Die sexuellen Missbrauchsfälle stellen die Kirche vor eine innere Zerreißprobe und bringen ihr Überleben in Gefahr.
Wort zum SonntagDas Überleben der Kirche ist in Gefahr
Die unverständlichen Machenschaften um die Aufklärung von Fällen sexuellen Missbrauchs, vornehmlich in Europa und Nordamerika, stellen die Kirche zunehmend vor eine innere Zerreißprobe. Mehr noch: vielen scheint es, als gehe es letztlich sogar ums Überleben einer Kirche, die in ihrem heutigen Erscheinungsbild gerade mal 170 Jahre jung ist. Entwachsen der Krisensituation der Französischen Revolution formte sie sich in einer fundamentalen Gegenposition zu den philosophischen und wirtschaftspolitischen Aufbrüchen des industriellen Zeitalters.
Bereits damals begann die Kirche, die zwar in den meisten Staaten weiterhin einen großen Rückhalt hatte, aus der Zeit zu fallen. Nicht zuletzt wegen ihres Bemühens, die alte, christlich begründete Ordnung der monarchischen Welt unter allen Umständen zu wahren. Noch Joseph Ratzinger warnte als Erzbischof von München ständig vor der Gefahr, ein säkularisiertes, post-europäisches Zeitalter könnte das Fortbestehen des katholischen Bekenntnisses ernsthaft in Frage stellen. Sein Nachfolger im Petrusamt hat da eine andere Perspektive. Er nimmt eine Kirche in den Blick, welche ihren traditionellen ,Eurozentrismus’ zu überwinden sucht und den Katholizismus mehr dem Einfluss der jeweiligen Kulturräume preisgibt, ohne jedoch von ihrer in Europa geformten Grundausrichtung abzurücken.
Zu Hilfe kommt Franziskus das Verblassen der theologischen Forschung weltweit. Sie fühlt sich seit dem Konzil von 1870 und der damit einhergehenden Überbetonung der (systemstützenden) Dogmatik mehr und mehr ins Abseits gedrängt. Bis heute. Dabei sind Theologie und Lehramt nach wie vor aufeinander bezogen, sogar angewiesen. Doch das geht, wie die aktuellen Diskussionen zeigen, künftig wohl nur auf Augenhöhe – wenn beide überleben wollen.