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Krabbeln, sitzen, laufen, redenHilfe, mein Kind kann das nicht! Was soll ich tun?

Lesezeit 5 Minuten
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Warum kann mein Kind noch nicht krabbeln? Warum hat es erst zwei Zähne? Mütter quälen sich oft mit Fragen wie diesen.

  1. Nach der Geburt erhalten Neu-Eltern von überall neue Infos, was Babys im jeweiligen Alter angeblich können sollten.
  2. Krabbeln, sitzen, laufen, reden – alles zu seiner Zeit. Doch was, wenn das eigene Kind nicht im „Zeitplan“ ist. Wie soll man als Mutter da locker bleiben?
  3. Wozu das ständige Vergleichen führt und was für die Entwicklung des Kindes vielleicht wichtiger ist? Eine ganz persönliche Einschätzung von Susanne Rohlfing, die als Mutter selbst lernen musste, worauf es wirklich ankommt.

Köln – Was war das schön in der Schwangerschaft. All die Apps fürs Smartphone und die Listen im Netz, die den Entwicklungsstand des im Mutterleib wachsenden Babys beschreiben – sie haben meine Fantasie beflügelt. Im dritten Monat beginnen an den Fingern und Zehen die Nägel zu wachsen, steht da zum Beispiel geschrieben. Im fünften Monat kann der kleine Mensch riechen, schmecken und hören, im siebten die Augen öffnen und schließen. Ich stelle mir das vor, streichele meinen Bauch und bin zufrieden. Ob es stimmt? Ganz egal. Ich kann es ohnehin nicht prüfen.

Und dann ist es da, das kleine Bündel. Gesund und munter und zuckersüß. Alles in bester Ordnung, sagen Kinderarzt und Hebamme. Alles wunderbar, sagt mein Herz. Doch schon nach wenigen Wochen packt mich die Unruhe. All die Listen, sie gehen ja weiter.

Infoflut für Eltern in den ersten Monaten

Wer sich aus Versehen irgendwo im Netz angemeldet hat, bekommt auch nach der Geburt noch regelmäßig zugeschickt, was Babys im jeweiligen Alter nun angeblich können sollten. Vom Jugendamt flattert regelmäßig ein Elternbrief mit entsprechenden Infos ins Haus. Und wer im Netz eingibt: „Baby, drei Monate, Entwicklung“ – der wird schier überschüttet mit Angeboten zum Nachlesen.

Das Problem: Jetzt, nach der Geburt, ist das alles überprüfbar. Es ist verlockend, das eigene Kind und damit vermeintlich die eigene Leistung als Eltern zu vergleichen. Mit dem, was in den Listen steht. Mit den gleichaltrigen Kindern von Nachbarn und Freunden. Irgendwann fangen die Kleinen ja sogar selbst an, sich mit anderen Kleinen zu messen. Wer ist schneller, wer ist schlauer, wer ist schöner?

Jedes Baby ist anders und gut so, wie es ist. Ich weiß das. Und dieser Hinweis steht da auch immer irgendwo. Aber ich überlese ihn, weil ich ganz unruhig werde, wenn für den dritten Monat angegeben wird, dass Babys sich in Bauchlage nun schon auf ihren Unterarmen abstützen können. Meins liegt platt da und quakt vehement, bis wir es endlich wieder auf den Rücken legen. Oder noch besser: vor den Bauch binden und rumtragen.

Selber Schuld, wenn ich immer in den Listen lese

So geht das weiter: Drehung vom Bauch auf den Rücken im fünften Monat? Fehlanzeige. Mit der Rassel rasseln im siebten Monat und sitzen im achten? In den Stand hochziehen mit zehn Monaten und laufen und erste Worte sprechen mit zwölf? Schön wär’s! Mein Kind kann nichts davon zur rechten Zeit. Selber Schuld, wenn ich es nicht lassen kann, in diesen Listen zu lesen? Stimmt!

