Frieda Krieger aus Sürth sitzt seit früher Kindheit im Rollstuhl. Ihr Hund Aidan hilft ihr im Alltag und gibt ihr Kraft.
Schubladen öffnen, Stift aufhebenWie Assistenzhund Aiden einer Kölner Rollstuhlfahrerin im Alltag hilft
Aidan liegt unter dem Wohnzimmertisch und döst. Um ihn herum Trubel und Gespräche, doch das stört den Golden Retriever nicht. Als ein Stift vom Tisch rollt und auf den Boden fällt, hebt er sofort den Kopf und steht auf. Ein heruntergefallener Gegenstand: das ist sein Job. Er wirkt plötzlich wie aktiviert und schaut Frieda Krieger an. Er wartet auf eine Anweisung von ihr. Sie sagt „Aidan, apport Stift“, der große Hund hebt den schmalen Stift mit dem Maul auf und legt ihn Frieda auf den Schoß. Dafür bekommt er viel Lob, Streicheleinheiten und ein Leckerli. Aidan trottet zufrieden davon und wartet auf seinen nächsten Einsatz.
Aidan ist Friedas zweiter Assistenzhund und seit zwei Jahren immer an ihrer Seite. Die 22-Jährige leidet an Infantiler Cerebralparese und ist seit ihrer frühen Kindheit auf den Rollstuhl angewiesen. Frieda kam drei Monate zu früh auf die Welt und erlitt unter der Geburt einen Sauerstoffmangel. Dadurch wurde in ihrem Gehirn ein Teil geschädigt, der für die Motorik zuständig ist. Sie kann deshalb nicht laufen und Oberkörper und Arme nur eingeschränkt bewegen. Mit ihren Eltern lebt sie in einer ebenerdigen Wohnung in Sürth. Sie hat eine Ausbildung als Erzieherin gemacht und studiert aktuell Psychologie im Fernstudiengang an der Internationalen Hochschule (IU) in Bad Honnef.
Ihre Eltern unterstützen ihre Tochter dabei, so selbstständig wie möglich zu sein. Einen sehr großen Anteil an Friedas Freiheit hat aber auch Aidan. Er hebt Sachen auf, hilft ihr beim Ausziehen und bringt ihr ihre Schuhe. Das Handy trägt er so vorsichtig, dass seine Zähne niemals das Display beschädigen würden.
Auch Schubladen in der Küche kann er aufmachen. Für all diese Tätigkeiten gibt es passende Kommandos, oft weiß Aidan aber von selbst, was er machen soll.
Als Kind hätte Frieda nie gedacht, dass ein Hund einmal so wichtig für sie werden würde, denn damals hatte sie Angst vor Hunden. Trotzdem ist ihre Mutter Birgit sicher, dass ein Hund ihrer achtjährigen Tochter guttun wird. Bei einer Reha-Messe erfährt sie vom Verein Vita Assistenzhunde, der Hunde zu Helfern ausbildet und an Menschen mit Beeinträchtigungen vermittelt. Sofort meldet sie Frieda an. Es klappt. Mit finanzieller Unterstützung von „Ein Herz für Kinder“, Freunden und Verwandten kommt 2009 der erste Assistenzhund „Fellow“ in die Familie, auch ein Golden Retriever. Er wird 13 Jahre lang bleiben und alles für die damals Achtjährige und ihre Eltern verändern.
„Endlich hatte ich auch mal etwas zu erzählen“
In der vierten Klasse geht Fellow jeden Tag mit Frieda in die Schule. „Das war ein tolles Gefühl. Endlich hatte ich auch mal etwas zu erzählen und war nicht mehr nur die, die im Rollstuhl sitzt und der immer geholfen werden muss“, erinnert sie sich. Fellow gibt ihr das Gefühl, genauso viel wert zu sein wie die anderen Kinder: „Ich konnte zwar nicht mit ihnen rennen oder Fußball spielen, aber ich hatte einen Hund, für den sich die anderen interessierten. Ich habe mich nicht mehr so alleine gefühlt.“ Als Frieda auf die weiterführende Gesamtschule kommt, wird es kompliziert. Fellow soll sich nur in Friedas Klassenraum aufhalten und darf sie nicht mehr überall hin begleiten. Die Familie entscheidet sich deshalb, das Tier vormittags zu Hause zu lassen, wo Friedas Mutter im Homeoffice arbeitet.
Als Fellow älter und schwächer wird, bewirbt sich Frieda frühzeitig bei Vita um einen neuen Assistenzhund. Ein Leben ohne tierischen Begleiter und den Austausch mit Gleichgesinnten im Verein kann sie sich nicht mehr vorstellen. Sie sagt: „Ich glaube, dass ich ohne Vita und die Hunde niemals so selbstständig geworden wäre. Ich habe so viel Lebensqualität gewonnen, bin über mich hinaus gewachsen und viel selbstbewusster geworden.“
Dass Aidan nach Fellows Tod der neue Hund für Frieda werden wird, steht schon fest, als er noch ein Welpe ist. „Allen war gleich klar, dass wir gut zusammenpassen. Aidan ist so quirlig und lebhaft, wie ich es jetzt bin. Er macht alles mit und möchte etwas erleben, ist aber gleichzeitig sehr sensibel und aufmerksam“, sagt Frieda. Im Oktober 2021 zieht Aidan schließlich bei ihr ein.
