Gleichberechtigt erziehen„Warum ich ein schlechter guter Vater bin“
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Meine Tochter war vier Jahre alt, als ich ihr zum ersten Mal die Fingernägel schnitt. Und, was soll ich sagen, es war gar nicht so schwer. Die Kleine trällerte den Titelsong der Eiskönigin vor sich hin, die Nägel waren nach dem Bad schön weich und am Ende waren alle Finger noch dran. Ein kleines Detail der Menschheitsgeschichte, ein epochaler Meilenstein meiner persönlichen Entwicklung.Die Maniküre ist nur ein Beispiel für viele Ressorts und Tätigkeiten der Familienarbeit, die ich unbewusst – oder besser: wie selbstverständlich – an meine Frau abgegeben habe. Im Einzelfall gab es Gründe, oft gute sogar. Sie ist ja Chirurgin, hat eine ruhige Hand und wird deshalb mit geringerer Wahrscheinlichkeit einen kleinen Finger abschneiden. Im Gesamtbild führte es dazu, dass ich mir irgendwann eingestehen musste, dass mein Anspruch und die Wirklichkeit nicht zusammenpassen.
Auf den Spielplätzen nur Mütter und Kinder
Ich hatte mich immer als sogenannten modernen Mann gesehen, der mit seiner Partnerin auf Augenhöhe lebt, mir ihr den Haushalt organisiert und sich ganz selbstverständlich voll in der Kinder- und Familienarbeit engagiert. Nun fuhr ich nachmittags zu einem Termin, und sah auf den Spielplätzen nur Mütter und Kinder. Oder abends kamen meine Töchter im Flur auf mich zugelaufen, wie ich früher auf meinen Vater zugelaufen war, nachdem er den ganzen Tag unterwegs war. Und ich fragte mich: Hat sich wirklich etwas verändert, oder bin ich nur eine Art Hochstapler?
75 Prozent der Paare in Deutschland sagen, dass sie sich die Arbeit in der Familie gleichberechtigt teilen wollen, umsetzen tun dies aber nur 14 Prozent. Auch meine Frau und ich lehnen so eine traditionelle Rollenverteilung eigentlich strikt ab. Wie konnte es so weit kommen?
Für mein Buchprojekt „Wir schlechten guten Väter“ wollte ich den Ursachen dieses gelebten Widerspruchs auf den Grund gehen – aus einer männlichen Perspektive. Dazu habe ich nicht nur viele Studien gelesen und mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gesprochen, sondern Interviews mit knapp drei Dutzend Vätern geführt. Einen Satz habe ich während der Recherche oft gehört: „Wir sind da so reingerutscht.“ Mich hat interessiert, was diese Rutschbahn in traditionelle Verhältnisse zusammenhält. Und wer sie gebaut hat. Und wie man sie vielleicht zum Einsturz bringen oder umleiten kann.
Natürlich hat sich auch etwas getan: 1997 verbrachten Männer pro Woche im Schnitt 17 Stunden mit ihren Kindern, 2017 waren es laut Deutschem Institut für Wirtschaft bereits 26 Stunden. Aber Frauen machen immer noch mehr als 50 Prozent mehr Care-Arbeit als Väter. Wenn man die aktuellen Väter, die gleichzeitig modern und recht altmodisch sind, fragt, warum das so ist, hört man immer wieder die gleichen Erklärungen, man könnte auch sagen: Ausreden. Halten sie einer genauen Prüfung stand?
1 „Ich mach ja eh mehr als jeder andere“
Ein wahnsinnig bescheuertes Argument, das leider doch recht oft in meinem Kopf aufpoppt. Aber man wird immer einen Typen finden, dessen Selbstbezogenheit die eigene übersteigt.
2 „Sie kann das einfach besser als ich“
Manchmal fühle auch ich mich bei der Elternsache wie ein Fußballspieler, der gegen eine Mannschaft von Pep Guardiola spielt. Haushoch unterlegen. Immer einen Schritt zu spät. Ich mag körperlich gut trainiert sein und alles geben, aber ich habe das schlechtere System. Laut einer Statista-Umfrage denken immer noch knapp die Hälfte der Menschen in Deutschland, dass Frauen von Natur aus besser im Umgang mit Babys sind als Männer. Forschende der Bar-Ilan Universität haben sogar Hirnscans bei Müttern und Vätern durchgeführt und bei den Frauen eine hohe Aktivität in dem Hirnareal festgestellt, das für die Verarbeitung von Emotionen zuständig ist und somit Empathie ermöglicht. Bei den meisten Männern war diese Hirnregion weniger stark aktiviert. Als die Forschenden dann allerdings in die Köpfe von homosexuellen Männern guckten, die sich Vollzeit um ihr Baby kümmerten, sahen sie: eine genauso hohe Aktivität in der untersuchten Hirnregion wie bei den Müttern. Superkräfte hat meine Frau auf jeden Fall. Sie sind nur nicht angeboren, sondern erlernt. Man lernt das Elternsein, in dem man es tut.
