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Wort zum SonntagÜber das Maß an Leid für alle Generationen

Lesezeit 2 Minuten
Ein Lichtstrahl fällt in einer Kirche auf ein Kreuz.

Ein Lichtstrahl fällt in einer Kirche auf ein Kreuz.

Hartmut Kriege von der katholischen Kirchengemeinde St. Nikolaus in Bonn hat sich Gedanken gemacht.

Die „Summe der Tränen bleibt konstant“, lese ich in einem Tagebuch, das die Zeit zwischen dem chaotischen Kriegsende und dem tastenden Neubeginn der Monate April–Mai 1945 in Berlin beschreibt. Es sei „ganz gleich, unter welchen Fahnen und Formeln“ die Menschen leben; ganz gleich, welchen Göttern und Ideologien sie anhängen: die „Summe der Tränen, der Schmerzen und Ängste, mit denen jeder für sein Dasein zahlt, bleibt konstant“.

Keine Kultur, keine Gesellschaft, keine Religion, kann diesem „Schicksal“ entkommen. Das Maß an Leid, Glück, Zufriedenheit, Gottvertrauen und unbeirrbarer Hoffnung bleibt jeder Generation als „Konstante“ ihres Lebens, die, je nach der Fließgeschwindigkeit der Umwälzungen und Evolutionen, ihren jeweils eigenen Akzent erhält. Eine verblendete, fehlgeleitete Politik, eine falsch gemanagte Wirtschaft, ideologische Parteilichkeit und eine ich-bezogene Religiosität halten diese Konstante am Leben: früher wie heute.

Sicher dürfte auch das zähe, salamitaktische Aufdecken missbräulicher Machenschaften jedweder Art in der Kirche zu den Konstanten zählen. Denn der Blick in die Vergangenheit verdeckt nur notdürftig den anhaltenden Missbrauch in der Gegenwart. Gefördert wird diese Kontinuität durch zwei Tatsachen. Einmal durch eine anscheinend nicht zu überwindende Realitätsverweigerung der Kirche und der daraus resultierenden Tatsache, dass Kirche mit Beginn des 20. Jahrhunderts verstärkt zur Repressionsinstitution mutierte, die sich anmaßte, mit dem Verweis auf Himmel und Hölle nicht nur ihre eigenen Mitglieder zu bedrängen, sondern auch den Versuch machte, der Gesellschaft ihre ethischen Sichtweisen überzustülpen.

Die „Doppelmoral“ war geboren, die heute mit voller Kraft auf die „Institution“ zurückschlägt; mit all ihren negativen Folgen auch für die ihr dienenden Menschen. Der Ruf nach „Umkehr“ greift heute offenbar nur noch über den festen Willen, die Kirche vor dem Hintergrund der biblischen Botschaft „anders“ zu sehen und entsprechend zu gestalten.