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Alleinerziehend als Chance„Es ist eine Erleichterung, es niemandem recht machen zu müssen“

Lesezeit 6 Minuten
Caroline Uhl steht inmitten grüner Pflanzen.

Die Kölner Psychologin Caroline Uhl ist selbst alleinerziehend und möchte mit einem Buch anderen alleinerziehenden Müttern Mut machen.

Die Kölner Psychologin Caroline Uhl berät alleinerziehende Mütter und Väter und meint: Es kann auch Vorteile haben, auf sich gestellt zu sein. Im Interview erklärt sie, wie Alleinerziehende sich selbst stärken können.

Frau Uhl, Sie sind Psychologin, haben aber auch einen Master-Abschluss in Wirtschaft. Wie kommt es dazu, dass Sie alleinerziehende Mütter und Väter beraten?

Früher habe ich in einer Unternehmensberatung gearbeitet, das wurde mir aber zu viel mit der Schwangerschaft. Dann kamen ziemlich zeitgleich die Trennung und Corona und ich stand plötzlich an einem Wendepunkt in meinem Leben. Da habe ich entschieden, dass ich in der klinisch-psychologischen Richtung arbeiten möchte. In der Wirtschaft bin ich aber weiterhin im Führungskräfte-Coaching tätig. Mein Konzept richtet sich an alle Mütter, nicht nur an Alleinerziehende.

Kommen auch Väter zu Ihnen in die Beratung?

Es gibt einige, die ich begleite, aber weniger als Frauen. Von meinem Buch fühlen sich auch mehr Frauen angesprochen, weil ich darin aus meiner eigenen Perspektive erzähle, und ich bin nun mal eine Frau. Aber auch viele Männer finden das spannend, weil ihnen teilweise gar nicht klar ist, dass Frauen so denken. Das beginnt schon beim Titel: „Wer bin ich, wenn ich nicht alleinerziehend bin?“ Männer reduzieren sich nicht auf ihren Erziehungsstatus und sind schockiert darüber, dass manche Frauen das tun.

Ein Problem, das auch Mütter in Beziehungen haben. Viele kennen das Gefühl, dass sie nur noch Mutter sein dürfen und der Rest ihrer Identität verschwindet.

Das stimmt leider. Deshalb richtet sich mein Buch auch nicht nur an Alleinerziehende, sondern an alle Mütter. Schließlich gibt es auch viele Frauen, die sich innerhalb einer Beziehung mit der Erziehung allein gelassen fühlen. Alleinerziehende haben aber zusätzlich noch andere Probleme und müssen mit Trennung oder Verlust zurechtkommen. Darauf gehe ich in meinem Buch ein.

Caroline Uhl hält ihr Buch „Wer bin ich, wenn ich nicht alleinerziehend bin“ in die Kamera.

Caroline Uhl ist selbstständige Psychologin und berät Alleinerziehende und Mütter in Beziehungen. Sie hat einen zweijährigen Sohn, den sie alleine aufzieht. Ihre Praxis liegt zwischen Chorweiler und Fühlingen inmitten von Blumen und Tomaten, die zum Pflanzenhandel Uhl ihrer Mutter gehören.

Was beschäftigt Ihre alleinerziehenden Klienten am häufigsten?

Die meisten haben das Gefühl, sich selbst in der Mutterrolle aufgegeben zu haben. Sie wissen nicht mehr, wo sie im Alltag noch Platz finden können und fühlen sich wie von einer riesigen Welle erschlagen. Es fehlt das Gefühl der Autonomie, sie funktionieren einfach nur und sehen kein Licht am Ende des Tunnels. Oft sind ihre Ansprüche viel zu hoch. Sie ziehen drei Kinder alleine groß, glauben aber, gescheitert zu sein, weil ihre Wohnung nicht perfekt aufgeräumt ist. Auch Vereinbarkeit ist ein großes Thema: Wie bekommt man Job, Familie und die eigenen Gefühle und Bedürfnisse unter einen Hut?

Viele Mütter glauben, dass sie nicht gut genug sind, dass andere sich besser kümmern, geduldiger sind und gleichzeitig erfolgreicher im Job. Leiden Alleinerziehende noch häufiger unter diesen falschen Vorstellungen?

Ja, und oft haben sie zusätzlich noch das Gefühl, versagt zu haben, weil sie nicht in der als klassisch angesehenen Familie leben. Die Frage ist, ob dieses Gefühl durch die Gesellschaft oder durch sie selbst verursacht wird, weil sie versuchen, sich in eine Schablone zu pressen.

Was raten Sie Ihren Klientinnen in so einem Fall?