„Ich bin viel selbstbewusster geworden“
Frieda ist zu der Zeit 20 Jahre alt und trägt anders als bei Fellow nun die Hauptverantwortung für das Tier, muss sich also darum kümmern, dass er frisst, gesund ist und regelmäßig vor die Tür kommt.
Bevor die beiden hinausgehen, bekommt Aidan ein sogenanntes Kenndeckchen angezogen, auf dem steht, dass er ein Assistenzhund ist. Das ist für ihn das Zeichen: „Aha, ich bin jetzt im Dienst.“ Zugleich soll es anderen Spaziergängern signalisieren, dass dieser Hund gerade einer Aufgabe nachgeht und nicht gestört werden darf.
Aidan hält sich wunderbar an diese Abmachung, die entgegenkommenden Spaziergänger nicht immer: Der Golden Retriever ist einfach zu niedlich, als dass man ihn nicht ansprechen möchte. „Das ist auch ok, aber die Decke ist immerhin eine kleine Barriere, ihn nicht einfach zu streicheln oder abzulenken“, sagt Frieda. Wenn Aidan seine „Uniform“ trägt, darf er zudem in jeden Laden mit hinein, um sie zu begleiten.
„Mit ihm zusammen bin ich mehr wert“
Wie damals in der Grundschule freut sich Frieda noch immer darüber, mit Hund anders wahrgenommen zu werden als ohne: „Ich habe das Gefühl, dass ich mit ihm zusammen mehr wert bin. Plötzlich bin ich die selbstbewusste junge Frau, die in der Stadt unterwegs sein kann und sich nicht hinter dem Rolli versteckt. Ich kann mich zeigen und muss mich nicht dafür schämen, anders zu sein.“ Frieda hat festgestellt, dass die Menschen ihr mehr zutrauen, wenn ein Hund bei ihr ist. Abschätzige Blicke kennt sie aber auch. „Manche Leute denken, dass ich das alleine nicht hinkriege, weil ich im Rollstuhl sitze. Dass Aidan zum Beispiel nicht zu mir zurückkommen wird, wenn er frei läuft. Das verletzt mich, vor allem, weil Aidan ganz sicher besser erzogen ist als die meisten anderen Hunde, die mir begegnen.“
Beim Spaziergang bleibt Aidan immer links vom Elektro-Rollstuhl und stets auf einer Höhe mit Frieda. Ein absolutes No-Go wäre, wenn er sie ziehen würde, schließlich sind die beiden ein Team. Aidan bleibt fokussiert und lässt sich unterwegs nicht ablenken. Ein junger, neugieriger Hund ist er mit seinen vier Jahren natürlich trotzdem noch. „Er macht unterwegs auch sein eigenes Ding, interessiert sich für Hunde, Blumen und Mäuselöcher. Er muss nicht an meiner Seite kleben, aber sein Fokus bleibt trotzdem bei mir und er passt auf mich auf“, erklärt Frieda.
Als sie ihn auf einer Wiese frei lässt, schnüffelt er zwar hier und da herum und erledigt sein Geschäft, lässt sie aber nie aus den Augen und kommt sofort angelaufen, wenn sie ihn ruft. Wenn die beiden unterwegs sind, üben sie oft mit einem Ball oder Dummy, also einem Stoffbeutel, den Aidan bringen soll. „Das Training hört für uns nie auf“, macht Frieda klar.
Ein Leben ohne Hund kann sie sich nicht mehr vorstellen: „Er leistet so viel für mich und mir würde so viel in meinem Leben fehlen, wenn ich ihn nicht hätte.“ Natürlich ist Aidan für sie eine praktische Hilfe im Alltag. Mit ihm ist sie weniger auf andere angewiesen und kann mehr alleine regeln. Sie sagt: „Dank Aidan kann ich Dinge machen, die für andere Menschen selbstverständlich sind: spazieren und einkaufen gehen oder alleine in der Wohnung bleiben. Ich habe keine Angst mehr.“
„Er hat mir gezeigt, dass mein Leben lebenswert ist“
Viel wichtiger ist für sie aber die emotionale Unterstützung, die der Hund ihr gibt. Weil er immer neben ihr ist, weiß er genau, was sie braucht und wann es ihr schlecht geht. „Er merkt sofort, wenn ich traurig bin und tröstet mich dann. Das könnte ein Mensch niemals leisten, da müsste ich mich immer erklären“, erzählt Frieda. Sie ist davon überzeugt, dass Hunde durch ihre emotionale Unterstützung schon vielen Menschen das Leben gerettet haben: „Er akzeptiert mich bedingungslos, ich kann ihm zu 100 Prozent vertrauen. Er hat mir gezeigt, dass mein Leben bunt und lebenswert ist und dass ich nicht die junge Frau im Rollstuhl bin, mit der man Mitleid haben muss.“