Witz auf der BühneTürkische Pop-Diva in Haft – Welle der Empörung

Im Visier der Justiz: Popstar Gülsen Colakoglu
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Istanbul – Die wegen eines Scherzes über eine religiöse Bildungseinrichtung inhaftierte türkische Sängerin Gülsen Bayraktar Colakoglu soll aus dem Gefängnis entlassen werden. Ein Istanbuler Gericht habe den Popstar stattdessen unter Hausarrest gestellt, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Montag. Die Verhaftung der beliebten Sängerin hatte nicht nur unter Künstlern große Empörung ausgelöst.
Bei einem Auftritt hatte Colakoglu über ein Mitglied ihrer Begleitband gesagt: „Der war mal auf einer Imam-Hatip-Schule, wahrscheinlich ist er deshalb ein Perverser.“ Diese Schulen sind religiöse Oberschulen, die von Präsident Recep Tayyip Erdogan – selbst Absolvent einer solchen Schule – gefördert werden. Die Staatsanwaltschaft nahm sofort Ermittlungen gegen Gülsen auf. Gülsen erklärte, sie entschuldige sich, wenn sie mit ihrer Bemerkung jemanden beleidigt haben sollte. Doch am selben Tag verschwand sie hinter Gittern.
Kritik: Missbrauch der Justiz für politische Ziele der Regierung
Oppositionelle, Frauenrechtlerinnen und Juristen sprechen von einem Missbrauch der Justiz für politische Ziele der Regierung und fordern die sofortige Freilassung der Sängerin. Die Inhaftierung von Gülsen, wie sich Colakoglu als Künstlerin nennt, sei das jüngste Beispiel für die zunehmende Unterdrückung des westlichen Lebensstils in der Türkei. „Wir leben in fürchterlichen Zeiten“, sagt Gülsens Kollegin Melek Mosso, die im Frühjahr nicht auftreten durfte, weil ihre Kleidung den Behörden nicht gefiel. Zuletzt verboten diese diverse Konzerte und Festivals und begründeten das mit Sicherheit, Jugendschutz und einer Gefährdung des gesellschaftlichen Friedens. Denunzianten können mit Meldungen bei einer staatlichen Beschwerdestelle öffentliche Veranstaltungen als unmoralisch verbieten lassen.
Gülsens Solidarität mit der LGBTQ-Gemeinschaft
Jetzt traf es Gülsen. Als Reaktion auf Kritik hatte sie kürzlich bei einem Auftritt ein durchsichtiges Oberteil getragen. Bei anderen Auftritten solidarisierte sie sich mit der LGBTQ-Gemeinschaft, indem sie die Regenbogenfahne in die Höhe hielt.
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Doch selbst im Regierungslager machte sich zuletzt Unbehagen über ihre Verhaftung breit. Ahmet Hakan, Chefredakteur der Erdogan-treuen Zeitung „Hürriyet“, forderte die Freilassung der Sängerin. Auch „Sabah“-Chefkolumnist Mehmet Barlas, der für seine Nähe zu Erdogan bekannt ist, distanzierte sich vom Vorgehen der Justiz. „Sollen wir jeden einsperren, der Unsinn erzählt?“, fragte Barlas.