3 „Ich hab das ja nie gelernt“
Wir wurden anders erzogen, werden im Büro anders gesehen, weder Umfeld noch Gesellschaft erwartet, dass wir die Care-Work-Weltformel knacken. Aus einer Mischung aus Gewohnheit, Faulheit und strategischem Kalkül begnügen sich viele Männer im eigenen Haushalt deshalb mit einer Rolle, die der französische Soziologe Jean-Claude Kaufmann den „schlechten, schuldbewussten Schüler“ nennt. Auch die Schweizer Gen-derforscherin Franziska Schutzbach schreibt: „Väter sind oft ganz gute Assistenten, aber viele sind nicht bereit, wirklich ins Cockpit zu kommen.“
4 „Ich kann mir das nicht leisten“
Postet man als Mann heute auf dem Karrierenetzwerk LinkedIn, dass man sechs Monate oder gar ein Jahr in Elternzeit geht, kann man viele positive Kommentare und Likes erwarten. Eine Art kollektives Theater: Durch das Lob inszeniert man die eigene Fortschrittlichkeit. Gleichzeitig ist die Angst vor Karriereeinbußen der wichtigste Grund von Männern, die keine Elternzeit nehmen. Zurecht? In einer Allensbach-Umfrage gaben nur sechs Prozent der Befragten an, dass sie selbst oder Väter, die sie kennen, durch die Elternzeit einen Nachteil erlitten hätten. Und während Mütter laut einer Studie des Wissenschaftszentrums Berlin geringere Chancen auf dem Job-Markt haben, spielt es bei Männern keine Rolle, ob sie im Lebenslauf angeben, dass sie Kinder haben oder schon mal Elternzeit genommen haben.
Männer, Väter, sind auch im Jahr 2022 privilegiert. Kein leichter Satz. Wenn wir gewinnen, geben wir ungern zu, dass wir Hilfe hatten. Es ist nicht unsere Schuld, dass die Welt so ist, wie sie schon immer war. Wir sind nur verantwortlich, wenn sich nichts ändert. Ein Grund für die Retraditionalisierung der Geschlechterverhältnisse nach der Geburt der Kinder ist laut vielen Expertinnen die fehlende Kommunikation der Paare. Da debattiert man viele Stunden über den richtigen Namen auf der Kevin-Mia-Skala, setzt sich aber nicht gemeinsam mit der Elterngeldbroschüre auseinander.
Gender Pay Gap qua Gesetz verbieten
Aber natürlich können weder Einzelpersonen noch Paare das jahrhundertealte Problem des Patriarchats lösen. In den Pandemie-Jahren wurde deutlich, dass Familienpolitik eben nicht Gedöns ist, wie Gerhard Schröder mal gesagt hat, sondern die Basis der Sozial- und Wirtschaftsordnung. Warum fordern wir nicht, Schritte wie in Island zu unternehmen, wo ein Gender Pay Gap qua Gesetz verboten ist und Väter und Müttern jeweils sechs Monate Elterngeld zustehen? Wer wirklich gleichberechtigt mit und in seiner Familie leben will, muss für seine Überzeugungen kämpfen und entsprechend wählen.
Der Status quo ist nicht nur ungerecht gegenüber unseren Frauen, sondern auch gefährlich für uns selbst: Denn während 80 Prozent der Männer sagen, dass sie ganz für ihre Kinder da sein wollen, arbeiten doch über 90 Prozent in Vollzeit. Heißt: Wir leben gegen unsere eigenen Bedürfnisse. Das macht krank und unglücklich. Der Freiraum für die aktive Vaterrolle, so schreibt das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, wird durch Verzicht auf Freizeit und Sport geschaffen. Klingt traurig!
Wenn man sich mit dem Thema beschäftigt, ist man oft traurig, wütend oder sehr müde. Weil es ungerecht ist, weil sich nichts ändert, weil wir es besser wissen. Gleichzeitig war die Chance, den Kampf für Gleichberechtigung zu vollenden, vermutlich noch nie so groß wie heute. Die Geschlechterbilder sind in den vergangenen Jahrzehnten ins Wanken geraten. Der alte Familienpatriarch sitzt nicht mehr fest auf dem Thron, seine Herrscherhand zittert, es braucht nur noch einen Schubser, um ihn zu stürzen. Vermutlich waren die Frauen noch nie so wütend und so selbstbewusst wie heute. Und die Männer, bei allen Lernblockaden und sonstigen regressiven Verhaltensstilen, noch nie so offen und aufgeschlossen, an sich zu arbeiten. Aus dieser Mischung müsste man doch etwas machen können. Und es fühlt sich gut an, dass zu den Profiteuren dieser Pionierleistung nicht nur wir selbst gehören werden, sondern auch unsere Kinder.