Ich reflektiere mit ihnen, was wirklich passiert. Sie sind alleinerziehend. Was bedeutet das genau? Was fehlt wirklich? Oft sehen wir nur den Mangel und blenden aus, was wir haben. Ich erarbeite mit meinen Klientinnen, was wirklich wichtig für sie ist und versuche, sie wieder mehr zu sich selbst zu führen, weg von den Normen. Alleinerziehende meinen oft, sie müssten alles alleine machen. Dabei haben auch Zwei-Eltern-Familien ein ganzes Dorf, das sie bei der Erziehung unterstützt. Alleinerziehende verwehren sich dieses ganze Dorf oft selber. Meistens haben sie keine Kapazitäten, um darüber zu reflektieren und wissen nicht, wie und wann sie sich dieses Netzwerk aufbauen sollen.

Wie findet man Hilfe, wenn man das Dorf nicht durch Familie und Freunde in der Nähe hat?

Indem man andere Betreuungsangebote ohne schlechtes Gewissen annimmt. Auch ein Umzug kann sich lohnen, wenn man gar keine Möglichkeiten in der Nähe hat. Vor allem muss man sich von der Vorstellung verabschieden, immer die perfekte Lösung für sein Kind finden zu müssen. Manchmal kann es auch reichen, wenn es für den Moment gut genug ist. Wenn Sie mit Magen-Darm-Grippe im Bett liegen, müssen Sie auch mal eine Nachbarin um Hilfe bitten. Da hat das Kind dann vielleicht kein Barbie-Schloss zum Spielen, wenn es da aber gut versorgt ist, reicht das.

Wie findet man den Mittelweg zwischen Aufopferung und Pragmatismus?

Fragen Sie sich, ob Sie nach Ihren eigenen Vorstellungen leben oder nach denen von anderen. Es ist wichtig, für sich selbst Wurzeln zu schlagen und Prinzipien und Werte aufzustellen. Daraus entstehen Grundpfeiler, die einen halten.

Ein wichtiger Teil im Buch ist der Neuaufbau der Identität. Sie benutzen dafür das Bild eines Hauses, das zuerst abgerissen und dann neu aufgebaut werden muss. Können Sie das genauer erklären?

Es kann sein, dass der Aufbau nicht mehr zum Leben passt. Deshalb kann alles neu zusammengesetzt werden. Wenn ich etwas wegnehme, habe ich Platz für etwas Neues. Wenn ich alte Bilder abhänge, ist das in Ordnung. Aber ich darf nicht vergessen, auch neue aufzuhängen. Dazu muss ich niemand anderen fragen, wie das auszusehen hat, das ist nur für mich und meine Familie. Wir haben selbst die Macht darüber, wie wir unser Haus einreißen und neu gestalten. Es muss nicht alles Alte weg, sondern kann wieder verwendet werden, ich sage gerne upcyclen dazu. Man kann nicht beeinflussen, wenn jemand kommt und einen Teil einfach so einschlägt, aber man kann beeinflussen, ob man den Teil so lässt oder das Dach wieder verdichtet.

Niemanden fragen zu müssen, kann durchaus ein Vorteil sein. Was ist noch gut daran, alleinerziehend zu sein?

Partnerschaft ist viel Arbeit. Es jemandem nicht recht machen zu müssen, wenn man nach Hause kommt, kann eine große Erleichterung sein. Meistens haben wir eine Traumvorstellung davon, wie das mit einem Partner zu laufen hat. Ich kenne aber ehrlicherweise niemanden, bei dem das so ist. Viele sind innerhalb der Beziehung enttäuscht, weil es nicht so ist wie erhofft. Alleinerziehende haben diese Erwartungen nicht mehr und können etwas Neues aufbauen, anstatt immer wieder enttäuscht zu sein. Dafür muss man sich sehr mit sich selbst auseinandersetzen. Viele Menschen definieren sich hauptsächlich über ihre Partnerschaft, hier geht es nur um einen selbst. Alleinerziehend zu sein, mag zuerst eine Crashlandung sein, kann aber zu einem Abenteuer werden. Aus etwas ganz Schwerem kann etwas Leichtes und Intaktes entstehen. Man bekommt die Chance, sich selbst richtig gut kennenzulernen.

Zum Weiterlesen: Caroline Uhl: „Wer bin ich, wenn ich nicht alleinerziehend bin? Das Buch, in dem es nur um dich geht“, Knesebeck-Verlag, 272 Seiten, 20 Euro. Ratgeber für Alleinerziehende mit vielen nützlichen Tipps, Adressen, Coaching, Aufmunterung und persönlichen Geschichten.