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Wie weit reicht Meinungsfreiheit?Blockaden der Auftritte von Lucke, Lindner und Co.

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Thomas de Maizière (l, CDU) verfolgt die Aktuelle Stunde in der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages.

  1. Ex-Innenminister Thomas de Maizière (CDU) musste Anfang der Woche der Blockade seiner Buchlesung während des Literaturherbstes in Göttingen weichen.
  2. Bernd Lucke erwischte es bei seinem Versuch an der Hamburger Uni seinen alten Arbeitsvertrag als Wirtschaftsprofessor wieder zu erfüllen.
  3. Die Blockaden der Auftritte liefern Belege für eine fragwürdige Entwicklung.

Berlin – Meinungsfreiheit ist nicht erst seit den Sprechblockaden in Göttingen und Hamburg ein heißes Eisen der politischen und gesellschaftlichen Debatte geworden. Aber sie haben noch mehr in den Blick gerückt, dass zwei Drittel der Menschen in Deutschland überzeugt sind, ihre Meinung zu bestimmten Themen nicht mehr frei äußern zu können. Was macht diese Entwicklung mit dem Verständnis von Staat und Demokratie? Was steckt dahinter?

Bernd Lucke erwischte es bei seinem Versuch, nach dem Ausscheiden aus dem Europaparlament an der Hamburger Uni seinen alten Arbeitsvertrag als Wirtschaftsprofessor wieder zu erfüllen. Die Studentenvertretung organisierte Proteste unter dem Motto „Lucke lahmlegen“ und verhinderte, dass der Gründer und ehemalige Vorsitzende der AfD zu Wort kam.

Eine Woche später musste er auch den zweiten Versuch abbrechen, obwohl mit einer Einlasskontrolle vorgesorgt worden war. Rund ein Dutzend Aktivisten drangen ein. Das Verhindern der Lucke-Vorlesungen über Makroökonomie wird mit dem Schlagwort „kein Recht auf Nazipropaganda“ begründet. Lucke habe als Gründer der AfD zu geringe Toleranz gegen Rechtsaußen gezeigt. Der Professor war von Frauke Petry ersetzt worden und hatte danach die Partei verlassen.

De Maizière musste in Sicherheit gebracht werden

Ex-Innenminister Thomas de Maizière (CDU) musste Anfang der Woche der Blockade seiner Buchlesung während des Literaturherbstes in Göttingen weichen und unter Polizeischutz in Sicherheit gebracht werden. Ihm wurde vorgeworfen, für den EU-Türkei-Deal mitverantwortlich zu sein, der dazu geführt habe, dass Deutschland zahnlos der Türkei gegenüberstehe. Es habe sich um einen Protest gegen den türkischen Einmarsch in Nordsyrien gehandelt.

Und auch FDP-Fraktionschef Christian Lindner durfte nicht reden, obwohl ihn die Liberale Hochschulgruppe in die Hamburger Uni eingeladen hatte. Dass dies wegen der Bestimmung, keine Räumlichkeiten für Parteipolitik zur Verfügung zu stellen, geschah, hätte Lindner vermutlich noch nachvollziehen können. Doch dass dieselbe Bestimmung nicht galt, als Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht kurz vor ihm ebenfalls auf Einladung einer studentischen Gruppe und obendrein noch moderiert von einem Linken-Abgeordneten sprechen konnte, ist dann doch nicht mehr plausibel.

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FDP-Fraktionschef Christian Lindner hatte Probleme bei seinem Auftritt in der Hamburger Uni.

In einem Brief forderte Lindner die Bildungssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) auf, dafür Sorge zu tragen, dass „auch die Uni Hamburg wieder zum Ort des lebendigen politischen Meinungsaustausches werden kann“. Er verwies dabei auf die jüngste Shell-Studie, in der eine Mehrheit der jungen Menschen glaubt, dass bestimmte Meinungen in Deutschland nicht geäußert werden dürften, wenn man sich nicht dem Vorwurf aussetzen wolle, ein Rassist zu sein. Die Jugendlichen orientieren sich dabei offenbar an weit verbreiteten Stimmungen in Deutschland. So hatte das Meinungsforschungsinstitut Allensbach bei zwei Dritteln der Befragten die Überzeugung vorgefunden, man müsse doch „sehr aufpassen, zu welchen Themen man sich wie äußert“, denn es gäbe ungeschriebene Gesetze dazu, welche Meinungen akzeptabel seien.