„Im ersten Jahr entwickelt sich das Kind von einem noch nicht mobilen und vollständig abhängigen kleinen Bündel, das schreit und schläft und pupst und trinkt, zu einem selbstständig die Welt erkundenden und kommunizierenden kleinen Lebewesen“, sagt Moritz Daum, Professor für Entwicklungspsychologie an der Universität Zürich. Eine ähnlich substantielle Veränderung mache der Mensch in seinem Leben ansonsten höchstens noch in der Pubertät durch.

Babys lernen so viel in so unglaublich kurzer Zeit. Manche so und manche anders, manche schneller und manche langsamer. Fest steht: Das ist unglaublich faszinierend.

„Solange sie sich bewegen ist alles gut“

Ob etwa der Meilenstein „erste eigenständige Schritte machen“ mit acht Monaten geschafft wird oder mit 18, ist dabei ganz egal. „Ein Kind, das mit einem Jahr noch nicht läuft, ist eher die Norm als die Ausnahme“, sagt Daum. Bevor es so weit ist, krabbeln manche Kinder, andere kriechen, wieder andere popohoppeln, und einige rollen.

Alles ist gut, denn die Hauptsache ist, dass sie sich irgendwie im Raum bewegen. „Dann ist das eine normale motorische Entwicklung“, betont Hermann Josef Kahl, Kinderarzt und Kinderkardiologe in Düsseldorf und Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte.

Wenn sich das kleine Wesen zunächst ein bisschen wackelig fortbewegt, ist auch das kein Grund zur Sorge. „Dass Kinder mal um- oder runterfallen, ist durchaus sinnvoll. So merken sie, was sie nicht können und was gefährlich ist“, erklärt der Experte.

Da sein und Vertrauen aufbauen

Wichtig, viel wichtiger als Listen lesen, ist: Da sein für das Kind, wenn es sich weh tut. „Nicht immer verhindern, dass es sich weh tut. Aber das Kind sollte lernen: Wenn mir etwas weh tut, ist jemand da, der mir hilft. So wird Vertrauen aufgebaut“, sagt Daum.

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Da sein – und machen lassen. Beim selber Essen üben zum Beispiel. Für Mamas und Papas ist das zeitaufwändig und endet in aller Regel mit einem riesen Gematsche. „Trotzdem sollte man Kindern diese Phase gönnen“, sagt Kahl. „Der Prozess des Essens ist nicht nur motorischer Art, sondern auch kommunikativer, emotionaler und intellektueller.“ Ganz viel Förderung. Da sind ein bisschen Tomatensoße an der Wand und Verspätung beim Zahnarzttermin doch wirklich ein überschaubarer Preis.

Überhaupt ist viel Geduld gefragt, wenn aus den kleinen Wonneproppen plötzlich große Wutzwerge werden, die ihr eigenes Ich entdecken. Verständnis für die Mama am Rande des Nervenzusammenbruchs, wenn sich die Anderthalbjährige am Morgen den Body selbst über den Kopf ziehen will, während die älteren Geschwister dringend los müssen, zur Schule und zum Kindergarten? Das können Sie nicht erwarten. Hier ist Durchhaltevermögen und Gelassenheit gefragt.

Babys können nicht mit Argumenten überzeugt werden

Wenn Babys merken, dass sie etwas können, wollen sie es auch tun. Egal wann, egal wo, egal, wie lange das dauert. „Babys haben kein Zeitgefühl“, sagt Daum, „und sie können mit Argumenten nichts anfangen, sie können nicht überzeugt werden“.

Zudem haben Babys sehr eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten. Wenn sie nicht dürfen, was sie wollen, bleibt ihnen nichts anders übrig, als zu schreien. Und, das zeigt alles Vergleichen – da sind sie alle gleich.

Also Mamas, bleibt locker. Und behauptet nie wieder, dass euer Baby nichts kann.