsicher oder unklar ist, um mich zu vergewissern? Wo brauche ich vielleicht selbst mehr Sicherheit? Und was würde mir dabei helfen? Der Abgleich mit anderen? Die Betrachtung einer Situation aus dem Abstand? Wie kann ich mich selbst vielleicht auch milder und freundlicher betrachten?

Tun Sie denn anderen wirklich etwas an mit Ihrer Art – oder ist das eher die eigene innere Stimme, die ihnen das sagt? Und könnte Ihre Unsicherheit vielleicht damit zu tun haben, dass Sie in früheren Jahren nicht so gut erfahren konnten, dass Sie gut so sind, wie Sie sind? In diesem Fall wäre Ihr Verhalten erstmal sehr verständlich: Sie möchten sich Ihrer selbst versichern.

Oft hilft auch die Frage: Was ist gut und hilfreich an meinem Verhalten? Wie kann ich es mir erklären? Wenn Sie ihr eigenes Verhalten besser verstehen, hilft das, mehr Verständnis für sich selbst zu bekommen und damit auch einen freundlichen Blick auf sich selbst. Aus dem Fettnäpfchen und den angeblich dummen Sachen werden, so betrachtet, dann vielleicht ziemlich schlaue Fragen.


Unser Team von Expertinnen und Experten beantwortet Ihre Fragen. Die Psychotherapeuten Désirée Beumers, Carolina Gerstenberg und Daniel Wagner sowie die Diplom-Psychologinnen Elisabeth Raffauf und Katharina Grünewald sind versiert in der Beratung rund um Liebe, Beziehung und Partnerschaft. Der Urologe Volker Wittkamp kennt sich mit allem aus, was Liebe mit unserem Körper macht – und umgekehrt. Schreiben Sie uns, was Sie in der Liebe bewegt! Ihre Zuschriften werden anonymisiert weitergegeben. Schicken Sie Ihre Frage an: in-sachen-liebe@dumont.de