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Wundermittel aus Russland?Sputnik V – wenn ein Impfstoff politisch wirkt

Lesezeit 4 Minuten
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Das Präparat Sputnik V

Moskau – Es hätte die große Erfolgsgeschichte eines anderen, eines modernen Russlands werden können. Der Corona-Impfstoff Sputnik V hat offenbar alles, was ein erstklassiges Mittel zum Schutz vor Covid-19 braucht. Das zumindest ist das Ergebnis einer Studie, die das hoch angesehene britische Fachmagazin „The Lancet“ in dieser Woche veröffentlichte. Demnach schützt der von Moskauer Mikrobiologen entwickelte Wirkstoff zu fast 92 Prozent vor einer Covid-19-Erkrankung. Nennenswerte Nebenwirkungen: keine.

Außerdem kann das Vakzin bei normalen Tiefkühltemperaturen gelagert werden, vorübergehend sogar im Kühlschrank. Das erleichtert die Impflogistik enorm.Wirksam, praktisch, gut verträglich: Das, so scheint es, ist Sputnik V. Ein kleines Wundermittel, mit dem sich die russische Pharmaforschung in die Geschichte dieser Pandemie hätte einschreiben können. Hätte. Denn der Kreml entschied sich früh für einen anderen Weg: Die politische Wirkung bekam Vorrang vor der medizinischen. Schon im vergangenen August erteilten die russischen Behörden Sputnik V eine Notfallzulassung, obwohl die entscheidenden klinischen Studien noch nicht einmal begonnen hatten. Westliche Fachleute sprachen damals von einem „hochriskanten Experiment“, das einem groß angelegten Menschenversuch gleichkomme.

Putin feiert das Wundermittel

Präsident Wladimir Putin dagegen feierte das Mittel als Durchbruch wie einst in der Weltraumtechnik. Der Name war dabei Programm: Wie die Sowjetunion 1957 mit „Sputnik 1“ den weltweit ersten Satelliten in den Orbit schoss und in den USA einen Sputnik-Schock auslöste, so sollte der Impfstoff nun erneut den Westen herausfordern. Putin ließ medienwirksam eine seiner Töchter impfen. Russische Kommentatoren triumphierten: „Wir sind es gewohnt, immer die Ersten zu sein. Im Weltall, im Sport und in der Wissenschaft.“

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Der russische Präsident Wladimir Putin

Doch die Probleme dieser PR-Strategie zeigen sich jetzt, da sich Sputnik V tatsächlich als erstklassiger Wirkstoff zu entpuppen scheint. Es dürfte schwerfallen, Menschen im Westen davon zu überzeugen, sich mit einem Mittel impfen zu lassen, das unter derart dubiosen Umständen auf den Markt gekommen ist. Entsprechend zurückhaltend fielen die Reaktionen in der EU auf die jüngsten Sputnik-Erfolgsmeldungen aus. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte zwar, jeder Impfstoff, der eine ordentliche Zulassung der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) bekomme, sei „herzlich willkommen“. Das aber kann dauern. So erläuterte die österreichische Virologin Christina Nicolodi, die auf Zulassungsverfahren spezialisiert ist, dass es mit Russland keine gemeinsamen Qualitätsstandards gebe: „Die EMA müsste vor einer Zulassung die Herstellungsanlagen vor Ort prüfen.“

Kommt Sputnik auch in die EU?

Faktisch dürfte Sputnik V deshalb in der EU noch für längere Zeit in einem Warteorbit kreisen. Denn dass die russische Regierung westliche Pharma-Kontrolleure einlädt, ist angesichts des verschärften Ost-West-Konflikts seit der Krim-Krise 2014 kaum anzunehmen. Nach der Vergiftung und Inhaftierung von Oppositionsführer Alexei Nawalny spitzte sich die Lage zuletzt noch einmal akut zu. Am Freitag reiste der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell zu Gesprächen nach Moskau und erklärte dort, die Beziehungen seien „auf einem Tiefpunkt“ angelangt. Eine weitere Verschärfung des westlichen Sanktionsregimes bleibt auf dem Tisch.

Allerdings wird sich die heikle Frage, ob ein Sputnik-Ankauf durch die EU politisch akzeptabel wäre, kaum so bald stellen. Denn vorerst fehlt es nicht nur an einer EMA-Zulassung, sondern auch an Produktionskapazitäten. Rund 1,5 Millionen Dosen mit Sputnik V wurden bislang verimpft, davon gut die Hälfte in Russland selbst. Allein dort aber leben 150 Millionen Menschen. Es dürfte deshalb noch über viele Monate hinweg zu Lieferengpässen kommen, ähnlich wie bei westlichen Herstellern.

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Einen Ausweg könnte der Aufbau gemeinsamer Produktionsstätten bieten, zum Beispiel in Deutschland. So haben die Moskauer Impfstoffentwickler eine Anfrage an das Pharmaunternehmen IDT Biologika mit Sitz in Sachsen-Anhalt gestellt. IDT-Chefentwickler Andreas Neubert stellte aber kürzlich klar, dass die Produktion jedes Corona-Impfstoffs extrem anspruchsvoll sei. Es gehe dabei nicht um Geld, sondern „die Zeit ist das, was uns fehlt.“ Unter dem Strich ist folglich keine schnelle Anwendung von Sputnik V in der EU zu erwarten.

Das wiederum hielt Putin zuletzt nicht davon ab, den Europäern mit großer Geste russische Hilfe anzubieten, nachdem in vielen EU-Staaten Debatten über ein „Impfdebakel“ losgebrochen waren. Einer ließ sich nicht lange bitten: der ungarische Premier Viktor Orban. Die Behörden in Budapest erteilten Sputnik V eine nationale Notfallzulassung. Ungarn bestellte zwei Millionen Dosen. Auf die EMA-Entscheidung wollte der bekennende EU-Skeptiker Orban nicht warten. Auch in Lateinamerika griffen einige russlandfreundliche Regierungen sofort zu, so in Venezuela und Bolivien, Argentinien, Mexiko und Nicaragua.Am deutlichsten zeigt sich jedoch in der Ukraine, dass der Kreml mit Sputnik V nicht zuletzt Machtinteressen verfolgt. In den östlichen Regionen Donezk und Luhansk, die sich seit fast sieben Jahren in der Gewalt prorussischer Separatisten befinden, soll gegen den erklärten Willen der Kiewer Regierung ausschließlich der russische Impfstoff Verwendung finden. Putins Sprecher Dmitri Peskow erklärte, Lieferungen aus dem Westen in den umkämpften Donbass werde es unter keinen Umständen geben. Das klang einmal mehr nicht nach der Erfolgsgeschichte eines modernen Russlands, sondern nach Machtpolitik alter Schule.