Keine Meinungsfreiheit mehr in Deutschland?

Bundestagsvizepräsident Wolfang Kubicki (FDP) appelliert an die Politik, sich von den Vorgängen „endlich aufrütteln“ zu lassen. Wenn zwei Drittel tatsächlich diese Meinung habe, dann „haben wir ein Demokratieproblem“. Wenn nicht bald umgeschaltet werde, würden die „Grundlagen unserer Freiheit“ zerstört. Die hohe Zahl an Menschen, die keine Meinungsfreiheit in Deutschland mehr sieht, kommt auch durch die Fragestellung zum Ausdruck. Aus Sicht der SPD-Abgeordneten Saskia Esken steckt dahinter ein völlig falsches Verständnis von Meinungsfreiheit. Es sei bei den Befragungen eben nicht darum gegangen, ob man seine Meinung frei von staatlichen Beschränkungen äußern dürfen, sondern ob man befürchten müsse, Widerspruch von anderen zu erfahren.

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Damit würde sich die aktuelle Debatte im ersten Punkt entlarven als Hirngespinst und Anlass, über die Grundlagen einer Demokratie zu sprechen. Viele scheinen Meinungsfreiheit damit zu verwechseln, dass nur ihre Meinung frei sein solle und die Meinung der andersdenkenden bloß nicht dagegen gestellt werden solle. Besonders Schüler, die mit der AfD sympathisieren, empfinden so, wenn sie von ihren Mitschülern vehementen Widerspruch erfahren und deshalb glauben, ihre Meinung nicht mehr äußern zu dürfen.

Neue Debatte ausgelöst

Doch die Blockaden und Sprechverbote von linksradikalen Aktivisten drehen die Debatte in eine neue Richtung, indem sie wiederholt Belege dafür liefern, dass Meinungen, die ihnen potenziell nicht passen, tatsächlich unterdrückt werden. Es werden nicht einmal die Meinungen selbst geprüft, sondern bestimmte Personen generell daran gehindert, zu interessiertem Publikum zu sprechen.

Ernst-Dieter Rossmann (SPD) Vorsitzender des Bundestags-Bildungsausschusses tritt dem entschieden entgegen. Es müsse ein „Ja zur Meinungsfreiheit“ gerade an den Hochschulen geben. Für Diffamierungen, Rassismus und Verhetzungen gelte das Strafrecht. „Gerade die Hochschulen und das Bildungswesen insgesamt müssen Lernort und Vorbild für einen zivilen Umgang mit Meinungs- und Informationsfreiheit sein und einen harten Austausch von Argumenten und Streit um Fakten, Wahrheiten und Werte vorleben“, sagte Rossmann unserer Redaktion.

Rechtssprechung zur Meinungsfreiheit bietet Spielraum

Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seiner ständigen Rechtsprechung die Verpflichtung zur Akzeptanz anderer Meinungen weit ausgedehnt. So belehrte Karlsruhe die Richter eines Amtsgerichtes, dass sie sich gefallen lassen müssen, mit dem Vorgehen nationalsozialistischer Sondergerichte oder mittelalterlicher Hexenprozesse verglichen zu werden. Die Instanzen davor hatten die 30 Tagessätze Geldstrafe wegen Beleidigung alle durchgewunken. Dagegen machte das Verfassungsgericht ein weiteres Mal klar, dass die Demokratie nur funktioniert, wenn die Meinungsfreiheit nur in ganz kleinem Ausmaß von Persönlichkeitsrechten Beleidigter eingeschränkt wird. (Beschluss 1 BvR 2433/17 vom 14. Juni dieses Jahres).